Genitiv-Verben, -Präpositionen etc.

Begonnen von Mohrle, 2004-12-06, 18:00:35

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Mohrle

In der Deklinationstabelle des Personalpronomens fehlt beim Beispiel "wegen" der Hinweis, dass "wegen meiner, seiner etc." nur theoretisch richtig gebildet ist, es aber hochsprachlich "meinet-, deinet-, seinet-, ihret-, unsret-, euretwegen" heißt.

gehabt gehabt

Als mal, es war zu Napoleons Zeiten, ein Deutscher eine
Franzoesin in ihrem Franzoesisch verbessern wollte, und sich auf
die Grammatik berief, antwortet diese: Mais le grammaire, c'est moi.

Wenn also eine Menge von Leuten mit Sprachgefuehl "wegen meiner" benutzen und sich bei ihnen  nichts dagegen straeubt, heisst das, dass diese Form nicht falsch sein kann.

"Meinetwegen" geht natuerlich all denen glatt ueber die Lippen, die glauben, wegen komme mit dem Dativ, und eigentlich koenne es auch heissen: wegen mir. In meiner Dudengrammatik (Ausgabe von
1973 steht, dass wegen meiner veraltet oder landschaftlich sei).

Ich interpretiere es so, dass es nicht falsch ist. (wahrscheinlich ist sowieso 50% dieser Dudengrammatik inzwischen selbst mit den 68ern veraltet) .

amarillo

#2
Wegen meiner soll es leben,
Dieses genitiv'sche Bild.
Möchte nicht an dem nur kleben,
Waß im und durch den Duden gilt.  ;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: Mohrle in 2004-12-06, 18:00:35In der Deklinationstabelle des Personalpronomens fehlt beim Beispiel "wegen" der Hinweis, dass "wegen meiner, seiner etc." nur theoretisch richtig gebildet ist, es aber hochsprachlich "meinet-, deinet-, seinet-, ihret-, unsret-, euretwegen" heißt.

Ich sehe die Wörter "meinetwegen" usw. nicht als direkte Konkurrenz zu "wegen meiner" usw. im Sinne von richtig/falsch, vielmehr liegen hier zwei unterschiedliche, friedlich koexistierende Formulierungsmöglichkeiten vor. Da "meinetwegen" usw. erstarrte Zusammenziehungen sind, werden sie unter "Rettet des Genitivs!" auch nicht erwähnt.

Es wäre auch unvernünftig, dem Duden (?) zu folgen und "wegen meiner" durch "meinetwegen" zu ersetzen, da "meinetwegen" durch entsprechenden Sprachgebrauch bedeutungsmäßig in Richtung "von mir aus, an mir soll's nicht scheitern, ich habe nichts dagegen" gefärbt ist, "wegen meiner" jedoch schlicht "ich" in Abhängigkeit von der Präposition "wegen" ist - also viel neutraler. Das kann sehr nützlich sein.

Danke an gehabt gehabt und mal sehen fürs Rückenstärken. :-)

Mohrle

Zu Antwort 3: Vielen Dank für die Antwort, auch den Antwortern 1 und 2 meinen Dank. Die Dativvermutung zieht kaum: Im Singular könnte sie höchstens der Dativ "ihr" stützen, alle anderen "...twegen"-Formen haben das "r" aus den Genitivformen des Person.pronomens, und für die Pluralformen von "...twegen" gilt Letzteres durchweg.  Im "Duden, Zweifelsfälle der deutschen Sprache", 2. Aufl., 1972, S. 458, li. Sp. steht: "In gutem Deutsch" - um das geht's uns doch - "sagt man 'meinetwegen'; 'wegen mir' ist umgangssprachlich, 'wegen meiner' ist veraltet."


Kilian

Zitat von: Mohrle in 2004-12-07, 09:04:49"In gutem Deutsch" [...] "sagt man 'meinetwegen'; 'wegen mir' ist umgangssprachlich, 'wegen meiner' ist veraltet."

