Futur II

Begonnen von gehabt gehabt, 2004-12-14, 17:12:55

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

amarillo

Sollte kein Angriff gegen Dich sein; aber wie kann man so sicher prophezeien, daß sich Formen wie: "ich bin gewesen gewesen" auch nur ansatzweise durchsetzen?

Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#16
Durch Analogie!
Viele sprachliche Phänomene setzen sich durch analogische Bildungsweisen durch.

Gib einfach mal zum Spaß "gewesen gewesen" (mit Anführungsstrichen) bei Google ein und durchforste die Ergebnisse. Ausgenommen die Ergebnisse natürlich, bei denen das zweite 'gewesen' zum folgenden Satz bzw. Nebensatz gehört. Mögen einige "gewesen gewesen" durch unabsichtliches Doppeltippen entstanden sein, bin ich mir dennoch recht sicher, daß zumindest der Großteil davon genau die Form darstellt, die ich oben als Doppelperfekt angeführt habe.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo

Aber mein lieber MrMagoo, wer wird denn glauben, daß Analogien in der wissenschaftlichen Betrachtung zu ein-eindeutigen Folgerungen berechtigen? Allenfalls werde ich das für die Mathematik, Physik und Chemie gelten lassen. Disziplinen, die - zumindest in unserem Erfahrungsbereich - nie einer Änderung, sondern lediglich Erweiterungen  unterworfen war.
Sprache hat - korrigiere mich bitte, wenn nötig - in ihrer Struktur keine oder nur sehr wenig Logik aufzuweisen, deshalb läßt sie sich ja auch nicht digitalisieren - ich danke Gott ein weiteres Mal.

Nichtsdestotrotz werde ich mich dem Google-Verfahren stellen. Bin gespannt wie ein Flitzebogen!
amarillo
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#18
Zitat von: amarillo in 2004-12-17, 19:12:17
Aber mein lieber MrMagoo, wer wird denn glauben, daß Analogien in der wissenschaftlichen Betrachtung zu ein-eindeutigen Folgerungen berechtigen? Allenfalls werde ich das für die Mathematik, Physik und Chemie gelten lassen. Disziplinen, die - zumindest in unserem Erfahrungsbereich - nie einer Änderung, sondern lediglich Erweiterungen  unterworfen war.
Sprache hat - korrigiere mich bitte, wenn nötig - in ihrer Struktur keine oder nur sehr wenig Logik aufzuweisen, deshalb läßt sie sich ja auch nicht digitalisieren - ich danke Gott ein weiteres Mal.

Nichtsdestotrotz werde ich mich dem Google-Verfahren stellen. Bin gespannt wie ein Flitzebogen!
amarillo

