Fugenlaute

Begonnen von Kilian, 2006-04-10, 23:10:45

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Kilian

Die Fugenlaute gehören zu den unberechenbarsten Phänomenen der deutschen Sprache und haben auch hier schon mal für Verwirrung gesorgt (siehe Apostelngymnasium). Zeit, Herrn Wustmann zu Wort kommen zu lassen!

Tintefaß oder Tintenfaß?
Zusammensetzungen aus zwei Substantiven wurden im Deutschen ursprünglich nur so gebildet, daß der Stamm des ersten Wortes, des Bestimmungswortes, vorn an das zweite, das bestimmte Wort angefügt wurde, z. B. Tage-lohn; das e in Tagelohn ist der abgeschwächte Stammvokal. Später sind zusammengesetzte Wörter auch dadurch entstanden, daß ein vorangehendes Substantiv im Genitiv mit einem folgenden durch einfaches Aneinanderrücken verschmolz, z. B. Gottes-dienst. Nun endet bei allen schwachen Femininen der Stamm ursprünglich ebenso wie der Genitiv, beide gehen eigentlich auf en aus, und so haben diese schwachen Feminina eine sehr große Zahl von Zusammensetzungen mit en gebildet, auch in das Gebiet der starken Feminina übergegriffen, sodaß en zum Hauptbindemittel für Feminina überhaupt geworden ist. Man denke nur an Sonnenschein, Frauenkirche (d. i. die Kirche unsrer lieben Frauen, der Jungfrau Maria), Erdenrund, Lindenblatt, Aschenbecher, Taschentuch, Seifensieder, Gassenjunge, Stubenthür, Schneckenberg, Küchenschrank, Kohlenzeichnung, Gallenstein, Leichenpredigt, Wochenamt, Reihenfolge, Wiegenlied, Längenmaß, Breitengrad, Größenwahn, Muldenthal, Pleißenburg, Parthendörfer, Markthallenstraße u. a. Sogar Lehn- und Fremdwörter haben sich dieser Zusammensetzung angeschlossen, wie in Straßenpflaster, Tintenfaß, Kirchendiener, Lampenschirm, Flötenspiel, Kasernenhof, Bastillenplatz, Visitenkarte, Toilettentisch, Promenadenfächer, Kolonnadenstraße.
   Bei dem einfachen Zusammenrücken von Wörtern stellten sich aber nun Genitive im Plural als erster Teil der Zusammensetzung ein, und das hat neuerdings zu einer traurigen Verirrung geführt. Man bildet sich ein, das Binde-en sei überhaupt nichts anderes als das Plural-en, man fühlt nicht mehr, daß dieses en ebenso gut die Berechtigung hat, einen weiblichen Singular mit einem folgenden Substantiv zu verbinden, und so schreibt und druckt man jetzt wahrhaftig aus Angst vor eingebildeten widersinnigen Pluralen: Aschebecher, Aschegrube, Tintefaß, Jauchefaß, Sahnekäse, Hefezelle, Hefepilz, Rassepferd, Stellegesuch, Muldethal, Pleißeufer, Gartenlaubekalender, Sparkassebuch, Visitekarte, Toiletteseife, Manschetteknopf, Promenadeplatz, Chokoladefabrik usw. In allen Bauzeitungen muß man von Mansardedach und von Lageplan lesen (so haben die Architekten, die ja erfreulicherweise eifrige Sprachreiniger sind, Situationsplan übersetzt), in allen Kunstzeitschriften von Kohlezeichnungen, offenbar damit nicht einer denke, die Zeichnungen wären mit einem Stück Stein- oder Braunkohle aus dem Kohlenkasten gemacht – nicht wahr? Wer nicht fühlt, daß das alles das reine Gestammel ist, der ist aufrichtig zu bedauern. Es klingt genau, wie wenn kleine Kinder dahlten, die erst reden lernen und noch nicht alle Konsonanten bewältigen können. Man setze sich das nur im Geiste weiter fort – was wird die Folge sein? daß wir in Zukunft auch stammeln: Sonneschein, Taschetuch, Gosestube, Cigarrespitze, Straßepflaster, Roseduft, Hülsefrucht, Laubedach, Geigespieler, Ehrerettung, Wiegelied, Aschebrödel usw.*) Sollten einzelne dieser Wörter vor der Barbarei bewahrt bleiben, so könnte es nur deshalb geschehen, weil man annähme, ihr Bestimmungswort stehe im Plural, und der sei richtig, also ein Taschentuch sei nicht ein Tuch für die Tasche, sondern – für die Taschen!
   Wo das Binde-en aus rhythmischen oder andern Gründen nicht gebraucht wird, bleibt für Feminina nur noch die eine Möglichkeit, den verkürzten Stamm zu benutzen, der wieder mit dem eigentlichen Stamm der alten starken Feminina zusammenfällt und durch ihn überhaupt erst in der Zusammensetzung mit Femininen aufgekommen ist. So findet sich in früherer Zeit Leichpredigt neben Leichenpredigt, und so haben wir längst Mühlgasse neben Mühlenstraße, Erdbeere neben Erdenrund, Kirchspiel und Kirchvater neben Kirchenbuch und Kirchendiener, Elbthal, Elbufer und Elbbrücke neben Muldenthal und Muldenbett. Aber ein Wort wie Saalezeitung oder Solebad, wie man auch neuerdings zu lallen anfängt (das Solebad Kissingen), ist doch die reine Leimerei. Bei Saalzeitung könnte wohl einer an den Saal denken statt an die Saale? Denkt denn beim Saalkreis, beim Saalwein und bei der Saalbahn jemand dran?**) Als 1747 das erste Rhinozeros nach Deutschland kam, nannten es die Leute bald Nashorn, bald Nasenhorn. Hätte man das Tier heute zu benennen, man würde es unzweifelhaft Nasehorn nennen.
   Besonders bei der Zusammensetzung mit Namen wird jetzt (z. B. bei der Taufe neuer Straßen oder Gebäude) fast nur noch in dieser Weise geleimt. Wer wäre vor hundert Jahren imstande gewesen, eine Straße Augustastraße, ein Haus Marthahaus, eine Garten Johannapark zu nennen! Da sagte man Annenkirche, Katharinenstraße, Marienbild, und es fiel doch auch niemand ein, dabei an eine Mehrzahl von Annen, Katharinen oder Marien zu denken.

