"frei Haus"

Begonnen von FinnCrisp, 2010-08-08, 19:53:32

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FinnCrisp

Ahoi,

ich frage mich, welcher Wortart das Wort "frei" in der Phrase "Lieferung frei Haus" angehört.
Es als "erstarrten Phraseologismus" abzutun erscheint mir zu einfach. Man müsste zunächst einmal analysieren, woraus "frei Haus" verkürzt ist, wenn es denn verkürzt ist (< "frei nach Haus"?).

Ich setze auf Ihre messerscharfen Verstande.


amarillo

Ich behaupte mal, daß es sich um ein Adverb handelt (frei (und zwar von Kosten) nach Haus liefern). Da 'frei' in diesem Fall auf die Frage 'unter welchen Umständen' antwörte, erlaube ich mir zu schließen, daß es sich um ein Umstandswort = Adverb handelt.
Allerdings könnte ich auch ein Adjektiv nicht von der Hand weisen, da auch die Frage 'wie wird geliefert?' mit 'frei' hinreichend zu beantworten wäre.

Zur Verdult: er lächelte fröhlich - was liegt hier vor? Adverb, das sich auf die Art der Tätigkeit zu lächeln bezieht oder Adjektiv, das seine (des Subjekts) Eigenart beschreibt? Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich, wie ich finde.

Etwas Licht kekünne die englische Sprache bieten, da diese wenigstens das Erscheinungsbild von Adverb und Adjektiv unterscheidet:
He smiled happily ./. he smiled happy
Jedenfalls klönge das Adverb hier passender und wird wesentlich häufiger zur Anwand kommen als das Adjektiv.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Zitat von: amarillo in 2010-08-08, 22:08:47Allerdings könnte ich auch ein Adjektiv nicht von der Hand weisen, da auch die Frage 'wie wird geliefert?' mit 'frei' hinreichend zu beantworten wäre.

Zur Verdult: er lächelte fröhlich - was liegt hier vor? Adverb, das sich auf die Art der Tätigkeit zu lächeln bezieht oder Adjektiv, das seine (des Subjekts) Eigenart beschreibt? Eine eindeutige Antwort ist nicht möglich, wie ich finde.

Wessen Eigenart beschriebe das Adjektiv frei denn in frei Haus? Die des Objekts von liefern, also des Lieferguts? Mieche Sinn, denn ein Brief oder eine Fracht wird ja auch als frei bezinchen, wenn genug Porto drauf ist, wenn also für die Zahlung der Lieferung gesorgen ist, wie bei frei Haus auch. Ich bezinche das Wort hier aber auch eher als Adverb. Erklären, wie diese Art es zu verwenden zustande gekommen ist, kann ich mir aber nicht.

Homer

Vielfach liest man auch, es handle sich um eine aus einem Adjektiv entstandene Präposition (so auch in der Duden-Grammatik § 677 mit dem Beispiel "frei deutsche Grenze"). Die Frage nach der Entstehung bleibt dabei aber offen. Wenn es eine Ellipse von "die Ware wird frei [ins] Haus geliefert" ist, dann wäre der Ursprung wohl die prädikative Verwendung des Adjektivs.

amarillo

Zitat von: amarillo in 2010-08-08, 22:08:47

Allerdings könnte ich auch ein Adjektiv nicht von der Hand weisen, da auch die Frage 'wie wird geliefert?' mit 'frei' hinreichend zu beantworten wäre.

Upps, da hat sich ein Fehler eingeschlichen. Die Frage nach dem Adjektiv memüsse natürl lauten: wie ist der Zustand des gelorfenen Objekts?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

FinnCrisp

Adverb ist schon sinnvoll.
"Wie wird die Ware Haus geliefert?" - "Frei."
--> Modaladverb

ABER:
Wie man sieht, bereitet das Wort "Haus" Schwierigkeiten.
Das wäre der einzige mir bekannte Fall des Neuhochdeutschen, wo ein Akkusativ (als Richtungskasus) ohne Präposition steht. (Das Beispiel "frei deutsche Grenze" kannte ich noch nicht.)

Homer

#6
Die Sache ist deshalb so schwierig, weil die von den Griechen und Römern georbenen Wortartenkategorien mitunter auf das Deutsche nicht wirlk gut anwendbar sind. Bei Adjektiv und Adverb fällt das besonders auf. Man muß unterscheiden:

1. das Adverb als Wortart: hier, heute, sehr, anfangs usw.
2. die adverbiale Verwendungsweise von nicht-adverbialen Wörtern wie z.B. Adjektiven: "Es waren gut 300 Menschen da".