Ich habe nicht behauptet, daß die Sprache durch und durch eindeutig ist - Blödsinn! Fakt ist aber, daß die Sprache sich entwickelt - und zwar zumeist auf ökonomischer Basis, was wiederum u.a. heißt: Vereinfachung; "Gewißheit" im Hinblick auf das Ergebnis dieser Entwicklung hat man natürlich nie, aber Entwicklungstendenzen lassen bestimmte Vermutungen/Schlüsse zu. Fakt ist weiterhin, daß eine Sprache auf jeden Fall Strukturen aufweist - und meist spielt Logik dabei eine Rolle. Hätte die Sprache keine durch Logik geprägte Struktur, wäre es unmöglich, Grammatiken aufzustellen, die ja (besonders) anhand von Beispielen diese Strukturen herausstellen und damit die Logik, die dahintersteckt. Desweiteren könnte man gänzlich ohne logische Strukturen keine Fremdsprachen lernen, nein: viel mehr noch -> nicht einmal die Muttersprache, denn: Bei Fremdsprachen wird das zu Lernende über grammatische Regeln zusammengestellt. Ganz gleich, ob und wie viele Ausnahmen es zu bestimmten Regeln gibt (und da gibt's oft massig, das bestreite ich gar nicht), es gibt eine Basisstruktur, an der man sich orientieren kann. Die eigene Muttersprache erlernt man zunächst durch Nachahmung und dann durch Analogie-"Experimente" (plattes Beispiel nun, aber es veranschaulicht vielleicht ganz gut): Ein Kind kennt zum Beispiel die Form "du sagst", die es durch Nachahmung gelernt und gespeichert hat. Auf dieser Grundlage formt es irgendwann selbständig weitere Formen der 2. Person Singular, da das Strukturmerkmal "Stamm+st" nun bekannt ist. Über jedes weitere so geformte Verb freuen sich die Eltern bis dieses Prinzip auf  Ausnahmen stößt, zum Beispiel "du bist": Diese Form würde, wenn der Infinitiv bekannt ist, analogisch geformt und lautete "du seist" - was viele Kinder tatsächlich so machen. Das wiederum heißt: Das Kind hat (wie auch immer, die Forschung weiß da nicht, wie das hier gedanklich usw. abläuft) per Strukturmerkmal die Form analogisch zu anderen Verbformen der 2. Person Singular gebildet.
Durch "Verbesserung" der Eltern oder sonstwen werden sie dann hier aufmerksam gemacht darauf, daß diese Form "bist" lautet und nicht "seist", eine Abweichung vom Strukturmerkmal insoweit, daß "sein" ein aus mehreren Verben zusammengesetztes Verb darstellt (die in sich wiederum strukturtechnisch geregelt sind). Die Form für die 2. Person Singular wird von der Wurzel "bin" abgeleitet. Hier stößt das Analogieprinzip, wie eben gesagt, aufgrund von synchronen Unregelmäßigkeiten in dem sonst logischen Strukturparadigma ganz klar an eine Grenze, auf der anderen Seite jedoch wird gerade dadurch die Sprache auf ökonomischer Basis beeinflußt. Eines der markantesten Beispiele hierfür ist der Übergang einiger starker Verben in die schwache Konjugationsklasse. Das Verb "backen" beispielsweise formt neue, schwache Formen daher, daß diese analogisch zu den übrigen schwachen Verben neu  gebildet werden, das passiert schon seit einiger Zeit so und daher gibt es ja hier die Liste der gefährdeten starken Verben, vgl. Verben wie bellen, nagen, winken... . Achte mal darauf, wie viele Verben bereits von der starken in die schwache Klasse gewechselt sind - Hauptgrund: Ökonomisierung durch Analogie!
Und wieso läßt sich Sprache nicht digitalisieren? Was genau verstehst Du hier unter "Sprache" und "digitalisieren"?
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo

So, alter Linguist, dann fangen wir mal ganz hinten an:
was Sprache ist, hat mittlerweile in Linguistenkreisen eine Definitionsfülle erreicht, die ich nicht  herbeten kann. Ob Chomsky noch zu seiner eigenen Definition steht, weiß ich nicht; ich persönlich traue mir mittlerweile diese Definition nicht mehr zu.
touché!

Digitalisieren heißt: ja/nein-Zuordnungen schaffen, und zwar (im Bezug auf Sprache) auf allen Ebenen. Ich muß gestehen, daß ich nicht einmal weiß, wieviele Dimensionen/Ebenen Sprache hat.
Bin aber überzeugt, daß die Wissenschaft hier Klarheit für sich beansprucht.
Bislang hat noch kein Computer auch nur einen einzigen sinnvollen Satz zuwege gebracht.

