Sprachliche Geschlechtergerechtigkeit

Begonnen von Homer, 2015-05-03, 11:07:15

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Homer

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 23:31:28
Zitat
7. Diese Abstraktionsleistung kann von Fall zu Fall – das ist unbestreitbar – sprachstrukturell bedingt für Frauen größer sein als für Männer. Die Größe dieses gap ist in aber Fällen wie dem Römerbeispiel oder dem Dichterbeispiel entweder Null oder eine quantité negligeable, da sie (jedenfalls in nicht durch feministische Theoreme beeinflussten Kontexten) sehr wahrscheinlich unterhalb der subjektiven Wahrnehmungsschwelle liegt.
8. Wo diese Wahrnehmungsschwelle nicht überschritten wird, kann auch keine subjektive Diskriminierung vorliegen.

Für das Römer- und Dichterbeispiel scheint mir das auch plausibel. In anderen Fällen, in denen sich (feministisch weniger sensibilisierte) Frauen keiner Diskriminierung oder auch nur der nötigen Abstraktionsleistung an sich bewusst werden, kann ich mir allerdings vorstellen, dass sie trotzdem unbewusst wirkt – und Frauen (zusammen mit anderen Faktoren, die Frauen beim Reden über verschiedenste Gruppen mehr oder weniger subtil als Out-Group behandeln) schleichend die Lust entzieht, bei solchen Gruppen mitzumischen. Es wäre doch eine im 21. Jahrhundert sehr gewagte These, zu behaupten, nur weil etwas nicht bewusst werde, könne es nicht psychologisch wirken.

Vorsicht, ich habe nicht von "Bewusstsein" gesprochen! Mit der "subjektiven Wahrnehmungsschwelle" meine ich bereits die sehr niedrige Schwelle, oberhalb deren auch diffuses, noch vorbewusstes Unbehagen oder dergleichen auftreten kann. Wenn diese Schwelle der psychologischen Wirksamkeit unterschritten ist, kann auch keine subjektive Diskriminierung stattfinden, mehr wollte ich nicht sagen. Ich glaube nicht, dass wir uns darin uneins sein müssen. Ich glaube wahrscheinlich nur an mehr Fälle der Verwendung des generischen Maskulinums, die unterhalb dieser Schwelle liegen, als Du.

Jetzt muss man aber auch berücksichtigen, dass Diskriminierung ein relationaler Begriff ist. Für subjektive Diskriminierung reicht kein diffuses unbezogenes Unbehagen mehr, sondern es muss ein Vergleich mit einer als besser behandelt empfundenen anderen Person oder Gruppe stattfinden, der nur mit Bewusstsein anzustellen ist.

Homer

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 23:58:54
Und nun noch zu den Gesetzen:

Zitat von: Homer in 2015-06-16, 09:51:02
Man braucht fürs Gendern grundsätzlich kein Gutachten, sondern nur ein Minimum an Sprachgefühl. Bei Gesetzen braucht man noch nicht mal das: Es gibt nichts zu gendern, wo Geschlecht aus Prinzip nullmarkiert ist (es sei denn, wie gesagt, das Gesetz handelt vom Geschlecht – dann sollte es aber auch früher schon explizit gewesen sein). Unnötige Konnotationen zu generieren, widerspricht dem Ökonomiegebot, dem diese Texte unterliegen.

Welche unnötigen Konnotationen generiert denn z.B. das "wer zu Fuß geht" der StVO?

Die unnötigen Konnotationen entstehen vorzugsweise durch Paarformen. Ausgerechnet die sind in der StVO immerhin vermieden (anders als in unserem LHG). Dafür hat man jede Menge andere merkwürdige Dinge getrieben: "wer zu Fuß geht", "zu Fuß Gehende" und auch noch "Fußgänger" (in Komposita sowieso, aber nicht nur dort) wechseln einander ab, der begrifflichen Einheitlichkeit, die gute Gesetzessprache auszeichnet, hohnsprechend. Das gilt auch für "Verkehrsteilnehmer" und seine gegenderten Varianten u.a. Man kann sich übrigens angesichts der krampfhaft wirkenden Genderformen wie "zu Fuß Gehende", das jeder – ich behaupte: selbst Feministinnen – unwillkürlich sofort in das übliche "Fußgänger" zurückübersetzt, fragen, ob das Merkmal "Geschlecht" nicht gerade durch die ungelenken Vermeidungsversuche erst recht ins Bewusstsein rückt.

