So viel Eier

Begonnen von Kilian, 2012-07-04, 22:05:24

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Kilian

Ein Mann hat für gewöhnlich zwei Hoden, ugs. Eier. Im übertragenen Sinne sagt man auch, jemand - ob Mann oder Frau - habe Eier, wenn er/sie mutig und durchsetzungsfähig ist. Wie aber quantifiziert man in dieser Wendung Mut und Durchsetzungskraft? "Ich habe noch nie einen Torwart mit so vielen Eiern gesehen", klingt komisch, weil Mut und Durchsetzungskraft sich nicht zählen lassen und man hier dann doch wieder an Hoden denkt, in medizinisch bedenklichen Anzahlen. Vielleicht deswegen las ich neulich: "Ich habe noch nie einen Torwart mit so viel Eiern gesehen." Hier ist das Substantiv Plural, kongruiert aber mit einem viel im Singular. Eine erste Stufe auf dem Weg von einem Plural zu einem eigenständigen Singularetantum? Gugelt man nach "so viel Eier", findet man freilich viele Beispiele, in denen das viel schlichtweg aus dialektalen Gründen nicht flektiert.

Wortklauber

Dass bei "so viel Eier" "viel" ein Singular sei, bezwülfe ich. Handelt es sich nicht eher um ein Adverb? Oder was auch immer für einen Quantifurz. Jedenfalls würde es ja entweder "er hat so vielen Eier", "er hat so viele (fem. sg.) Eier" oder "er hat so vieles Eier" heißen, wenn es sich um ein Adjektiv zu einem singulären Substantiv hielnde.

Das indeklinable "viel", das sich  ist meines Erachtens für Plurale Tanten ebenso wie für Singulare Onkel verwendbar.
"Ich möchte nur wenig Nudeln." "Ich möchte aber gerne viel Nudeln."
bezieht sich auf die Menge, nicht auf die Zahl der Nudeln. Wenn die Nudeln lang genug sind, genügen wenige Nudeln, und trotzdem hat man viel Nudeln. Und wenn sie sehr kurz sind, hat man vielleicht wenig Nudeln auf dem Teller, obwohl es viele sind.

Kilian

Zitat von: Wortklauber in 2012-07-09, 09:00:42Dass bei "so viel Eier" "viel" ein Singular sei, bezwülfe ich. Handelt es sich nicht eher um ein Adverb?

Adverbien modifizieren Verben, Adjektive, Adverbien oder Sätze. viel als Adverb hat, so weit ich gerade denken kann, nur diese Arten der Verwendung:

I) Ein Verb modifizierend i.S.v. oft: Ich singe viel.
II) Ein Adjektiv im Komparativ modifizierend: Ich bin viel größer.
IIa) Entsprechend für Adverbien: Sie hat viel stärker gespielt.
III) Das Adverb zu modifizierend: Ich bin viel zu groß, Sie hat viel zu stark gespielt.

Was wäre in ein Torwart, der so viel Eier hat durch viel modifizoren? Nein, ein Adverb scheint es mir nicht zu sein.

Oder was auch immer für einen Quantifurz.

Ja, Quantifizierer oder Determinierer würde es schon eher treffen. Zumindest, dass das viel das Wort Eier modifiziert, scheint klar zu sein. Einschlägige Wörterbücher kennen nun die Wortart Quantifizierer oder Determinierer nicht und führen viel als Adjektiv. Das heißt aber nicht...

Jedenfalls würde es ja entweder "er hat so vielen Eier", "er hat so viele (fem. sg.) Eier" oder "er hat so vieles Eier" heißen, wenn es sich um ein Adjektiv zu einem singulären Substantiv hielnde.

...dass es wie jedes andere Adjektiv flektieren muss: Es heißt ja auch nicht vielen Reis, viele Milch oder vieles Gras.

ZitatDas indeklinable "viel", das sich  ist meines Erachtens für Plurale Tanten ebenso wie für Singulare Onkel verwendbar.
"Ich möchte nur wenig Nudeln." "Ich möchte aber gerne viel Nudeln."
bezieht sich auf die Menge, nicht auf die Zahl der Nudeln. Wenn die Nudeln lang genug sind, genügen wenige Nudeln, und trotzdem hat man viel Nudeln. Und wenn sie sehr kurz sind, hat man vielleicht wenig Nudeln auf dem Teller, obwohl es viele sind.

Oh, stimmt! Scheint in der Tat, dass sich auch Wörter im Plural sprachlich als Massen behandeln lassen, desto besser, je massenartiger das davon Bezinchene ist. so viel Erbsen klingt z.B. in meinen Ohren besser als so viel Gabeln. Die Antwort auf meine ursprüngliche Frage kekünne also sein: das indeklinable viel passt besser zu den Eiern in ihrer übertrageneren (Mut, Durchsetzungskraft, eine Quantität) als in ihrer wörtlicheren (Hoden, pro Mann an einer knappen halben Hand abzählbar) Bedeutung.

