Moosthierchen

Begonnen von Berthold, 2006-08-07, 19:43:57

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Berthold

Liebe Leute!
Ich kopier Euch einen kleinen Aufsatz hinein (Korrektur nur an zwei Stellen), welchselbiger auch mit Demi- & Diminutiven zu tun hat. Außerdem ist das Thema nicht eben ein Alltagsthema. Hintergrund: In der zoologischen Fachzeitschrift 'Denisia' - einem Katalogband zu einer Ausstellung in Linz - wurden Autoren veranlaßt, 'Moostiere', statt, wie's richtig heißt, 'Moost(h)ierchen' zu schreiben. Das h schlösse zumindest die 'Moo-Stierchen' aus, die gar klalchg briällen, auf öder Heide oder anderswo:

"Durch ein winziges Aufsatz'l, mehr Meinungsäußerung und kleine Stoffsammlung als Diskussionsbeitrag, muß ich das Einerlei meiner Arbeit heute denn doch unterbrechen.
Und zwar kommt es mir so vor, als hätte ich durch meine ausgefallene Schreibung die Moosthierchen nochmals gegenüber den Moostieren gerettet. Gerade eben noch gerettet. Deine Intuition, Bertl(!) - Mars im Wassermann - oder was weiß ich...
Moostiere?
Nun freilich, da bekam ich neulich ein Brieflein von verschiedenen Pflanzen, worin sich die bedanken, daß sie nun endlich nicht mehr so verkleinernd - und damit etwas verniedlichend herabwürdigend - genannt werden. Folgende Arten haben unterschrieben: die Gänse- und Hungerblume, die Buschwind- und Kohlrose (die mancherorts auch Blutstropfen oder Sonnwendschober genannt wird), die Weißzunge, der Waldvogel (Rot, Weiß, Schwertblättrig...), die Katzenpranke, die Maßliebe, die Pfaffenkappe, das Buschenschön, die Brillenschote, das Löwenmaul, die Hirtentasche, die Stiefmutter, der Dirnenstrauch und das Grasschwert. Neben der Hasen- und der Moosglocke fällt vor allem die Schneeglocke auf, die den Frühling nun so richtig - und ohne falsche Lieblichkeit - einbommen kann. Nur das März- oder auch Usambaraveil, das hat halt ein bißchen was Abgestutztes.
Aber im Ernst: Die Deminutivsuffixe des Deutschen haben, selbst für Tierklassen verwendet, gar nichts Herabwürdigendes oder ungebührlich Verniedlichendes. Sie lassen einfach erkennen, daß ein kleines (zartes) Wesen da ist. Ich glaube, das ist schon ein wenig mehr als lediglich Bertis bescheidene Meinung. Da ließe sich eine Umfrage bei denen GermanistInnen wagen.
Krallenaffen wären wohl recht gefähliche Gesellen. Silberfische und Essigaale erschienen mir zu dick aufgetragen. Das Geißeltier hätte fast einen perversen Beigeschmack. Beim Wimpertier würde die Zartheit einer Wimper nicht mit dem (neutralen) Tier übereinstimmen. Das Glockentier lauerte in der Turmstube auf den allzu arglosen Glöckner. Das Sonnentier hätte fast kosmische Dimensionen. Das Bärtier stampfte ganz schön daher - und auch beim Moostier (die Gattungsnamen der einheimischen Süßwasserarten sind - außer Lophopus - übrigens alle Deminutivformen) würde ich gefühlsmäßig zumindest Igelgröße erwarten. Das Eichhorn (mit einem or''ntlichen "Heampa" auf der Stirn) ließe manchen Edelmarder alt ausschauen. Das Hauskanin sprengte manchen Hasenstall. Und endlich die Schmetterlinge. Sehr ansehnliche Falter wären es: der Federgeist, der Widder und die Frühlings-Landkarte - ...
