Große Lehr- und Dinggedichte

Begonnen von AmelieZapf, 2007-02-05, 14:58:49

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AmelieZapf

Hallo zusammen,

zu Studienzeiten duellierte ich mich mit einem Kommilitonen regelmäßig mit, wie wir sie nannten, "großen Lehr- und Dinggedichten". Mir fiel gerade wieder eines ein, nämlich das

Sonett über die polarisierte Doppelbindung in der Carbonylgruppe

Zwei Kerne, Aug' in Auge stehen sie,
C und O, und diese beiden binden
Zwei starke Bande, deren Namen finden
Sich in der Lit'ratur: σ und π.

Der Sauerstoff, der finstere Geselle,
Zieht alle Bindungsladung zu sich hin --
Nach Selbstbescheidung steht ihm nicht der Sinn,
Und frech erhöht er sich der Teilchen Welle.

Der Kohlenstoff läßt sich dies wohlgefallen,
Er muß sich ja an noch zwei Partner kehren,
Doch ist er wie der Radler, unten tritt er,

Dieweil er oben buckelt, und von allen
Beiden Partnern holt er, sich zu wehren,
Die ihm gebühr'nde Ladung. Wahr und bitter.


Das ist zwar nicht gestorken, aber dennoch nett. Gibt's von Euch anderen auch lustige Frühwerke?

Noch was: Das ist zwar kein Labenz, aber trotzdem zu schön, um ungesagen zu bleiben:

Fürbaß, der: Instrument oder Sänger der Tenor- oder Baritonlage, der/das herangezogen wird, wenn kein eigentlicher Baß greifbar ist, was oft auch an der Sperrigkeit und Kostspieligkeit der Baßinstrumente liegt. Kleinstadttheater besetzen bei Zauberflöte-Aufführungen gerne den Sarastro mit einem Fürbaß, der die entsprechenden Töne gerade mal zu röcheln imstande ist. Im Bereich der Instrumentalmusik entwickeln Fürbassisten oft erstaunliche Kreativität: Von der Vergewaltigung der Tenorposaune in evangelischen Posaunenchören bis zum Waschzuberbaß der amerikanischen Folklore reicht das Spektrum.

Grüße,

Amy
Religion heute:
Ex oriente deus,
ex machina lux.

Kilian

Hihi! Ich muss mal in meiner Frühwerkekartei gucken, aber so etwas Schönes ist bestimmt nicht dabei.

Michael

#2
Ebenfalls in Studienzeiten fand sich in einem Lehrbuch der Makroökonomie ein englisches Gedicht eines Herrn Boulding (Kenneth E.) - ich weiß nicht ob Ökonom oder Dichter. Gleichviel, weil es so schön war übertrug ich es ins Deutsche, wo es so lautet:

Bist Du etwas akrobatisch
und ein bisschen mathematisch
bringst Du es gewiss mal weit.

Ist Dein Ansatz nicht vertretbar,
mach´ es einfach nicht verstehbar,
sonst ist alles gleich vorbei.
Und Dein Werk wird Wellen schlagen,
wenn Du nur vergisst zu sagen,
was der Sinn der Sache sei.

Sprich von Gelddichotomie,
S gleich Defizit plus I,
sektoralen Divergenzen,
Lösungsräumen, Nutzengrenzen
und Oligonopopsonie.

Kilian

Passt sehr schön z.B. auf John Searles Structure of Illocutionary Acts.