Kommen wir doch zum Thema "Ökonomie" - da ich nun schon zu diversen Definitionen aufgerufen war, darf ich jetzt mal den Ball zurückspielen. Was ist denn Ökonomie (im Bezug auf Sprache)?
Mit Vereinfachung kommen wir hier nicht zurecht.  Das Englische lehrt uns, daß der Wegfall komplexer Flexionen diese Sprache nicht unbedingt vereinfacht hat. Die Bezüge im syntaktischen Gefüge werden hier meist über Präpositionen gesteuert.
Ich muß nicht darstellen, wieviel Mühe es kostet, diese Präpositionen auch nur ansatzweise korrekt zu verwenden.
Sparsamkeit ist wohl auch nicht die rechte Übersetzung, auf welcher Ebene wird denn gespart?
Daß das Deutsche eine nicht zu übersehende Neigung zeitigt, Verben einheitlich zu konjugieren, kann doch nicht als allgemeines Phänomen der Sprach-Ökonomie gedeutet werden.
Während die (mir bekannten) westlichen Sprachen  doch recht assimilationsfreudig erscheinen, hat die arabische Welt eher ein Problem, die notwendigerweise darzustellenden Phänomene sprachlich zu fassen - das läuft dann zunächst auf eine Komplizierung statt auf eine Vereinfachung hinaus.

Schließlich gibt es noch einen Punkt, den ich nicht ganz verstanden habe: wer hat je ein Kind "Du seist" (wenn "Du bist" gemeint war) sagen hören? Ich habe so meine Bedenken, daß es sich hier um eine Konstruktion handelt, die sich lWissenschaftler schlichtweg erdenken, um ihre lauen Thesen zu stützen.

Nichts gegen die Wissenschaftler, aber wenn die Realität nicht mit der These übereinstimmt, ist die Versuchung doch sehr groß, sich die Realität vom Halse zu schaffen.

Ich glaube, ich habe ein wenig den Weg verlassen - 'tschuldigung - eventuell komme ich mit Deiner wissenschaftlichen Präzision nicht zurecht - mein Manko!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

#20
Apropos gewesen:

Herbergsvater: "Hier wird nicht getobt! Hier wird nicht gebrüllt! Hier wird nicht frech gewesen!"

;D

Aber lasst euch nicht unterbrechen.

caru

ein kind muß schon verdammt gebildet sein, um mitzukriegen, daß "bist" mit "sein" zusammenhängt - zumal der infinitiv in der alltagssprache eher selten auftaucht, "bin", "bist", "ist", "sind" und "war" dagegen ständig. mir jedenfalls war der zusammenhang vor dem volksschulalter sicher nicht bewußt.

eltern reden gewöhnlich nicht in infinitiven, von denen ihre kinder dann die finiten formen bilden - so wenig, wie sie den kindern wurzeln und endungssets beibringen, aus denen die kinder dann von selbst worte basteln.

die grundelemente der sprache lernt man, glaube ich, nur durch nachahmung; ich weiß nicht, ab welchem alter kinder worte selbständig ableiten, die sie noch nie gehört haben - ich weiß allerdings, daß es mir extrem schwer fällt und ein starkes gefühl der unsicherheit auslöst, in einer fremdsprache ein wort oder eine form zu gebrauchen, die ich noch nie in der praxis gehört oder gelesen habe.

gestorkene verben immer ausgenommen, natürlich.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Zitat von: caru in 2004-12-19, 14:43:28
ich weiß allerdings, daß es mir extrem schwer fällt und ein starkes gefühl der unsicherheit auslöst, in einer fremdsprache ein wort oder eine form zu gebrauchen, die ich noch nie in der praxis gehört oder gelesen habe.

Hier rät der modernere Sprachdozent: etwas mehr Hemmungslosigkeit und weniger Hang zum Perfektionismus. Die Gefahr, richtig groben Unfug zu veranstalten, ist doch relativ gering. Soll der Zuhörer sich doch auch einmal etwas anstrengen und die vielleicht etwas verkorksten Konstruktionen intuitiv geradebiegen. Das erfrischt ungemein und kann sogar Riesenspaß machen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

ja, ich treibe ja auch sehr gern groben sprachlichen unfug, aber erst, wenn ich die sprache gut genug kann, um mir meines unfugs sicher zu sein.