Das Deutsche hat ohnehin im Vergleich mit anderen Sprachen so grauslich wenige Deminutivformen, daß die paar (: auch das ist schon fast zu viel gesagt) erhalten werden sollten! Meine echte Meinung!
Blick ich, nur knapp, aufs Italienische (mit dem Griechischen ist es nicht anders - und mit den slawischen Sprachen dürfte es sich ähnlich verhalten): diese Vielzahl an Suffixen (!!): der Verkleinerung (damit ist öfters etwas Feines, Liebes, positiv Betrachtetes gemeint): -ino/a, -etto/a, -ello/a, -icello/a, -icciolo/a // ausgesprochene Koseformen (auch mit Verkleinerung verbunden): -uccio/a, -otto/a, -acchiotto/a, -olo/a, -uzzo/a
der Abwertung (das Italienische hat diese Formen (z.T. "die bösen kleinen...") wirklich): -accio/a, -astro/a, -ucolo/a, -azzo/a, -onzolo/a, -uncolo/a, -uzzo/a, -iciattolo/a - und endlich Vergößerungen (damit aber oft auch Vergröberungen): -one/a (z.B. "un donnone"!), -accione/a, -acchione/a.
Das Griechische unterscheidet hier noch dazu Formen, die nur auf ein Geschlecht anwendbar sind.
Ich hätte auch ein bißchen was zur Etymologie von -chen und -lein nachgeschlagen, erspar Ihnen und mir aber das meiste davon, außer vielleicht einen Hinweis auf das germanische Suffix (ohne Längenzeichen geschrieben) -ina (wahrscheinlich im -lein steckend), das ursprünglich eine Zugehörigkeit, Abstammung ausdrückt, daher auch "das Kleine", "das Junge" bezeichnen kann; vgl. Gotisch gaits (Geiß) und gaitein (das Junge der Geiß, Geißlein). Ich sehe auch von Mutmaßungen in "Völkerpsychologie" ab, warum etwa wir (in einer gewissen "Härte" und "Nüchternheit", die sich womöglich in Österreich von Osten nach Westen zu noch verstärkt...) sprachlich vieles an gefühlsmäßiger Beziehung zu Lebewesen gar nicht ausdrücken können (oder wollen), was den Tschechen oder Italienern leichter fällt (bitte, nun keine Nebenbemerkung über den Singvogelfang...)
Was ich zusammenfassend sagen wollte:
Die Deminutivformen sind im Deutschen (nicht im Dialekt!) so selten, daß sie bewahrt werden sollten. Vom Grundlegenden her drückt das Deutsche damit eine Verkleinerung, doch noch keine Herabminderung, Entwürdigung oder ungebührliche Verniedlichung aus. -tierchen ist auch sinnvoll, weil es einen Hinweis auf geringe Größe gibt, der im bloßen -tier nicht läge. Unter einem Moostier stellt sich ein (diesbezüglich) Unwissender (Ich hab's ein wenig im Café Hummel, meinem Stammbeisel, getestet) einfach nicht automatisch auch etwas Kleines vor.
Ich finde weiters, daß ZoologInnen oft schlecht daran taten, sprachbildend sein zu wollen. Oder gefallen sie Ihnen wirklich (trotz der fast philosophischen Befrachtung, die die "Moostiere" ja gar nicht haben): die Greifvögel, die Beutegreifer, die Prädatoren, die Insekten- oder sonstwas -esser und die Tintenschnecken?
Mir erscheint das zwar kein blanker Unsinn zu sein, aber halt doch ein bisserl ein Unsinnchen, ein Unsinnderl.
Das war alles, was ich schreiben wollte.
Herzlichst!
Berthold Janecek
P.S.: Seine FreundInnen nennen ihn, wegen seiner gelegentlichen Umtriebe zur vorösterlichen Zeit, bisweilen den Palmkater."

