Adverb

Begonnen von amarillo, 2005-01-20, 18:09:36

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amarillo

Warum ist in der deutschen Sprache das Adverb (ich meine jene Formen, die sich aus dem Adjektiv ableiten) so schwach vertreten?

Offenbar spielt es in anderen Sprachen doch eine - wenn auch nicht für das Verständnis unabdingbare - größere Rolle:

He is a dangerous driver / he drives dangerously
Doucement, ma douce amie!"
Hace frío me respondió él friamente.

Elvis sang "love me tender", keiner juckt sich daran, daß es eigentlich "tenderly" hätte heißen müsssen.
Wenn es doch nun schon keine Geige für die Semantik spielt, warum hält es sich dann in anderen Sprachen, ist aber für das Deutsche so gut wie gestorben?

Sollte man der Endung -lich wieder zu etwas mehr Geltung verhelfen? (bei sicher und sicherlich geht es doch auch).

Ich harre ungeduldiglich Eurer werten Antworten.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Keine schlechte Idee. Bei Kant z. B. liest man oft klüglich, was mich nicht nur auf herzerfrischende Weise an Kügelchen erinnert, sondern mich auch mal dazu inspiror, Adverbien in etwas unklaren Zusammenhängen durch ein -lich zu kennzeichnen. Bei Adjektiven, die ohnehin auf -lich enden, könnte man das erste zu -ig- ändern: fröhliglich, unabländerliglich usw.

amarillo

Außerdem entläste man das ohnehin etwas gestolzene -erweise ein wenig: "Unglückliglich konnte ich Dich heute nicht früher anrufen."

Und es lassen sich tolle Formen aus den gestorkenen Partizipien ableiten: "Das hilft mir beim Reimen", sprach er bewogenlich.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

#3
Zitat von: amarillo in 2005-01-20, 18:09:36
Warum ist in der deutschen Sprache das Adverb (ich meine jene Formen, die sich aus dem Adjektiv ableiten) so schwach vertreten?

Schwach vertreten ist es nicht:
Er ist ein schneller Fahrer. (Adjektiv)
Er fährt schnell. (Adverb)

Scheinbar bedarf es heutzutage einfach keiner nennenswerten Unterscheidung mehr.

Das war nicht immer so, denn im Althochdeutschen waren einige/viele/alle (das muß ich nochmal genau nachlesen) Adverbien von den Adjektiven durch ein Suffix unterschieden.
Das Adjektiv hatte meist die Endung -i, das Adverb die Endung -o (das muß ich aber auch nochmal genau nachlesen):
scôni - scôno (schön)
fasti - fasto (fest)

Das i beim Adjektiv hat später den Umlaut des Stammvokals bewirkt;
durch den Endsilbenverfall vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen verringerten sich die Unterscheidungen zwischen Adjektiv und Adverb auf diejenigen Adjektive, die einen umlautfähigen Stamm hatten: das mittelhochdeutsche Adjektiv hatte also Umlaut, das Adverb nicht:

schoene - schône (schön)
feste - faste (fest)

Zum Neuhochdeutschen hin sind dann beide Formen zusammengefallen, wir haben also noch Adjektiv und Adverb:
Er ist ein schneller Fahrer (Attributives Adjektiv)
Er ist schnell. (Prädikatives Adjektiv)
Er fährt schnell. (Adverb),
unterscheiden diese formal gesehen aber kaum noch (nur das attributive Adjektiv wird dekliniert).

Gruß
-MrMagoo
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo

Zitat von: Kilian in 2005-01-20, 18:40:24
auf herzerfrischende Weise

herzerfrischendlich!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

von wegen ortogravieh, wie schreibt man denn nun?

"er fährt schnellich" oder "er fährt schnelllich"?
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Dreifach-Konsonanten lehne ich für mich persönlich ab. Muß aber jeder selbst wissen, wie er schreiben möchte.