Veraltetes Deutsch = schlechtes Deutsch?
Gutes Deutsch = Dudendeutsch?

Zitatum das geht's uns doch

Das sagst du so selbstverständlich daher, aber es ist doch offenkundig, dass es dem Duden eher um standardisiertes, risikofreies Deutsch geht und uns mehr um vielfältiges, formulierungsreiches, mannigfache gute und schöne Ausdrucksmöglichkeiten bergendes Deutsch.

MrMagoo

Es gibt kein "schlechtes" Deutsch - und "falsches" nur in Bezug auf normative Grammatiken ("So SOLL geschrieben/gesprochen werden),  welche (zufälligerweise) im Deutschen diejenige von Duden ist.  

Demnach sind Konstruktionen wie
"Gestern war ich zwei Stunden am Lesen" und "Unser Omma ihr Hut sein Band"
auf der Normebene (und NUR dort) zwar falsches, aber noch lange kein schlechtes Deutsch!

Laßt euch die herrliche deutsche Sprache nicht von 'dummen' Dudenregeln kaputtmachen!

Es grüßt
MrMagoo
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2004-12-06, 19:14:21
Wegen meiner soll es leben,
Dieses genitiv'sche Bild.
Möchte nicht an dem nur kleben,
Waß im und durch den Duden gilt.  ;D


EBEN! ;-)

Die Idee Idee mit dem "waß" halte ich für überaus logisch und begrüßenswert, ich werde versuchen, sie in meinen Schriftverkehr zu übernehmen. ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

#8
ZitatDie Idee Idee mit dem "waß" halte ich für überaus logisch und begrüßenswert, ich werde versuchen, sie in meinen Schriftverkehr zu übernehmen. ;)

Gottfried von Strassburg ist auch ohne sz
ausgekommen, und es scheint  mir (ich bin
aber kein Profi, und bitte deshalb um Bestaetigung oder Widerlegung), dass das Mhd in seiner Rechtschreibung wesentlich folgerichtiger und oekonomischer war als die heutige Schreibweise. Und das obschon das Mhd anscheinend viel lautreicher war als unser Hochdeutsch. Mir gefaellt
beispielsweise, dass es anscheinend ohne Konsonantenverdopplung auskommt, um lange und kurze Vokale zu kennzeichnen. Die Diphtonge werden anscheinend auch geschrieben, wie man sie sprach (wuerde man es so machen, muesste man kaizer schreiben und oiter). Die Grimms waeren am liebsten diesen Weg gegangen. Aber die waren ja schon immer notorische Radikalinskis.

MrMagoo

#9
Zitat von: gehabt gehabt in 2004-12-07, 22:44:54
Gottfried von Strassburg ist auch ohne sz
ausgekommen, und es scheint  mir (ich bin
aber kein Profi, und bitte deshalb um Bestaetigung oder Widerlegung), dass das Mhd in seiner Rechtschreibung wesentlich folgerichtiger und oekonomischer war als die heutige Schreibweise. Und das obschon das Mhd anscheinend viel lautreicher war als unser Hochdeutsch. Mir gefaellt
beispielsweise, dass es anscheinend ohne Konsonantenverdopplung auskommt, um lange und kurze Vokale zu kennzeichnen. Die Diphtonge werden anscheinend auch geschrieben, wie man sie sprach (wuerde man es so machen, muesste man kaizer schreiben und oiter). Die Grimms waeren am liebsten diesen Weg gegangen. Aber die waren ja schon immer notorische Radikalinskis.

"Das" Mittelhochdeutsche war keine überregional einheitliche Sprache, sondern bestand eigentlich aus vielen Dialekten. Eine einheitliche Rechtschreibung gab es im Mittelalter noch nicht. Für die Textausgaben der wichtigen mittelhochdeutschen Dichtungen, für Wörterbücher und Grammatiken wird das hauptsächlich auf Karl Lachmann zurückgehende "normalisierte Mittelhochdeutsch" oder "Normalmittelhochdeutsch" verwendet, eine Idealform des Mittelhochdeutschen, welches es allerdings in der Form so nicht gab.

