lebendig

Begonnen von Wortklaux, 2017-02-20, 02:03:36

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Wortklaux

Warum wird eigentlich "lebend" und "lebendig" auf verschiedenen Silben betont? Ist diese Betonungsverschiebung nicht vollkommen undeutsch? Bei anderen deutschen Wörtern wie "elend, elendig" und "Weitsicht, weitsichtig" ändert sich die Betonung durch das Hinzukommen eine weiteren Silbe am Ende doch nicht - im Gegensatz zu Fremdwörtern aus dem Lateinischen oder Griechischen, wie "Autor, Autoren" oder "Eros, Erotik".

Vilinthril

Zitat von: Wortklaux in 2017-02-20, 02:03:36
Bei anderen deutschen Wörtern wie "elend, elendig"
Ähm, doch. Zumindest in Österreich (Bayern vmtl. auch?) gibt's ausschließlich ,,eléndig".

Erseht!

In jungen Jahren habe ich mich sehr gewundert, warum diese eine Figur in der Herr-der-Ringe-Reihe einen so fiesen Namen wie "Elendil" hat. War der ein besonders elender Typ, oder was? Dann stellte sich die fancy Betonung auf der zweiten Silbe heraus (Eléndil) und ich verlor schlagartig das Interesse. Naja.

Homer


Kilian

Zitat von: Wortklaux in 2017-02-20, 02:03:36
Warum wird eigentlich "lebend" und "lebendig" auf verschiedenen Silben betont?


Zitatdas ahd. lebentig (Graff 2, 43), altniederfr. levindig (getimberd mit then levindigon stênon. Werdener psalmencommentar 58), mhd. lebendec, ist eine jener nicht häufigen weiterbildungen auf -ig, die von participien präs. ausgehen (...). sie trägt, wie natürlich, in der alten sprache den hochton auf der ersten, der stammsilbe (...). das auffallende und höchst vereinzelte abgleiten des hochtons von der stamm- auf die nächstfolgende bildungssilbe ist schon bei einem fahrenden des 13. jahrh. zu beobachten: (...) indes wol nur in folge einer ungenauen betonung, die sich bei diesem dichter mehrfach findet, gegenüber der richtigen: (...) im 16. jahrh. aber, wo das wort von allen ähnlichen bildungen allein übrig geblieben ist und neben einer reihe von ableitungen steht, die den hochton unmittelbar vor der ableitungssilbe -ig haben (vgl. von dreisilbigen beständig, verdächtig, gefräszig, ergibig, gewärtig, gesprächig und viele andere), beginnt lebendig in der betonung sich nach diesen zu richten (...).

http://woerterbuchnetz.de/DWB/?lemma=lebendig

Es liegt also (zumindest suggeriert das das DWB) an der seltenen morphologischen Struktur von lebendig, wodurch es per Analogie die Betonung ähnlicher, aber anders gebildeter Wörter wie gesprächig oder beständig annahm.

Wortklaux

Danke für die fachliche Unterbutterung, die meine Vermutung bestätigt, dass es sich eigentlich um etwas ganz Undeutsches handelt. Schön, dass es die Ösis auch mit "elendig" machen.*) In diesen Wörtern entsteht dann auch ein sonst in der deutschen Sprache (wenn ich mich nicht irre) nicht vorkommender Vokal, nämlich ein kurzes und unbetontes, aber geschlossenes e in der ersten Silbe.

Vielleicht kekünne man solche irregulären Aussprachen auch ins Neutsche einführen:
weséntlich
abéndlich
jugéndlich
ordéntlich
usw.

*) Die Ösis sind eben doch undeutsch. Und die Bayern dürfen in ihrem Freistaat sowieso machen, was sie wollen.

Berthold

#6
Zitat von: Vilinthril in 2017-02-20, 09:31:35
Zitat von: Wortklaux in 2017-02-20, 02:03:36
Bei anderen deutschen Wörtern wie "elend, elendig"
Ähm, doch. Zumindest in Österreich (Bayern vmtl. auch?) gibt's ausschließlich ,,eléndig".

Im Wiener Raum geronden - als öléndich, aber auch öléntich. Das "l" ist hier - zumindest in Wiener Neustadt (das war ja "einst" steirisch) - so ein seltsamer ü-haltiger Laut, mit etwas zurückgebogener Zungenspitze*. Bei "der Elendige" kann das "g" wohl auch erhalten bleiben - also "da öléndiche, da öléntiche, aber wohl auch "einfach" da öléndige. Das "r" kann hier wahrscheinlich im Zorne erhalten bleiben: "dar öl(´ä)èntiche Kea(d)l!"
*In meinem Dialekt fallen mir, je nach Nachbarschaft (und vielleicht auch Bevölkerungsschicht), gleich einmal vier verschiedene "l"-Allophone ein - das "einfache", das "pl", das "gl" (ein etwa von Norddeutschen unnachahmlicher Laut) und das "dl" (das vielleicht aus dem Tschechischen stammt und in jüngerer Zeit möglicherweise seltener wird). Zur "Lampe" sagen vielleicht gegenwurgt wenige "(D)laompm".