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 23:58:54
Zitat(Streng genommen verändert sich sogar der Sinn des Textes: Wenn in unserem LHG von "Professorinnen und Professoren" gesprochen wird, wo "Professoren" qua Opposition zu "Professorinnen" nur spezifisches Maskulinum sein kann, sind all diejenigen nicht mitgenannt, die sich eventuell keinem der beiden Geschlechter zugehörig fühlen. Das ist praktisch natürlich irrelevant

Das ist es nicht.

Ich meine nur, dass es keine Auswirkung auf die juristische Gültigkeit der Gesetze für alle Personen hat.

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 23:58:54
Unerbittliche Begriffstreue beißt sich allerdings nicht mit einer Vermeidung des generischen Maskulinums.

O doch. Spätestens bei Komposita wie "Fußgängerüberweg" (in der neuen StVO einfach ungegendert geblieben) wird es eng. Gut, Leuten, die das verzapfen, was jetzt vorliegt, traut man auch den "Zufußgehendenüberweg" zu.

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 23:58:54
Und das wer zu Fuß geht der neuen StVO fügt sich die spröd-reizvolle Sprache m.E. wunderbar ein: erst ungewohnt, etwas befremdlich, aber völlig mit den Mitteln der bestehenden Sprache und sehr klar. Das zumindest finde ich mal eine gelungene Überarbeitung.

Ich finde es im Gegenteil ganz schrecklich. Sieh Dir mal § 25 an, der ist mit "Fußgänger" überschrieben. Das geht auch nicht anders, denn "Wer zu Fuß geht" konnte er nicht heißen. "Zu Fuß Gehende" wäre möglich gewesen, aber offenbar wollte man in der Überschrift nicht von dem griffigen, üblichen Wort lassen – symptomatisch, wie ich finde. Jetzt sieh Dir aber bitte mal die ersten vier Absätze an: Alle beginnen Sie mit "Wer zu Fuß geht". Ich hatte sofort das Gefühl, dass das – unabhängig vom Gender-Aspekt – nicht gesetzessprachgemäß ist. Und nach einer Weile bin ich darauf gekommen, warum: Solche "Wer-"Formeln gibt es häufig in Gesetzen. Sie stehen aber immer dort, wo situativ in einem Gesetzestext eine Gruppe eigens definiert werden soll, für die kein hinreichend kurzer, gängiger Gruppenterminus existiert: "Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert", "Wer sich um einen Sitz im Bundestage bewirbt", "Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder ... erhält" "Deutscher im Sinne dieses Grundgesetzes ist ..., wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt" (Beispiele aus dem GG). So ein Ausdruck wird nie für dieselbe Gruppe wiederholt ("wer die meisten Stimmen erhält" könnte natürlich auf mehrere Gruppen angewendet werden). Auch bei Stichproben im BGB habe ich nur Ausdrücke dieser Art und nur Solitäre gefunden. Wie in § 25 StVO reihenweise und danach öfter "wer zu Fuß geht" für die in der Straßenverkehrsthematik wohlbekannte Standardteilnehmergruppe der Fußgänger zu benutzen, ist stilistisch genau so schlimm, als wollte man im GG "Bundesminister" konsequent durch "wer ein Bundesministerium leitet" ersetzen. Ich frage mich, warum man an eine solche Novellierung Leute heranlässt, die keinerlei Sprachgefühl für die Textsorte haben, in der sie sich täglich bewegen.

Homer

Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 21:55:14
Zitat von: amarillo in 2015-06-16, 17:35:32
Ein Satz, der mich heute stutzen ließ: "Laurie litt wie kaum ein anderer an Schlaflosigkeit..." (John Katzenbach: der Professor)
Meines Erachtens gehören den Übersetzern sowie den Lektoren die Ohren lang gezogen: 'Laurie' ist hier nämlich ein weiblicher Vorname und nicht, was auch möglich wäre, ein Familienname.

Da ist ein anderer wohl als generisches Maskulinum gemeint. Wenn da stünde: eine andere, dann müsste man ja annehmen, hier würde Lauries Schlaflosigkeit nur mit der anderer Frauen verglichen, und nicht von Männern, es sei denn, man wüsste, dass die Autorin (so wie ich jetzt) gelegentlich ein generisches Femininum verwendet.