Ökonomischer allerdings war "das" Mittelhochdeutsche allerdings schon, denn es orientierte sich stärker daran, wie gesprochen wurde und nicht nach dem etymologischen Verwandtschaftsverhältnis.
So ist im Mittelhochdeutschen die Auslautverhärtung in den meisten Fällen im Schriftbild sichtbar: tac (=Tag), diep (=Dieb) usw.

Desweiteren ist Vokallänge nur bei den Umlauten regelmäßig bezeichnet (ae, oe, iu [y:]), sonst entweder gar nicht oder (im Normalmittelhochdeutschen) durch ^ (â, ê, î, ô, û). Eine Konsonantenverdoppelung war im Übrigen meist gar nicht notwendig, da die meisten mittelhochdeutschen Vokale generell kurz gesprochen wurden, v.a. auch diejenigen, die in einer offenen Tonsilbe stehen und im Neuhochdeutschen fast immer gedehnt sind: sagen, leben, geben, haben, gegen, vogel, usw. usw.
Dennoch stehen Formen wie "wir riten" und "wir ritten" gleichberechtigt nebeneinander.

Die Diphthonge erlauben oft zwei Aussprachemöglichkeiten (wobei man sich für eine der beiden entscheiden und die dann konsequent durchführen sollte):
für "ei" gelten [ai] und [ei], für "ou" [au] und [ou], und auch "uo" läßt neben [ue] die Aussprache [uo] zu.

Jacob Grimm hatte vor allem auch die konsequente Kleinschreibung des Mittelhochdeutschen begrüßt. Die Großschreibung beschränkte sich hier nur auf Namen und auf Textabschnittsanfänge.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

gehabt gehabt

Schoenen Dank, mal wieder was dazu gelert. Das Aufstehen hat sich gelohnt.

MrMagoo

Zitat von: gehabt gehabt in 2004-12-08, 08:22:13
Schoenen Dank, mal wieder was dazu gelert. Das Aufstehen hat sich gelohnt.

Kein Problem, gern geschehn :)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Mohrle

Zu Antw. 5 bis 7: Ich bemerke mit Erstaunen bis Befremden, dass ich in  eine Gruppe von Sprachspielern, -experimentern, vielleicht sogar -verhunzern oder-vergewaltigern geraten bin; ihnen ist jede Sprachnorm (die nun einmal der Duden dokumentiert, nicht aber gesetzlich festlegt) verdächtig, wenn nicht sogar ein Gr(e)äuel. Mit dieser Gruppe kann ich mich nicht identifizieren und entschuldige mich für meine normorientierte Ergänzung zu "wegen meiner" etc. Mir scheint, dass manche auf das Wort Duden allergisch reagieren, ohne sich eigentlich klarzumachen, dass es ohne Duden ein Sprach-Tohuwabohu gegeben hätte und noch geben würde. Ein Blick über die Grenzen zeigt i.ü., dass es fürs Englische, Französische, Italienische, Spanische mit dem Duden  vergleichbare "Instanzen" gibt.

caru

ein blick über grenzen (der gar nicht nötig ist, daß es den duden gibt, der für fast jeden menschen die norm darstellt, sieht man auch so) zeigt aber auch, daß es gerade die sprachspieler sind, die nicht nur normen bewahren, sondern auch normen der zeitläufte anpassen und neue normen setzen, wo die alten verknöchert, ja versteinert sind und aufgegeben werden sollten.