bei dergleichen unternehmungen entsteht gelegentlich auch mal ein schullwitz. erst vorgestern bold ich mit unfug im sinn den tschechischen infinitiv hantírovat (=deutsch "hantieren" mit tsch. infinitivendung -ovat), und meinem tschechischen freund fiel noch nicht mal auf, daß ich witzig sein wollte: das verb ist seit menschengedenken in verwendung.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

#24
 &#1607;&#1608;&#1576;&#1578;&#1586;&#1575;&#1582;&#1605;
&#1575;&#1606;&#1605;&#1575;&#1603;&#1586;&#1581;
(Hauptsache, man mag sich)

War eine Versuch, ein paar arabische Zeichen einzufügen, ist aber voll in die Hose gegangen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Das böse Forum hat die Zeichen kodiert... außerdem kapituliert mein ganzes Browserarsenal vor ihnen. Was braucht man, um das anzuzeigen (immer vorausgesetzt, das Forum späle mit)?

amarillo

Ich habe nicht die Idee eine Ahnung. Habe es über die Microsoft Zeichentabelle versucht, die ist eigentlich ganz gut ausgestotten.
Aber Du siehst ja...
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#27
Zitat von: amarillo in 2004-12-18, 01:27:08
So, alter Linguist, dann fangen wir mal ganz hinten an:
was Sprache ist, hat mittlerweile in Linguistenkreisen eine Definitionsfülle erreicht, die ich nicht  herbeten kann. Ob Chomsky noch zu seiner eigenen Definition steht, weiß ich nicht; ich persönlich traue mir mittlerweile diese Definition nicht mehr zu.
touché!

Nein, ich mir auch nicht... Zwischenzeitlich gibt's so viele Theorien, die sich einerseits untereinander, andererseits aber auch so sehr in sich widersprechen, daß einem davon ganz wirr im Kopp wird.
Außerdem behaupte ich doch gar nicht, daß das, was ich hier schreibe, wahr ist! Ich versuche einfach nur, bestimmte Phänomene und Sachverhalte mir zusammenzureimen - und daher bin ich Dir für diese Diskussion sehr dankbar - ich kann nur mit Thesen dienen, und wenn diese widerlegt werden, ist's für mich genauso wichtig als wenn sie bestätigt würden, denn man lernt doch sein ganzes Leben lang, oder?! ;)



ZitatDigitalisieren heißt: ja/nein-Zuordnungen schaffen, und zwar (im Bezug auf Sprache) auf allen Ebenen. Ich muß gestehen, daß ich nicht einmal weiß, wieviele Dimensionen/Ebenen Sprache hat.

Das weiß ich aber auch nicht - dafür ist das Thema in sich schon viel zu komplex.
Vom Digitalisieren im technischen Sinne habe verstehe ich leider auch nicht allzuviel - daher komme ich auch nicht ganz zurecht mit der Ja-/Nein-Zuordnung; würde das in etwa einer Zuordnung von wahr/falsch entsprechen? Dann kann ich dazu sagen, daß es sicher deshalb nicht funktioniert, weil Sprache auf dieser Ebene im Grunde nicht an die Logik gebunden ist, was den "Wahrheitsgehalt" eines Satzes betrifft: Ein physisches Gesetz zum Beispiel "beweist" etwas, stellt etwas als wahr heraus und schließt somit Falsches aus. Die Sprache arbeitet hier auf zwei Ebenen: Wenn ich etwas sage, dann kann dies richtig sein und zugleich unwahr: "Im Januar schneit es" -> Diese Aussage ist grammatisch korrekt, also "richtig"; das heißt aber noch lange nicht, daß sie auch "wahr" ist, denn für Australien trifft dies sicher nicht zu, Sprache kann also "lügen", was ein physisches Gesetz in dem Sinne nicht kann. Die Zuordnung richtig/falsch, bezogen auf grammatische Strukturen usw. ist also konventionell festgelegt und daher immer beeinflußt durch den Sprecher, die jeweilige Zeit, Gesellschaft, usw usw.