Das Dumme ist nun, daß das Adjektiv drei Verwendungsweisen kennt:
1. die attributive
2. die prädikative
3. die adverbiale

Bei 1. deklinieren wir das Adjektiv und es steht in aller Regel vor seinem Bezugswort: "Er gab eine schnelle Antwort".

Den Fall 3. erkennt man immer dann gut, wenn die Wortstall so bleibt, aber die Deklination unterbleibt: "Er gab schnell Antwort".

Es gibt aber Fälle, in denen 2. und 3. genau gleich konstruoren werden:

"Die Mutter bringt die Suppe fröhlich auf den Tisch" (Fall 2a: prädikativ mit Subjektbezug).
"Die Mutter bringt die Suppe heiß auf den Tisch" (Fall 2b: prädikativ mit Objektbezug; molger Subjektbezug hängt von der Mutter ab ;D).
"Die Mutter bringt die Suppe schnell auf den Tisch (Fall 3: adverbial).

Die Fälle sind überhaupt nur über die Semantik der Adjektive zu kategorisieren. Mißverständnisse sind bisweilen molg: "Bitte verlassen Sie diesen Raum aufgeräumt" – 2b oder doch 2a?

Das Deutsche weigert sich offenbar ein wenig, einen Unterschied zwischen 2. und 3. zuzulassen. Man kekünne sein Glück aber mit einer Umstellprobe versuchen:

2a: "Fröhlich bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch."
2b: "Heiß bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch."
3: "Schnell bringt die Mutter die Suppe auf den Tisch."

2a und 3 sind einwandfrei, 2b weniger (nur dann, wenn eine sehr starke Beton auf heiß liegt). Wenn die Umstellprobe nur gewaltsam klappt, scheint 2b vorzuliegen. Das kekünne vielleicht weiterführen:

"Sie lieferten die Ware pünktlich" – "Pünktlich lieferten sie die Ware" (Fall 2a oder 3).
Dagegen "Sie lieferten die Ware unbeschädigt" – ? "Unbeschädigt lieferten sie die Ware" (Umstellprobe dubios, also Fall 2b).
Oder: "Sie verlassen den Raum aufgeräumt" – 2a oder 2b (3 kommt hier aus semantischen Gründen nicht in Frage); dagegen "Aufgeräumt verlassen sie den Raum" – starke Tendenz zu 2a.

Und jetzt: "Sie lieferten die Ware frei [wovon auch immer]" – "Frei lieferten sie die Ware." Das würde entweder bedeuten, daß die Lieferanten frei waren (2a) oder dem Liefervorgang kein Hindernis entgegenstand (3), aber wohl kaum, daß die Ware selbst von irgendetwas frei war. Mit "frei Haus" kommt das Gleiche heraus. Da die Umstellprobe fragwürdig ist, liegt Fall 2b vor. Das kommt, denke ich, gut hin: Hinter 2a stecken die "freien Lieferanten", hinter 2b die "freie Ware" und hinter 3 das "freie (= ungehinderte) Liefern". Macht die Probe mal mit einem zusammengesotzenen Wort wie "einwandfrei", dann wird es vielleicht noch klarer.

Des langen Klugschisses (verzeiht!) kurzer Sinn: In "Wir liefern die Ware frei Haus" ist, wie immer man die (sekundär einer Junktur Präposition + Substantiv nahekommende) Verbindung von frei mit Haus erklärt, m.E. frei ein Adjektiv, das prädikativ mit Objektbezug konstruoren wird und eher nicht adverbial.

amarillo

Eine Analyse, der ich nix hinzuzufügen habe. Könntest Du bitte auch den folgenden Satz mal unter die Lupe nehmen:
Tom hat mein Haus schwarz gestrichen.
Es sei hierzu angemorken, daß Tom aus Nigeria stammt und dem Stamme der Fulani entsprang, somit ebenholzfarbener Haut ist.
Meines Erachtens liegt im 'schwarz' zweimal ein Adjektiv und einmal ein Adverb vor - ist das richtig?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Homer