Ich empfand schon die Sauerstoff(f)lasche als Zumutung.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

die ist schlimm, die flasche. und der rollladen.

noch verdächtiger sind mir aber das teeei, die schneeeule und der seeelefant.
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

...und die Zooordnung
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: amarillo in 2005-01-20, 20:03:47Außerdem entläste man das ohnehin etwas gestolzene -erweise ein wenig

Da bin ich skeptisch. Obwohl eigentlich beides beides leisten könnte, gebraucht man das -erweise (ein erstorrener Genitivus absolutus, glaube ich) in der Regel, um das so geboldene Adverb auf den ganzen Satz zu beziehen statt nur auf das Verb:

"Unglücklicherweise konnte ich dich nicht früher anrufen": Die Tatsache, dass man nicht konnte, ist unglücklich.
"Unglückliglich konnte ich dich nicht früher anrufen": "Ich konnte dich nicht auf unglückliche Art und Weise früher anrufen, ich hätte aber glückliglich anrufen können."

amarillo

Du hast recht, daran hatte ich nicht gedacht.

Nun müßte man sich vielleicht noch Gedanken machen, welche Qualitäten  denn das gestorkene Adverb zu übernehmen hat.

In Anlehnung an das Englische schlage ich also vor:

1. zum Verb (klar, sowieso)
    er schaut trauriglich

2. zum Adjektiv
    ein überraschendlich guter Entwurf

3. zum Adverb
    er fährt erschreckendlich schlechtlich  (ich gebe zu, das klingt
     gewöhnungsbedürftig)

4. zum Gesamtsachverhalt
    natürliglich, Paul ist nicht da, wenn man ihn braucht.
    ("natürlicherweise" klingt hier in meinen Ohren unangebracht,      obwohl es im Falle von (un)-glücklich schon ins Auge fällt, daß unterschieden werden muß)

Bliebe noch die Frage zu den "eigenen" Formen "gütlich" zu "gut" geht ja wohl kaum. So etwas wie "well" müßte man erst noch erfinden. Woher stammt "well" eigentlich etymologisch?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2005-01-22, 14:21:21
Bliebe noch die Frage zu den "eigenen" Formen "gütlich" zu "gut" geht ja wohl kaum. So etwas wie "well" müßte man erst noch erfinden.


Nein, nicht nötig --> es ist schon da!
Das eigentliche, originale, ursprüngliche  Adverb zum Adjektiv "gut" ist wohl, das englische well!! ;)
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2005-01-22, 14:21:21Woher stammt "well" eigentlich etymologisch?

Das etymologische Wörterbuch sagt folgendes:

"well", und auch "wohl", sind aus der Wurzel von wollen abgeleitet, als Grundbedeutung ist 'nach Wunsch' zu erschließen.

Zu wollen:
(anormales Verb)
Der Zusammenhang der germanischen Wurzel *wel- "wollen" (idg. *uel- "wünschen"), zu der auch wählen und wohl gehören, mit dem gleichbedeutenden lat. velle ist augenscheinlich.
Die althochdeutsche und mittelhochdeutsche Form wellen ist wohl völlig eins mit wählen.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

amarillo

Wie unterscheide ich jetzt: du fährst wohl (Betonung auf "fährst" = so etwas wie eine Vermutung) und: du fährst wohl (Betonung auf "wohl" = schönes Adverb) in schriftlicher Form?

Aber "wohl" ist schön, gefällt mir.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

MrMagoo

Zitat von: amarillo in 2005-01-22, 22:09:35
Wie unterscheide ich jetzt: du fährst wohl (Betonung auf "fährst" = so etwas wie eine Vermutung) und: du fährst wohl (Betonung auf "wohl" = schönes Adverb) in schriftlicher Form?

Aber "wohl" ist schön, gefällt mir.


Das ist ein ähnliches Problem wie bei den regelmäßig abgeleiteten Adverbien, auf die es anfangs ankam:

Da hier Adjektiv und Adverb zu einer Form (meist der umgelauteten) zusammengefallen sind
(vgl. oben: schoene, schône => schön; feste, faste => fest),
war die umlautlose Form frei für ein neues, semantisch anders besetztes Adverb:
schon = bereits
fast = beinahe

Dasselbe ist geschehen bei gut/wohl:
Sowohl für das Adjektiv als auch für das Adverb wird heute die Form "gut" verwendet, "wohl" im Sinne von gut gerät langsam außer Gebrauch und kann daher neu besetzt werden:
wohl = vermutlich
Die alte Bedeutung ist heute noch erhalten in "Ich fühle mich wohl", doch kann wohl hier auch durch gut ersetzt werden: "Ich fühle mich gut".
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)