-igen

Begonnen von amarillo, 2008-01-18, 07:53:43

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amarillo

Liebe Freunde, seit einigen Tagen gehe ich mit einem kleinen Problem schwanger, das ich Euch hier vorstellen möchte:

es gibt 'einen' und 'einigen', 'peinigen', aber kein 'peinen' (noch nicht); es gibt 'bemitleiden' und 'beleidigen', 'steinigen' aber (noch nicht) 'steinen'. Meine Frage an die Berufs- und Hobbylinguisten: hat der Einschub des 'ig' eine Euch bekonnene semantische Funktion?
Klar, vielfach gehen diese Verben auf Adjektive zurück, die auf -ig enden (fertig - fertigen, heilig - heiligen). So sie jedoch diese - noch zu eruierende - semantische Besonderheit aufwiesen, kekünne man ja frei Schnauze weitere hinzubilden: fahren - fahrigen (vielleicht fahrig machen?),  bleiben - bleibigen...
Für mich klingen diese Konstrukte eine wenig kausativ, aber ich habe sie ja auch bekanntermaßen nicht alle auf der Latte. Nichtsdestoweniger ernst bitte ich Euch meinen Vorstoß zu nehmen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Agricola

Kopfrauch ...

Mir fallen so spontan ein:

beglaubigen
begradigen
benötigen
betätigen
bereinigen
beköstigen / verköstigen
belustigen

Bei Wörtern mit be+Substantivstamm/Adjektivstamm+igen scheint es mir häufig "eine Eigenschaft zufügen" zu bedeuten. Bei "benötigen" und "betätigen" haut diese Erklärung allerdings eher nicht hin, zumal "betätigen" kein transitives Verb ist. Vielleicht spielt hier eine Rolle, dass es die Adjektive "nötig" und "tätig" gibt.

Bei Wörtern, die von einem Adjektiv auf -ig abgelitten sind (wie auch "fertigen"), liegt vielleicht überhaupt eine ganz andere Wortbildung vor.

Außerdem gibt es Wörter, bei denen keine der beiden Herleitungen zieht, jedenfalls nicht auf moderne Vokabeln bezogen:

bestätigen
kündigen, abkündigen, verkündigen
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

amarillo

Aber zum 'verkündigen' gibt es auch die Parallelform 'verkünden'. Vielleicht sollten wir zunächst versuchen, den Bedutunterschied (falls es denn einen gibt) herauszufinden. Ich komme sonst einfach nicht auf die semantische Besonderheit des 'ig's. Und auch bei diesem Beispiel sehe ich beide Verben eigelnt als bedutgleich.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Fleischers Karsten

Auch künden und kündigen waren früher mal mehr oder weniger gleichwertig. Um mal wieder die Märchenonkels Zit zu ieren:

KÜNDIGEN, verbum zu kündig.

1)  kund thun, künden.
Karsten

Agricola

#4
manchmal gleich, manchmal ganz verschieden: Ob man die hübschen Mädchen verköstigt oder verkostet, wäre jedenfalls ein feiner Unterschied.

befriedigen / befrieden
bescheinigen / bescheinen
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

#5
Verkosten/verköstigen waren früher gleichbedeutend, in dem Sinne wie wir heute verköstigen benutzen.
Bescheinen kann die Bedaut von bescheinigen haben, dann naturl die von beleuchten.
Auch bei befrieden/befriedigen gibt's zumindest eine synonyme Bedaut:

BEFRIEDIGEN, satisfacere, placare, nnl. bevredigen.

1)  sepire, einhegen, einfriedigen, im sinn von befrieden: den wald, garten, die flur, das feld befriedigen
Karsten

amarillo

Aha, beim 'verköstigen' hat das -ig also doch kausative Bedut. Verkosten tue ich ja selbst, aber beim Verköstigen mache ich jemanden Kost zu sich nehmen.

Was anderes: rauchen - das ist (schlimmerweise), waß ich selbst ausübe, wenn ich 'rauchigen' süge, könnte ich doch darunter verstehen, daß z.B. ein Raum mir Rauch erfüllt wird (also rauchig wird). Sehe ich das richtig, oder ist mein Weg total hölzern?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Fleischers Karsten

Zitat von: amarillo in 2008-01-18, 11:46:36
Aha, beim 'verköstigen' hat das -ig also doch kausative Bedut. Verkosten tue ich ja selbst, aber beim Verköstigen mache ich jemanden Kost zu sich nehmen.

Hmm, das ist ja eher andersrum verlaufen. Früher mien beides "jemanden mit Kost versorgen". Das -ig hat dann vielleicht geholfen, den kausativen Charakter des Verbs beizubehalten, währen die -ig-lose Form einen ipsiven Bedautwandel durchgemachen hat.
Karsten

Agricola

#8
Zitat von: amarillo in 2008-01-18, 11:46:36
Was anderes: rauchen - das ist (schlimmerweise), waß ich selbst ausübe, wenn ich 'rauchigen' süge, könnte ich doch darunter verstehen, daß z.B. ein Raum mir Rauch erfüllt wird (also rauchig wird). Sehe ich das richtig, oder ist mein Weg total hölzern?
Da wäre dann das Verhältnis zu den Wörtern berauchen (auch: beweihrauchen), verrauchen (transitiv), räuchern, verräuchern zu klären.