ZitatBin aber überzeugt, daß die Wissenschaft hier Klarheit für sich beansprucht.

Man sieht ja schon an dem Stapel Theorien, daß die Wissenschaft hier kein bißchen Klarheit für sich in Anspruch nehmen kann... :)



ZitatBislang hat noch kein Computer auch nur einen einzigen sinnvollen Satz zuwege gebracht.

Das muß aber doch nicht heißen, daß er's nicht könnte; ein Computer hat bisher sicher auch noch keinen sinnvolles Lebewesen zustande gebracht... Vielleicht ist die Menschheit, die diesen Computer zunächst mit Informationen füttern muß, noch nicht so weit, vielleicht aber sind die technischen Vorraussetzungen dafür (noch) nicht geschaffen. Noch ist man ja auch nicht vollends dahintergestiegen, wie das "Denken" funktioniert, aber vielleicht ist es nicht unmöglich, dies eines Tages herauszufinden - vielleicht also wird es irgendwann einmal möglich sein, daß ein Computer "spricht"... aber wie gesagt, im Bereich Digitalisieren kenne ich mich nicht wirklich aus.



ZitatKommen wir doch zum Thema "Ökonomie" - da ich nun schon zu diversen Definitionen aufgerufen war, darf ich jetzt mal den Ball zurückspielen. Was ist denn Ökonomie (im Bezug auf Sprache)?
Mit Vereinfachung kommen wir hier nicht zurecht.  Das Englische lehrt uns, daß der Wegfall komplexer Flexionen diese Sprache nicht unbedingt vereinfacht hat. Die Bezüge im syntaktischen Gefüge werden hier meist über Präpositionen gesteuert.
Ich muß nicht darstellen, wieviel Mühe es kostet, diese Präpositionen auch nur ansatzweise korrekt zu verwenden.

"Vereinfachung" bezieht sich hier auf einzelne Ebenen der Sprache, weniger auf den ganzen Komplex:
Während Ökonomisierung also auf verschiedenen Ebenen unterschiedlich abläuft, kann es natürlich passieren, daß zwei oder mehrere Vorgänge sich in die Quere kommen. Nicht "die Sprache" also hat sich durch den Flexionswegfall im Englischen vereinfacht, sondern eben diese "Sprach-Ebene":
Grundsätzlich kann man sagen, daß für den Genitiv die Präposition "of" einspringt, für den Dativ "to" - nebst den übrigen Präpositionen resultieren sie außerdem durch die durch die vereinfachte Flexion hervorgerufene feste Wortstellung im Satz -> hier stoßen also das Prinzip der festen Wortstellung und die Flexionsvereinheitlichung aufeinander, die sich im Wirrwarr der Präpositionen zeigt.
Es hat sich also hier die Ebene der Flexion vereinfacht, wenn das wiederum die Ebene der Präpositionen angreift, wäre das wieder eine Art Nebenschauplatz. Der Punkt bei den Präpositionen ist nicht, daß man sie korrekt (das würde sich übrigens wieder auf die konventionell festgelegte Norm beziehen...) verwendet, sondern, daß man sie überhaupt verwendet. Das System der Präpositionen 'an sich' ist ökonomischer als das Flexionssystem.
Weiterhin hängt Ökonomie immer stark mit der Gesellschaft zusammen, welche die betreffende Sprache spricht, und auch von dem Grad der Normierung, die durch die Gesellschaft an die Sprache herangetragen wird, das muß im Übrigen wiederum nicht mit der Logik zusammenhängen, markantes Beispiel hier: Die doppelte Verneinung!
Während z.B. im Mittelhochdeutschen eine doppelte Verneinung noch absolut üblich war (z.B. "ich enweiz es niht" = ich weiß es nicht), so ist diese auch heute noch in der Umgangssprache üblich ("Du gehst nicht, bevor du die Aufgabe nicht gemacht hast!"), im Standarddeutschen falsch, im Standardfranzösischen allerdings wiederum "richtig" im Sinne der Norm, obwohl aus Sicht der Logik eine Konstruktion wie "Je ne sais pas" durchaus anzuzweifeln wäre.