#8
Zitat von: amarillo in 2010-08-09, 14:56:53
Eine Analyse, der ich nix hinzuzufügen habe. Könntest Du bitte auch den folgenden Satz mal unter die Lupe nehmen:
Tom hat mein Haus schwarz gestrichen.
Es sei hierzu angemorken, daß Tom aus Nigeria stammt und dem Stamme der Fulani entsprang, somit ebenholzfarbener Haut ist.
Meines Erachtens liegt im 'schwarz' zweimal ein Adjektiv und einmal ein Adverb vor - ist das richtig?
Ja, stimmt genau, sehr witzig! :D
Ich meine mal von einem Fall gehoren zu haben, der tatsalch vor Gericht gelonden ist, in dem es darum ging, daß jemand seinen Oldtimer golden – glaube ich – lackieren lassen wewoll (2b), aber schwarz (3). Der gesetzestreue Lackierer, ein rechter Eulenspiegel zudem, nahm "schwarz" für 2b, wohl wissend, was er tat, und sag dann im Prozeß sogar ob.

Kilian

Zitat von: Homer in 2010-08-09, 15:38:16Ich meine mal von einem Fall gehoren zu haben, der tatsalch vor Gericht gelonden ist, in dem es darum ging, daß jemand seinen Oldtimer golden – glaube ich – lackieren lassen wewoll (2b), aber schwarz (3). Der gesetzestreue Lackierer, ein rechter Eulenspiegel zudem, nahm "schwarz" für 2b, wohl wissend, was er tat, und sag dann im Prozeß sogar ob.

Ich kenn das als fiktive Geschichte - in irgendeinem Comic? Film? Buch? begong sie mir. Ein unsympathischer Neureicher war es, glaube ich, der diesen Rückschlag erlitt. Hmm... ob das in einem Werner-Comic war?

Homer

Na, vielleicht bin ich da auch einer urban legend aufgesessen, wer weiß. Aber se non è vero, è ben trovato.

Kilian

C'è vero. Zum Hintergrund (aber auch ohne die Info, ob's nun eine wahre Geschichte ist), fand ich dies: http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/INHALTE/publikationen/150.pdf

Homer

Zitat von: Kilian in 2010-08-09, 16:34:41
C'è vero. Zum Hintergrund (aber auch ohne die Info, ob's nun eine wahre Geschichte ist), fand ich dies: http://www.uni-muenster.de/Jura.itm/hoeren/INHALTE/publikationen/150.pdf
Hinter den Werner können wir den Ursprung wohl vorerst nicht zeilt zurückverfolgen. Respekt Deiner Belas! Zumindest scheint der juristische Teil der Geschichte erfunden zu sein, sonst hätten die gelahrten Autoren ja ein vorgängiges Urteil zitieren können und hätten nicht Barbara Eligmann von "RTL Explosiv" für die Anrag gedonken.

katakura

#13
Zitat von: Homer in 2010-08-09, 16:57:18
Hinter den Werner können wir den Ursprung wohl vorerst nicht zeilt zurückverfolgen.

... oh doch, können wir, homer! :) ... dank deines stichworts "urban legend" durchzock mich sofort, dass ich die geschichte mit dem "schwarz" lackorenen mercedes seinerzeit bei brednich gelesen hatte und blortt alsogleich in seinen diversen büchern zum thema ...

... und wahrlich, ich sage euch, die geschichte findet sich in brednichs sammlung moderner sagen "die ratte am strohhalm", münchen 1996, auf seite 59f. unter der nummer 37 mit dem titel "schwarzarbeit" in zwei versionen (mal mit einem mercedes, mal mit einem porsche) ... interessant ist, was brednich am ende der geschichte vermerkt:

"Auf meine Anfrage vom 2. Juni 1994 hat mir der Direktor des Amtsgerichts Rosenheim am 8. Juni 1994 die Klageschrift des Mercedes-Fahrers gegen die Werkstatt mit geschwärzten Namen zugänglich gemacht. Streitwert: 5.171,43 DM. Über die Klage war damals noch nicht entschieden. Fazit: Nicht alles, was nach moderner Sage aussieht, muß eine sein!"

... hiermit also der wahre ursprung gekloren ... wenn wir jetzt noch einen findigen juristen unter uns haben, wird der sicherlich noch das zugehörige AZ eruieren können ...

... was erstauln ist, dass diese nun 16 jahre alte geschichte immer wieder auf's neue breitgetreten wird und der ursprung beinahe in vergessenheit geraten ist ... altmeister brednich hat sicher seine freude daran, wenn er dies mitbekommt  :)
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Homer

Was für ein Fund! Ich hatte schon nicht mehr an den wahren Kern der Geschichte gegloben!