Hoffentlich habe ich das noch nie ins Forum gestollen!
Herzlichst!
Der Berthold


Berthold

#1
Ich schreib da nur was her, damit die 'Moosthierchen' nicht ganz ohne Antwort bleiben.
Und: Was, 35x soll ich da schon hineingeschauen haben? Das ist viel.

Kilian

Du allein? Nee, zumindest die Überschrift hat sicher das Interesse vieler geweckt. Sei im Übrigen insbesondere für die differenzorene Übersicht der italienischen Endungen bedankt, die haben's mir angetan. :)

Fleischers Karsten

Auch ich, lieber Bertl, habe hier öfter mal reingeschauen, gerade wegen der Diminutiva, über die Herr A.J. Storfer (auch Wiener) so harrle Abhulnden schrieb.
Karsten

Berthold

Zitat von: Fleischers Karsten in 2006-08-19, 01:36:37
Auch ich, lieber Bertl, habe hier öfter mal reingeschauen, gerade wegen der Diminutiva, über die Herr A.J. Storfer (auch Wiener) so harrle Abhulnden schrieb.
Lieber Karsten!
Ich hab den Storfer auch gerne durchargebitten.

Berthold

#5
Zitat von: Kilian in 2006-08-18, 21:41:25
Du allein? Nee, zumindest die Überschrift hat sicher das Interesse vieler geweckt. Sei im Übrigen insbesondere für die differenzorene Übersicht der italienischen Endungen bedankt, die haben's mir angetan. :)
Lieber Kilian!
Ach, Du mienst den Hundatz (oder Hündatz) oder das Hündatze[r]l, den kleinen, bösen Hund, bezogst Dich auf die österreichischen Lulatsche, Dalkerpatsche und Schlampertatsche (Ich bin zu faul, nachzulesen, ob es sich hier um italianisierende Ende handeln kekünne.). Der Poetaster, der Philosophaster, die sind ja bereits bekannt.
Ferner: Nicht alle kurzen literarischen Werke sind den langen Schwarten/Schwartonen überlegen. Es gibt schon auch grindige Büchatze, Büchatze[r]ln oder Büchatsche[r]ln, wenig mehr denn gemrud'ne Bäumutzerln.
Tscha, machen ließe sich da einiges...
Ganz herzlich!
Der Berthold


Berthold

Ein liebes Sprichwörtlein (Frau Dr. Emmy Wöss* ganz harlz gewamden):
Immer, wenn du glaubst, es geht nicht mehr weiter, geht irgendwo ein Moosthürchen auf.

*Österreichs bedeutendste und charmanteste Moosthierchenforscherin

Kilian

Kann man in jeder guten portologischen Schausammlung, auch bekannt als Tausend-Türen-Tempel, besichtigen.

Berthold

Zitat von: Kilian in 2006-08-22, 21:38:39
Kann man in jeder guten portologischen Schausammlung, auch bekannt als Tausend-Türen-Tempel, besichtigen.
Sicher. - Und wie unhoylm wäre dagegen: ein Moosthor.
- Höchstens so ein uralter, kalnd reiner Bryologe, der kekünne so genannt werden.

Berthold

#9
Zitat von: Kilian in 2006-08-22, 21:38:39
Kann man in jeder guten portologischen Schausammlung, auch bekannt als Tausend-Türen-Tempel, besichtigen.
Solcherlei Scheysülmmen wären gewulgt, schlössen sie auch Häfen ein.

Kilian

Zitat von: Berthold in 2006-08-07, 19:43:57Das Deutsche hat ohnehin im Vergleich mit anderen Sprachen so grauslich wenige Deminutivformen, daß die paar (: auch das ist schon fast zu viel gesagt) erhalten werden sollten! Meine echte Meinung!
Blick ich, nur knapp, aufs Italienische (mit dem Griechischen ist es nicht anders - und mit den slawischen Sprachen dürfte es sich ähnlich verhalten): diese Vielzahl an Suffixen (!!): der Verkleinerung (damit ist öfters etwas Feines, Liebes, positiv Betrachtetes gemeint): -ino/a, -etto/a, -ello/a, -icello/a, -icciolo/a // ausgesprochene Koseformen (auch mit Verkleinerung verbunden): -uccio/a, -otto/a, -acchiotto/a, -olo/a, -uzzo/a
der Abwertung (das Italienische hat diese Formen (z.T. "die bösen kleinen...") wirklich): -accio/a, -astro/a, -ucolo/a, -azzo/a, -onzolo/a, -uncolo/a, -uzzo/a, -iciattolo/a - und endlich Vergößerungen (damit aber oft auch Vergröberungen): -one/a (z.B. "un donnone"!), -accione/a, -acchione/a.
Das Griechische unterscheidet hier noch dazu Formen, die nur auf ein Geschlecht anwendbar sind.

Auf der vergangenen PerVers erarnn ich mich dieses Reichtums und fand soeben, dass unter http://de.wikipedia.org/wiki/Diminutivsuffix eine zwar noch nicht lange, aber doch schon ganz hübsche Liste mit Diminutivsuffixen verschiedener Sprachen besteht.