Ja, das soll wohl wirklich generisches Maskulinum sein. Für mein Gefühl ist aber "ein anderer" mit seiner maskulinen Endung gerade durch den vergleichenden, über "wie" auch grammatisch hergestellten Bezug auf eine Frau in doch störender Weise mit einem nicht unerheblichen Rest männlicher Konnotation behaftet. Der in der Tendenz weniger für die Abstraktion vom Merkmal "Geschlecht" geeignete Singular tut ein übriges. Es hätte bessere Mittel gegeben, die Geschlechtsneutralität auszudrücken: "wie kaum jemand anders" oder (sogar im radikalsten feministischen Sinne klinisch sauber) "wie (nur) wenige andere". Deshalb bin ich beim Ohren-Langziehen dabei.

Wortklaux

Zitat von: Homer in 2015-06-17, 08:39:14
Zitat von: Kilian in 2015-06-16, 21:55:14
Zitat von: amarillo in 2015-06-16, 17:35:32
Ein Satz, der mich heute stutzen ließ: "Laurie litt wie kaum ein anderer an Schlaflosigkeit..." (John Katzenbach: der Professor)
Meines Erachtens gehören den Übersetzern sowie den Lektoren die Ohren lang gezogen: 'Laurie' ist hier nämlich ein weiblicher Vorname und nicht, was auch möglich wäre, ein Familienname.

Da ist ein anderer wohl als generisches Maskulinum gemeint. Wenn da stünde: eine andere, dann müsste man ja annehmen, hier würde Lauries Schlaflosigkeit nur mit der anderer Frauen verglichen, und nicht von Männern, es sei denn, man wüsste, dass die Autorin (so wie ich jetzt) gelegentlich ein generisches Femininum verwendet.

Ja, das soll wohl wirklich generisches Maskulinum sein. Für mein Gefühl ist aber "ein anderer" mit seiner maskulinen Endung gerade durch den vergleichenden, über "wie" auch grammatisch hergestellten Bezug auf eine Frau in doch störender Weise mit einem nicht unerheblichen Rest männlicher Konnotation behaftet. Der in der Tendenz weniger für die Abstraktion vom Merkmal "Geschlecht" geeignete Singular tut ein übriges. Es hätte bessere Mittel gegeben, die Geschlechtsneutralität auszudrücken: "wie kaum jemand anders" oder (sogar im radikalsten feministischen Sinne klinisch sauber) "wie (nur) wenige andere". Deshalb bin ich beim Ohren-Langziehen dabei.
Ich kann mich über diese Diskussion nur wundern. Jedenfalls bestätigt sie, dass es vollkommen subjektiv ist, wo die Grenzen des generischen Maskulinums sind. Hier handelt es sich offensichtlich um Literatur. Gleich ob es sich um ein Originalwerk oder um eine Übersetzung handelt, darf man die Sprache hier nicht mit denselben Maßstäben messen wie in einem Gesetzestext oder einer Universitätsveröffentlichung, da es ja jedem Leser freisteht, das künstlerische Werk anzunehmen oder abzulehnen und dadurch keinerlei subjektives Recht berührt wird. Kritik ist erlaubt, aber das Ohren-Langziehen (eine obsolete Erziehungsmaßnahme, die, wenn heute überhaupt noch etwas, nur die Zurechtweisung aus einer Autoritätsposition bezeichnen kann) ist hier meiner Meinung nach vollkommen fehl am Platze.

Für mich klingt das generische Maskulinum hier im übrigen akzeptabel, vorausgesetzt, dass vorher bereits bekannt ist, dass Laurie eine Frau ist. Es ist hier vom wortklauxischen Standpunkt sogar besonders angemessen, da selbst die theoretische Möglichkeit, dass Frauen nicht eingeschlossen sein könnten, durch den Kontext sicher ausgeschlossen ist (denn Laurie ist ja eingeschlossen). Aber das ist anscheinend auch wieder nur meine ganz subjektive Meinung.

"Wie kaum jemand anders" wäre in einem Gesetzestext ein adäquater Ersatz, aber nicht in einem literarischen Text. "Einer trage des andern Last" kann man auch nicht durch "man trage die Last von jemand anders" ersetzen, ohne dass der Satz seiner rhetorischen Wirkung beraubt wird. Gibt es für diesen Satz eigentlich überhaupt einen akzeptablen Ersatz, der auf generisches Maskulinum verzichtet?