der duden ist eine momentaufnahme: er setzt die norm für eine flüchtige gegenwart - und vom augenblick, in dem sich die kommission zusammensetzt, bis zum erschienenen buch ist diese gegenwart schon längst vergangenheit. allein deswegen sollte neben so gut wie allen ausdrücken im duden "veraltet" stehen - und wenn es neben allen steht, ist es bedeutungslos. also soll es gar nirgends stehen, auch nicht neben ausdrücken, die alters halber gar nicht in den duden aufgenommen wurden!
neologismen, neue idiomatische phrasen und ähnliches neue nehmen dudenartige publikationen meist gar nicht auf - oder erst, wenn es sich bewährt hat, also nicht mehr neu ist.
so ist der duden ewig morgig im weglassen des alten, ewig gestrig im ignorieren des neuen. was er enthält, ist das dünne substrat des über jahrzehnte und -hunderte gültigen, eines rundum beschnittenen kümmerdeutschs.
was für zeit gilt, gilt auch für raum: ob regional verbreitetes im duden landet, liegt letztlich in der willkür der herausgeber. und auch im regionalen gibt es altes und neues, und damit liegt's noch im ärgeren.

der sprachspieler, der dichter muß notwendigerweise aus dem vollen schöpfen, alles nutzen, was seine sprache hat und kann. er wird weder das veraltete scheuen noch das neuwort; er schreckt vor dem dialektalen nicht zurück, wenn es ihm hilft, seinen ausdruck zu verstärken oder zu verdeutlichen; er nimmt das fremde auf, weil ihm nichts fremd ist, und bewahrt stolz das eigene. so ist er verwalter, nutznießer und mehrer des sprachschatzes; konservator des augenblicks zu sein kann und soll ihm nicht genügen.

wen's stört, der lese "die sprache und ihre lehrer" von herrn f. rückert  :)
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

Kilian

#14
Liebes Mohrle, ich kann nicht recht nachvollziehen, dass es dich überrascht, im Forum einer "Gesellschaft zur Stärkung der Verben" auf Sprachspieler und -experimentierer (eine "Gruppe" existiert in dem Sinne nicht) zu treffen.

"gutes Deutsch", "vielleicht sogar -verhunzern oder-vergewaltigern" - das klingt ja, als gäbe es Wertnormen für Sprache. Sprache ist aber eine Frage von Konventionen. Da er solche festlegt, ist der Duden hilfreich und wertvoll, das habe ich nie bestritten. Den Unterschied zwischen seinem Umgang mit Sprache und der GSV habe ich völlig wertfrei dargestellt.

Nur weil wir hier über die Grenzen des Duden hinaus spielen, experimentieren und ernstzunehmende sprachliche Möglichkeiten erwägen, glaubst du, wir lehnen den Duden prinzipiell ab? Reagieren allergisch auf das Wort? Grausen uns vor jeder Sprachnorm? Das ist sehr schwarzweiß gedacht von dir. Der Duden ist weder die deutsche Sprache - das hat caru ja schon ausführlich dargelegt - noch ist er abzulehnen. Es geht darum, klar zu sehen, was er leisten kann und was nicht, ihm den richtigen Stellenwert einzuräumen. Ich würde ihn als nützliche Standardisierungsinstanz bezeichnen. Mit den Grenzen, die sie setzt, muss man es wegen der Grenzen, die sie naturgemäß hat, nicht so ernst nehmen, wie du es anscheinend tust.

Detailfragen:

ZitatSprachnorm (die nun einmal der Duden dokumentiert, nicht aber gesetzlich festlegt)

Der Duden dokumentiert Sprachnormen? Aber woher kommen dann diese Sprachnormen? So weit ich weiß, dokumentiert der Duden die faktisch vorhandene Sprache, und aus dieser Beschreibung werden dann Quasi-Normen - dadurch, dass viele Leute, auch Sprachunterricht etc., sich wiederum am Duden orientieren. Es liegt also ein Kreislauf vor, in dem nur durch den kreativen, transdudischen Umgang mit Sprache überhaupt Veränderung entsteht.

Und: Wenn ich hier von "Duden" rede, meine ich natürlich jegliche vergleichbare Instanz mit.