   *) Höhepunkt und Blütezeit haben wir ja schon längst, und doch wurden auch sie anfangs richtig gebildet: Höhenpunkt, Blütenzeit.
   **) Ein Jammer ist es, auf Weinkarten und Weinflaschen jetzt Liebfraumilch lesen zu müssen! Wahrscheinlich zur Entschädigung dafür schmuggelt man das en in den Niersteiner ein, der nun Nierensteiner heißt. Leider ist nur Nierstein nicht von der Niere, sondern vom Kaiser Nero genannt. Visitekarte und Manschetteknopf soll vielleicht Visittkarte und Manschettknopf gesprochen werden – gehört habe ichs noch nicht, man siehts ja immer nur gedruckt –; aber wozu mit einemmal die französische Aussprache?

Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 2. Auflage 1896 (schräg statt sperr)

Kilian

#1
Das Binde-s
In unerträglicher Weise greift jetzt das unorganisch eingeschobene s in zusammengesetzten Wörtern um sich. In Himmelsthor, Königstochter, Gutsbesitzer, Amtstracht, Blutsfreund, Feuersgefahr, Hungersnot kann man ja überall das s als die Genitivendung des männlichen oder sächlichen Bestimmungswortes auffassen, ebenso in vertragsbrüchig und beispielsweise, wiewohl es auch solche Zusammensetzungen giebt, in denen der Genitiv keinen Sinn hat, das s also nur als Bindemittel betrachtet werden kann, z. B. Rittersmann. Aber wie kommt das s an Wörter weiblichen Geschlechts, die gar keinen Genitiv auf s bilden können? Wie ist man dazu gekommen, zu bilden: Liebesdienst, Hilfslehrer, Geschichtsforscher, Bibliotheksordnung, Arbeitsliste, Geburtstag, Hochzeitsgeschenk, Weihnachtsabend, Zukunftsmusik, Einfaltspinsel, Zeitungsschreiber, Hoheitsrecht, Sicherheitsnadel, Wirtschaftsgeld, Konstitutionsfest, Majestätsbeleidigung, ausnahmsweise, rücksichtsvoll, vorschriftsmäßig?
   Dieses Binde-s stammt ebenso wie das falsche Plural-s aus dem Niederdeutschen. Dort wird es wirklich aus Verlegenheit gebraucht, um von artikellosen weiblichen Hauptwörtern einen Genitiv zu bilden wie Mutters Liebling, vor Schwesters Thür, Madames Geschenk (Lessing: Antworts genug, über Naturs Größe), und aus diesem Verlegenheits-s ist dann das Binde-s geworden. Es gehört aber erst der neuern Zeit an. Im Mittelhochdeutschen findet es sich nur vereinzelt, erst im Neuhochdeutschen ist es eingedrungen, hat sich dann mit immer größerer Schnelligkeit verbreitet und sucht sich noch immer weiter zu verbreiten. Schon fängt man an zu sagen: Doktorsgrad, Wertspapiere, Fabriksniederlage, Einnahmsquelle, Niederlagsraum, Personsbeschreibung, ja in einzelnen Gegenden Deutschlands sogar schon Stiefelsknecht, Erbsmasse, Stadtsgraben, Nachtswächter, Zweimarksstück, schiffsbrüchig u. a. Das widerwärtigste wegen ihrer Häufigkeit sind wohl die Zusammensetzungen mit Miets-: das Mietshaus, die Mietskaserne, der Mietsvertrag, der Mietspreis.
   Nur eine Wortgattung hat sich des Binde-s bis jetzt glücklich erwehrt: die Stoffnamen. Von Gold, Silber, Wein, Kaffee, Mehl, Zucker usw. wird nie eine Zusammensetzung mit dem Binde-s gebildet. Nur mit Tabak hat man es gewagt: Tabaksmonopol, Tabaksmanufaktur, natürlich durch das verwünschte k verführt. Der Fabrikstabak und die Tabaksfabrik sind einander wert. Die Tabakspfeife geht freilich schon weit zurück.
   Wo das falsche s einmal festsitzt, da ist nun freilich jeder Kampf vergeblich, und das ist der Fall bei allen Zusammensetzungen mit Liebe, Hilfe, Geschichte, hinter vielen weiblichen Wörtern, die auf t endigen, ferner bei allen, die mit ung, heit, keit und schaft gebildet sind, endlich bei den Fremdwörtern auf ion und tät. Hier jetzt noch den Versuch zu machen, das s wieder loszuwerden, wäre aussichtslos und lächerlich.*) Wo es sich aber noch nicht festgesetzt hat, wo es erst einzudringen versucht, da müßte doch der Unterricht alles aufbieten, es fernzuhalten, das Sprachgefühl für den Fehler wieder zu schärfen. Es ist das gar nicht so schwer, wie es auf den ersten Blick scheint, denn dieses Binde-s ist ein solcher Wildling, daß es nicht die geringste Folgerichtigkeit kennt. Warum sagt man Rindsleber, Schweinsleber, vertragsbrüchig, inhaltsreich, beispielsweise, hoffnungslos, da man doch Kalbleder, Schafleder, wortbrüchig, gehaltreich, schrittweise, gefühllos sagt?
   Nach Hilfe wird übrigens in der guten Schriftsprache ein Unterschied beobachtet: man sagt Hilfsprediger, Hilfslehrer, Hilfsbremser, hilfsbedürftig, auch aushilfsweise, dagegen Hilferuf und Hilfeleitung, weil man bei diesen beiden mehr das Akkusativverhältnis fühlt, bei den übrigen bloß die Zusammensetzung. Ähnlich ist es mit staatserhaltend, das man neuerdings für konservativ gebildet hat (wie vaterlandsliebend für patriotisch), im Gegensatz zu kriegführend. Niemand redet von kriegsführenden Mächten, weil hier die einzelne Handlung vorschwebt und deshalb der Akkusativ (Krieg) deutlich gefühlt wird, während vaterlandslieben und staatserhaltend eine dauernde Gesinnung bezeichnen.**)