Homer

#79
Stilfragen sind in gewissen Grenzen unvermeidlich subjektiv, natürlich. Ich finde das generische Maskulinum hier, wie gesagt, nicht glücklich, zumal es vermeidbar ist, ohne dass m.E. die Literarizität des Ausdrucks leidet. Wenn Dir "wie kaum jemand anders" nicht gefällt – ich finde es keine Spur bürokratischer und unliterarischer als "wie kaum ein anderer" –, wie ist es dann mit meinem anderen Vorschlag "wie (nur) wenige andere"? Es gibt noch andere Möglichkeiten, mit einem der allenfalls sehr schwach männlich markierten Ausdrücke "jemand" oder "niemand" zu arbeiten, wenn es unbedingt ein Singular sein soll, z.B. "wie kaum jemand sonst", "wie fast niemand sonst". Umformungen mit "mehr als" sind ebenfalls denkbar: "mehr als die meisten anderen" z.B. Das kommt mir durchweg besser vor als die gewählte Lösung.

"Einer trage des andern Last" kann man nicht deshalb nicht durch "man trage die Last von jemand anders" ersetzen, weil "jemand anders" per se so viel hässlicher wäre als "des andern" – obwohl es sicher weniger poetisch ist –, sondern aus zwei anderen Gründen: 1. Die durch "einer ... des anderen" ausgedrückte Reziprozität geht verloren, die für die Aussage zentral ist; 2. wegen des hier nun wirklich unschönen "von"-Genitivs. Kilian würde hier wahrscheinlich zum Gendern auf die Einführung des Neutrums "eines" dringen, aber solange die Standardsprache das (m.E. verständlicherweise) nicht akzeptiert, sehe ich hier keine gleichwertige Alternative zum generischen Maskulinum.

Was das Ohren-Langziehen angeht: "Ohren-Langziehen ;)" – besser so?

Wortklaux

Ich glaube nicht, dass "einer trage des andern Last" reziprok gemeint ist. Gemeint ist hauptsächlich, dass der Stärkere dem Schwächeren helfen soll. Entscheidend ist hier, dass man nicht egoistisch denken soll und dass das Gegenüber (oh! ein schöner geschlechtsneutraler Ausdruck!) eine konkrete Person ist, die einem begegnet.

Und was die anderen Abwägungen betrifft: ich denke, es ist wirklich eine Geschmacksfrage. "Wie kaum ein anderer" rückt einem die andere Person meiner Meinung konkreter vor Augen als "wie kaum jemand anders", und bei den Pluralvarianten verschwimmt der andere ohnehin in der Menge. Es ist schön, dass die deutsche Sprache so viele Ausdrucksmöglichkeiten hat. Die in diesem Fall von dx Überstetzx gewählte Formulierung finde ich jedenfalls prägnant und verständlich, und auch wenn ich über keine andere deiner Varianten stolpern würde, fiele meine Wahl vermutlich auch auf "wie kaum jemand anders" — wenngleich es schwierig ist, sich in einer Disputation ganz in die neutrale Position zu versetzen.

Homer

Zitat von: Wortklaux in 2015-06-17, 21:34:31
Ich glaube nicht, dass "einer trage des andern Last" reziprok gemeint ist.

Doch, das ist eindeutig. Im griechischen Original (Galater 6:2) steht der Genitiv des Reziprokpronomens: ἀλλήλων τὰ βάρη βαστάζετε (allēlōn ta barē bastazete).

Wortklaux

OK, man soll sich gegenseitig helfen, aber sicher nicht, indem man demjenigen, dessen Last man übernimmt, die eigene aufbürdet, denn das wäre nicht sinnvoll. Die Gegenseitigkeit steht hier nicht im Vordergrund. Im Einzelfall ist es immer der eine, der dem anderen hilft, und zwar ohne die Erwartung einer Gegenleistung.

amarillo

Zitat von: Homer in 2015-06-17, 20:29:53
Was das Ohren-Langziehen angeht: "Ohren-Langziehen ;)" – besser so?