ZitatDaß das Deutsche eine nicht zu übersehende Neigung zeitigt, Verben einheitlich zu konjugieren, kann doch nicht als allgemeines Phänomen der Sprach-Ökonomie gedeutet werden.

Nicht?
Du findest es also ökonomischer für jede Form eines Verbs ein gänzlich neues Wort zu benutzen, demnach also mindestens je 6 verschiedene Wörter (für jede Person eine) für Präsens und Präteritum zu benutzen anstelle weiterhin den Stamm eines Verbs durch Suffixe und/oder Ablaut abzuwandeln? Also ich weiß ja nicht so recht...


ZitatWährend die (mir bekannten) westlichen Sprachen  doch recht assimilationsfreudig erscheinen, hat die arabische Welt eher ein Problem, die notwendigerweise darzustellenden Phänomene sprachlich zu fassen - das läuft dann zunächst auf eine Komplizierung statt auf eine Vereinfachung hinaus.

Vielleicht aus unserer Sicht als Westeuropäer?!  Nun habe ich auch kein fundiertes Wissen über arabische Sprachen, ich kann mir allerdings vorstellen, daß auch dort einiges an Entwicklungsprozessen abgelaufen sein wird.


ZitatSchließlich gibt es noch einen Punkt, den ich nicht ganz verstanden habe: wer hat je ein Kind "Du seist" (wenn "Du bist" gemeint war) sagen hören? Ich habe so meine Bedenken, daß es sich hier um eine Konstruktion handelt, die sich lWissenschaftler schlichtweg erdenken, um ihre lauen Thesen zu stützen.

Ich sagte ja, "sein" ist ein plattes Beispiel - und da "sein" im Sprachgebrauch sehr häufig vorkommt, werden selbst Kinder die Flexionsformen recht schnell gelernt haben. Um aber meine Theorie hier zu stützen, möchte ich ein etwas weniger häufig benutztes, aber dennoch sehr gebräuchliches Verb ansprechen: "treten": Kannst Du mir auch bestätigen, Du hättest noch niemals ein Kind oder sonst jemanden sagen hören "Er tretet mich" oder "Er hat mich getretet"? Falls nein, dann achte doch mal von jetzt an genauer darauf. Und auch hier kann ich nocheinmal das "Google"-Experiment empfehlen: Gib einfach mal "getretet" oder "er tretet" etc. ein und sieh selbst...
Analogie muß übrigens nicht zwangsläufig "vereinfachend", d.h., um beispielsweise bei den starken/schwachen Verben zu bleiben, in eine Richtung wirken: "dingen" z.B. war ursprünglich schwach (dingte-gedingt); die Formen wurden erst später durch Einwirken der Formen von singen, springen, ringen, klingen, etc stark (dang-gedungen).



ZitatNichts gegen die Wissenschaftler, aber wenn die Realität nicht mit der These übereinstimmt, ist die Versuchung doch sehr groß, sich die Realität vom Halse zu schaffen.

Warum nichts gegen sie? Ich bin überzeugt, eine Menge Wissenschaftler gehen so vor - falsifizieren so lange, bis es paßt und sind dann froh, eine haltbare, doch an sich unwahre Theorie aufgestellt zu haben. Da das Thema allerdings so dermaßen unüberschaubar ist, wird man selbst auf diese "Verzerrungen" nicht immer selbst aufmerksam - daher: Ich kann auch nicht mit Sicherheit sagen, daß all das, was ich sage wahr ist,vielleicht irre ich mich schlichtweg in allem was ich sage?! Das kann schon sein...


ZitatIch glaube, ich habe ein wenig den Weg verlassen - 'tschuldigung - eventuell komme ich mit Deiner wissenschaftlichen Präzision nicht zurecht - mein Manko!