Mit fällt gerade noch ein:

erkunden / erkundigen
bekunden / bekundigen

letzteres wohl wieder gleichbedeutend, ersteres offensichtlich nicht.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

#9
Zitat von: Agricola in 2008-01-18, 12:53:55
letzteres wohl wieder gleichbedeutend, ersteres offensichtlich nicht.

Offensichtlich nicht? Ich bitte dich!
Heute ist nur sich erkundigen gängig, aber damüls kekunn man auch etwas erkundigen, was genau dasselbe mien wie erkunden. Man kekunn aber ebenfalls sich erkunden, was dasselbe ist wie unser sich erkundigen.
Karsten

Berthold

Zitat von: amarillo in 2008-01-18, 07:53:43
Liebe Freunde, seit einigen Tagen gehe ich mit einem kleinen Problem schwanger, das ich Euch hier vorstellen möchte:

es gibt 'einen' und 'einigen', 'peinigen', aber kein 'peinen' (noch nicht); es gibt 'bemitleiden' und 'beleidigen', 'steinigen' aber (noch nicht) 'steinen'. Meine Frage an die Berufs- und Hobbylinguisten: hat der Einschub des 'ig' eine Euch bekonnene semantische Funktion?
Klar, vielfach gehen diese Verben auf Adjektive zurück, die auf -ig enden (fertig - fertigen, heilig - heiligen). (...)

Vielleicht drücken die -igen-Formen auch eine längere Dauer (möglicherweise auch Wiederhul), sozusagen einen Durativ aus, etwas, das Zeit hat, sich als Eigenschaft festzusetzen. Bei 'peinigen' oder 'beleidigen', auch bei 'steinigen' kekünne das längere Wirken schon zum Charakter der Verben gehören. Da wird jemandem noch und noch Pein zugefong, da geht einem das Leid, das ihm andere antaten, nicht aus dem Sinn, da hagelt es so lange Steine, bis sich einer nicht mehr rührt. Wenn sich Leute 'einen' kekünne das zerbrechlicher sein als wenn sie sich 'einigen'. Das 'Bemitleiden' kekünne eine eher flüchtige, vielleicht vorguituinsche Rag sein.

Daß diese Formen teilweise Umlaut haben (z.B. 'kündigen'), teilweise (viel seltener; z.B. 'beschuldigen') keinen, geht (nach dem 'Kluge') darauf zurück, daß es im Ahd. -ig (was Umlaut bewark) und das seltene -ag gab (Mhd. -ic, -ec).    

Fleischers Karsten

Zitat von: Berthold in 2008-01-18, 13:10:25
Daß diese Formen teilweise Umlaut haben (z.B. 'kündigen'), teilweise (viel seltener; z.B. 'beschuldigen') keinen, geht (nach dem 'Kluge') darauf zurück, daß es im Ahd. -ig (was Umlaut bewark) und das seltene -ag gab (Mhd. -ic, -ec).    

Richtig. Es gab sogar häufig alle vier Formen, wie bei kunden, künden, kundigen, kündigen.
Karsten

katakura

... steinen gibt es vielleicht (noch) nicht, aber entsteinen schon ... könnte man dann nicht auch gleich entpeinen etc. bilden? :)
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Fleischers Karsten

#13
Steinen gab's. Ist durch steinigen verdrongen worden:

STEINEN, vb.
    denominativ zu stein, wie got. stainjan steinigen. gleichbedeutend ags. stænen, auch stenan lapidibus vel gemmis ornare GREIN sprachschatz 631 H.-K., und staned built with stones STRATMANN-BRADLEY mengl. 572. an. steina bemalen mit mineralfarbe (bes. schiffe). im ahd. stehen nebeneinander steinôn steinigen (s. u. 1) und *stainjan, steinen (nur im part. praet.) mit edelsteinen besetzen (u. 2 a); mhd. steinen in verschiedener bedeutung; mnd. nur stenen steinigen SCHILLER-LÜBBEN 4, 387; mnl. stenen steinigen VERWIJS-VERDAM 7, 2081; reinen und steinen (mit grenzsteinen versehen, s. u. 2 c) 6, 1224.

1)  mit steinen werfen, lapidare, s. DIEFENBACH 318b, nov. gl. 228a; seit dem 16. jh. durch steinigen verdrängt.

a)  jemand oder etwas bewerfen, meist jemand durch steinwürfe töten (viele gegen einzelne); mhd. auch versteinen (s. d.) und ersteinen. zuerst biblisch: thô thie accarbigengon gifanganen sinen scalcun anderan filtun, anderan arsluogun, anderan steinotun Tatian 124, 2;
Karsten

Fleischers Karsten

Folgende Wortpaare habe ich nachgeschlagen und sie waren alle mal synonym:

beglaubigen - beglauben
begradigen - begraden
bereinigen - bereinen
verköstigen - verkosten
belustigen - belusten/belüsten
steinigen - steinen
befriedigen - befrieden


Nur benötigen und betätigen fallen aus dem Rahmen.

Karsten