Oder, einer etwas älteren, rustikaleren Pädagogik folgend, den Arsch versohlen!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Wortklaux

Zitat von: Homer in 2015-06-17, 20:29:53
Was das Ohren-Langziehen angeht: "Ohren-Langziehen ;)" – besser so?
Vielleicht besser, aber länger zieht man sooooo ;)"""

Homer

Zitat von: Wortklaux in 2015-06-17, 22:18:53
OK, man soll sich gegenseitig helfen, aber sicher nicht, indem man demjenigen, dessen Last man übernimmt, die eigene aufbürdet, denn das wäre nicht sinnvoll. Die Gegenseitigkeit steht hier nicht im Vordergrund. Im Einzelfall ist es immer der eine, der dem anderen hilft, und zwar ohne die Erwartung einer Gegenleistung.

Der Begriff der "Gegenseitigkeit", die hier gemeint ist, ist natürlich nicht auf paarweise Reziprozität beschränkt. Das griechische ἀλλήλων und das deutsche "einander" werden in der Grammatik in diesem etwas weiteren Sinne üblicherweise als Reziprozitätsausdrücke bezeichnet. Eine ganz wörtliche Übersetzung des griechischen Galatertextes wäre "tragt die Lasten voneinander".

Wortklaux

Aber diese paarunweise Reziprozität wäre ja semantisch auch durch die Form "man trage die Last von jemand anders" gegeben, da sich das "man" ja auf alle Mitglieder der Gemeinschaft bezieht, also auch wieder auf diejenigen, deren Lasten getragen werden.

Homer

Nach meinem Gefühl reicht das vielleicht für die nachrechnende Logik, aber nicht für das Stilgefühl zum Ausdruck der Reziprozität. Hast Du ja selbst schon gesagt. "Jemand anders" ist auch nicht wirklich äquivalent zu "der andere".

Kilian

Zitat von: Homer in 2015-06-17, 02:38:22Wenn diese Schwelle der psychologischen Wirksamkeit unterschritten ist, kann auch keine subjektive Diskriminierung stattfinden, mehr wollte ich nicht sagen. Ich glaube nicht, dass wir uns darin uneins sein müssen. Ich glaube wahrscheinlich nur an mehr Fälle der Verwendung des generischen Maskulinums, die unterhalb dieser Schwelle liegen, als Du.

So ist es wohl. Glauben hilft freilich weder dir noch mir weiter, zur Wahrheitsfindung sind wir auf empirische Befunde angewiesen. Also bitte nicht der Psycholinguistik ihre Relevanz für diese Materie absprechen.

Ob man im Einzelfall lieber eine mögliche Ungleichbehandlung von weiblichen Zuhörerinnen und ein mögliches Beitragen zum Erhalt von Rollenstereotypen in Kauf nimmt oder andererseits durch ein gewisses Überbetonen der Kategorie "Geschlecht" Kommunikationshürdchen für alle Zuhörer/innen schafft, ist natürlich auch eine Frage der Abwägung – und letztlich wird uns da unser Gespür für die sich wandelnde Sprache und für den jeweiligen Kontext leiten.

Ich finde, das ist ein schönes Schlusswort. ;D

Berthold

#89
Zitat von: Wortklaux in 2015-06-12, 17:06:22

Dabei ging mir gerade die Frage auf, ob "Leute" eigentlich auch ein generisches Maskulinum ist. Ich wüsste kein Kriterium, nach dem man diese Frage beantworten könnte.

Na ja, "das Geleut'-Geläut'" gäb's da ja nöthenfalls auch noch. - Froychl ist eins mit einem bekannten Faustzitat ("die Faust!") - und der dazugehörigen Antwort - keineswegs aus der Schneiderin. Auch das ist nicht ganz Gerächtigkeit. - Denn auch es masculiert ein wagn - und entstammt nicht der Frau Vulpius:

Faust:
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,
Meinen Arm und Geläut' Ihr anzutragen?

Margarete:
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann unbeläutet nach Hause gehn.

Forts. von Schikaneder & Mozart:
Faust:
Beim Himmel, dieses Kind ist schön,
wie noch kein Auge je geseh'n ...

Diesmal möchte ich mit einem laaangen japanischen Vogelnamen unterschreiben:
Mamijirotsumenagasekirei <眉白爪長鶺鴒> (Schafstelze - Motacilla flava simillima)
Ob in diesem Namen das Sekkieren - wohl kaum das Säckieren - stecken mag?