Homer

Die Duden-Grammatik spricht von einem "Grenzfall" zwischen Adjektiv und "indefinitem Artikelwort/Pronomen" des Typs etwas. Neben viel quantifizieren auch mehr und weniger Substantive, ohne dekliniert zu werden. Interessant und, soweit ich sehe, vom Duden unerwähnt ist aber, dass auch ganz normale Adjektive durch Weglassen der Endung zu solchen quasi-artikulär-pronominalen Quantifikatoren werden können:

Gib mir ordentlich Sauce!
Das erzeugt reichlich Wirbel.
Er bekam massenhaft Fanpost.

Dass ordentlich, reichlich und massenhaft hier nicht einfach Adverbien sind, sieht man daran, dass man sie in einen Präpositionalausdruck stellen kann:

Ich nehme Nudeln mit ordentlich Sauce.
Das sorgte für reichlich Wirbel.
Ich freue mich auf massenhaft Fanpost.

Viel Eier erinnert an partitive Konstruktionen in anderen Sprachen (frz. beaucoup d'œufs, lat. multum ovorum), nur dass im Deutschen eher selten mit einem echten Genitiv gearbeitet wird, der auch durch einen Artikel als solcher kenntlich ist: zuviel der Ehre. Man findet aber netzens durchaus auch Sätze wie: "Das mitgebrachte Fleisch wurde nun endlich auf dem offenen Feuer zubereitet und mit reichlich des guten Trunkes verzehrt."

Homer

In dem Zusammenhang mal eine Frage: Sind Aufhebens und Federlesens eigentlich Genitive, die sich aus ihrem ursprünglichen Gebrauch mit quantifizierenden Ausdrücken wie viel und wenig emanzipiert haben, so daß man mittlerweile auch sagen kann kein großes Aufhebens machen? Ohne ihr -s kommen sie jedenfalls heutzutage nicht mehr vor.

Berthold

#5
Zitat von: Homer in 2012-07-11, 17:06:12
(...)
vom Duden unerwähnt ist aber, dass auch ganz normale Adjektive durch Weglassen der Endung zu solchen quasi-artikulär-pronominalen Quantifikatoren werden können:

Gib mir ordentlich Sauce!
Das erzeugt reichlich Wirbel.
Er bekam massenhaft Fanpost.
(...)

Na vom DUDEN. - Wir Botaniker wissen da etwas mehr.

Glaubst Du nicht, daß diese Zwei- oder Dreisilbler gewissermaßen vom folgenden Hauptwort nahezu herangezogen, - gerissen, ja verschlungen werden, worden sind?
Bei den vielen Hochs etwa - Hochdruck, Hochgefühl, Hochkirche, Hochwild (..., ...) hat das ja längst stattgefunden.
Warum also nicht der Ordentlichsalat, die Ordentlichsauce, die Reichlichturbulenz, die Massenhaftfanpost? Das letzte Wort trüge ja nur ein Problem: Es kekünne als Fanpost gefangener Massen (aus einer Massenhaft) verstanden werden ...

Professor Manfred Fischer hat in der "Exkursionsflora für Österreich" EBEN SO - als Regel - Namen von Pflanzenarten gebildet: die Aufrecht-Trespe, Weich-Trespe, der Gewöhnlich-Windhalm, die Gewöhnlich-Berberitze, Klebrig-Erle, Echt-Wundklee, Gefleckt-Aronstab, Behaart-Schaumkraut ...
Ein Botanicus als Vorreiter - Vorsäer!

Jene also auch aus sprachlichen Gründen sehr empfehlenswerte Flora:
http://www.xflora.info/   
Siehe etwa auch:
http://www.uni-graz.at/walter.obermayer/plants-of-styria/plants-of-styria-mainpage.html

Nörgler

Zitat von: Berthold in 2012-07-12, 16:08:57
Wir Botaniker

Ich dachte, du wärest Zoologe — oder hast du zo — oh! — gelogen?

Kilian

Wow, klasse, Homer, vielen Dank! War mir noch nie aufgefallen, das mit reichlich und Freunden.

Zitat von: Homer in 2012-07-12, 00:50:27
In dem Zusammenhang mal eine Frage: Sind Aufhebens und Federlesens eigentlich Genitive, die sich aus ihrem ursprünglichen Gebrauch mit quantifizierenden Ausdrücken wie viel und wenig emanzipiert haben, so daß man mittlerweile auch sagen kann kein großes Aufhebens machen? Ohne ihr -s kommen sie jedenfalls heutzutage nicht mehr vor.

Scheint mir plausibel. Ich habe vor einer knappen Dekade kurz mal hier laut drüber nachgedacht: http://verben.texttheater.net/forum/index.php/topic,58.msg512.html#msg512

Homer

Sieh an, alles schon mal dagewesen! Danke für den Hinweis!

Berthold

Zitat von: Nörgler in 2012-07-12, 18:32:39
Zitat von: Berthold in 2012-07-12, 16:08:57
Wir Botaniker

Ich dachte, du wärest Zoologe — oder hast du zo — oh! — gelogen?

Beides. Ich war auch bei zwei botanischen Pfappleichen betielegen - über einheimische Knabencreytter (Orchidaceae):
https://forschung.boku.ac.at/fis/suchen.person_publikationen?sprache_in=de&menue_id_in=102&id_in=3592 - siehe 2003.
http://www.landesmuseum.at/datenbanken/digilit/?litnr=24364 - (2003) über Epipactis rhodanensis