   *) Jean Paul hat schon 1817 einmal den Versuch gemacht, diese s-Krätze, wie er es nannte, zu bekämpfen, merzte auch aus einer neuen Auflage seines Siebenkäs alle falschen s aus. Es ist aber ganz vergeblich gewesen. Und ebenso vergeblich wird es sein, daß es jetzt die in Berlin erscheinende Wochenschrift Die Zukunft wieder versucht. Die Mitarbeiter sollten sich das einfach verbitten.
   **) Unter den hunderten mit Liebe gebildeten Zusammensetzungen hat nur eine das s nicht: liebedienerisch, Liebedienerei, offenbar ebenfalls deshalb, weil hier deutlich ein Dativ gefühlt wird.

ebd. ebs.

Fleischers Karsten

#2
Die größte Dummheit hat Herr Wustmann im Vorwort der ersten Auflage aus dem Jahre 1891 selbst fabrizoren. Es ward anscheinend aus den folgenden Auflagen getulgen:

Die Sprache wird heute so schnell umgebildet, daß sie heute verkommen und verlottert ist. Unbeholfenheit und Schwerfälligkeit, Schwulst, Ziererei und grammatische Fehlerhaftigkeit nehmen zu. An die Stelle einer guten Schriftsprache ist eine häßliche Papiersprache getreten. Dazu kommt noch die Ausländerei, eine Erbschwäche des Deutschen. Der Deutsche mag so alt werden, wie er will, er wird immer und ewig der Affe der anderen Nationen bleiben. Franzosennachäfferei und Engländernachäfferei sind verbreitet. [...] Der eigentliche Herd und die Brutstätte dieser Verwilderung sind die Zeitungen, genauer die Tagespresse. Seit der Pressefreiheit von 1848 gibt es ein Überangebot, das zur Verwilderung führt. [...] Vor allem sind die Juden an diesem Verfall schuld: Ein großer Teil unseres heutigen Sprachunrats geht ausschließlich auf das Judendeutsch der Berliner und Wiener Tagespresse zurück. Der Grund dafür ist, daß die Vorfahren der Juden noch nicht Deutsch als Muttersprache sprachen. Deshalb beherrscht der Jude die deutsche Sprache nicht so gut: So flink sich auch der Jude in die Elemente der deutschen Grammatik findet, wo es aufs Sprachgefühl ankommt, bleibt er doch ewig der Fremde. [...] Die eigentlich Schuldigen sind aber in der Schule zu suchen: Wo stammen sie denn her, die Deutschverderber der letzten vierzig Jahre, wenn nicht aus der deutschen Schule? Wir haben ja gar keinen deutschen Unterricht!

Gefunden hier
Karsten