Nein - wie gesagt, wir sind doch alle nicht unfehlbar (vielleicht der Papst, aber auch nur weil er selber es glaubt - vielleicht einer von den oben erwähnten Wissenschaftlern *hehe*) und ich bin dankbar für Anmerkungen zu Fehlern, die mir unterlaufen - wie sagte meine Oma immer so schön: "Man wird so alt wie 'ne Kuh und lernt immer noch dazu!" ;)

Es grüßt
MrMagoo
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: caru in 2004-12-19, 14:43:28
ein kind muß schon verdammt gebildet sein, um mitzukriegen, daß "bist" mit "sein" zusammenhängt - zumal der infinitiv in der alltagssprache eher selten auftaucht, "bin", "bist", "ist", "sind" und "war" dagegen ständig. mir jedenfalls war der zusammenhang vor dem volksschulalter sicher nicht bewußt.

Ich sagte ja, ein nicht allzu gutes Beispiel - vgl. im Beitrag vor diesem das Beispiel "treten".


Zitateltern reden gewöhnlich nicht in infinitiven, von denen ihre kinder dann die finiten formen bilden - so wenig, wie sie den kindern wurzeln und endungssets beibringen, aus denen die kinder dann von selbst worte basteln.

Richtig - aber die Struktur dahinter, die hat auch ein Kind irgendwann intus - mit Sicherheit lernt ein Kind nicht sämtliche Formen eines jeden Verbs durch Nachahmen - bis zu einem gewissen Grade sicher, aber irgendwann kann es sich tatsächlich die Formen selbst "zusammenbasteln", nämlich dann, wenn das Prinzip der Endungen begriffen und damit anwendbar ist.


Zitatdie grundelemente der sprache lernt man, glaube ich, nur durch nachahmung; ich weiß nicht, ab welchem alter kinder worte selbständig ableiten, die sie noch nie gehört haben - ich weiß allerdings, daß es mir extrem schwer fällt und ein starkes gefühl der unsicherheit auslöst, in einer fremdsprache ein wort oder eine form zu gebrauchen, die ich noch nie in der praxis gehört oder gelesen habe.

Auch richtig, aber: In einer Fremdsprache fällt es einem deshalb schwer, weil man eine Art "Hemmschwelle" entwickelt hat, die einem vor zuviel Experimentieren abhält. Ein Kind redet einfach drauf los und wird dann verbessert, wenn ein Wort nicht stimmt. Das passiert vielleicht drei-, vier-, fünfmal bei demselben Wort, dann ist die falsche Form beseitigt. Bei einer Fremdsprache allerdings, greift das nicht: Man wird nicht an jeder Ecke von einem Muttersprachler verbessert, so wie ein Kind es gewohnt ist - und zudem hat man eine gewisse Hemmschwelle, nämlich jene, etwas 'falsch' zu sagen - da sagt man dann lieber gar nichts oder ersetzt das Wort durch eine synonyme Wendung um später eventuell die richtige Form im Wörterbuch nachzuschlagen.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2004-12-19, 16:03:02
Zitat von: caru in 2004-12-19, 14:43:28
ich weiß allerdings, daß es mir extrem schwer fällt und ein starkes gefühl der unsicherheit auslöst, in einer fremdsprache ein wort oder eine form zu gebrauchen, die ich noch nie in der praxis gehört oder gelesen habe.

Hier rät der modernere Sprachdozent: etwas mehr Hemmungslosigkeit und weniger Hang zum Perfektionismus. Die Gefahr, richtig groben Unfug zu veranstalten, ist doch relativ gering. Soll der Zuhörer sich doch auch einmal etwas anstrengen und die vielleicht etwas verkorksten Konstruktionen intuitiv geradebiegen. Das erfrischt ungemein und kann sogar Riesenspaß machen.


Genau!
Scheinbar hatte ich diesen Beitrag überlesen, bevor ich antwortete. ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)