Ein Lob dem Kilian! // Lao³ Zi

Begonnen von Berthold, 2011-10-15, 15:38:55

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

Berthold

Liebe Leute!

Zur "Menschenführung" beziehe ich mich auf das Dao4 De2 Jing1 des
Lao3-Zi. Damit spaße ich nicht. Anstatt der, leider, allzu bekannten Übersotz ins Deutsche von Richard Wilhelm (1873-1930) ziehe ich die ins Englische von Gu Zhengkun (2006) vor:


Chapter 17

The best ruler is vaguely known to his subjects;
Next comes the ruler loved and praised;
Next comes the ruler being feared;
Next comes the ruler disdained.
The lack of faith on the part of the ruler
Leads to the lack of the people's confindence in him.
The best ruler is leasurely and carefree,
seldom issuing orders.
When the state affairs are properly dealt with,
The people all say,
"It should have happened to us like this."


Wie falsch & übel (zeitbezogen, kryptofaschistoid) das Richard Wilhelm "übersotz", dafür als Beispiel die letzten Zeilen:
"Wie überlegt muß man sein in seinen Worten! / Die Werke sind vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf, / und die Leute denken alle: / »Wir sind frei.«" [Den Leuten ist anscheinend nur etwas vorgespolen worden.]


Das ist keine Urwiener "Oasch(sch)graülarae", aber der Kilian wird verstehen, daß ich ihn mit Lao-Zis Zeilen lobe - und warum und wie ich das mache. Er wird auch wissen, daß es hier nicht um (z.B. goldene) Lineale geht.



Übertreiber

Zitat von: Berthold in 2011-10-15, 15:38:55
Wie falsch & übel (zeitbezogen, kryptofaschistoid) das Richard Wilhelm "übersotz", dafür als Beispiel die letzten Zeilen:
"Wie überlegt muß man sein in seinen Worten! / Die Werke sind vollbracht, die Geschäfte gehen ihren Lauf, / und die Leute denken alle: / »Wir sind frei.«" [Den Leuten ist anscheinend nur etwas vorgespolen worden.]


Nun, so falsch und übel finde ich den Übersatz nicht einmal. In meinen Ohren & Augen drückt er nochmals aus, dass man den besten Herrscher nicht wahrnimmt. So, wie bspw. Bedienstete dann am meisten gelåben werden, wenn sie ihre Arbeit unauffällig vollbringen.

Um es auf die Spitze zu treiben: Die Aussage "It should have happened to us like this", missfällt mir da schon viel mehr, da in ihr ein latenter Fatalismus, eine Gleichgult gegenüber dem notwendig Unperfekten, mitschwingt. Ein Unfreier, der sich frei dünkt, ist mir lieber, als einder, der meint, etwas hätte eh nicht geornden werden können.

Doch das ist nur meine persoln Meinung zum Inhalt der zwei Interpreturen. Welche die bessere ist, wird naturl nicht daran gemessen, welche Aussage mir besser pässt, sondern welche eher an der Bediut des Originals ist.
Kampf dem Schicksal!

Berthold

#2
Leider versteh ich Deinen Einwand nicht ganz.
Den Lao Zi (Erst schrieb ich, irrtümlich, Leo Zi) habe ich einem Schreiben innerhalb der BOKU entgegengehalten, in dem es (unter anderem) hieß:

"(...)
Allgemeine Einführung in Führungsfragen:
· Grundlagen: Unterschiedliche Führungslogiken kennen lernen: Von Führung zu Steuerung bzw. Rahmensteuerung, Anordnung und Vereinbarung
· Was heißt Führung und welche Aufgaben ergeben sich mit dieser Funktion
· Unterschiedliche Führungslogiken kennen lernen
· Motivation
· Anordnung und Vereinbarung
· Mitarbeiter/innenführung als Prozess
· Gesprächsführung
· Sitzungen gestalten
(...)"

-> http://www.boku.ac.at/fuehrenundsteuern00.html

An einer gescheiten Antwort auf den "Lao-Zi-Einwand" hätte ich meine Freude haben können.

Wenn Dir so ein punkteweises Vorgehen gegenüber Menschen gefällt - was ich Dir nicht unterstelle -, kann ich Dir nicht helfen. Mag aber sein, daß etwas bei der Strickrahmensteuerung an mir nicht guklumpp hat.


Übertreiber

Meine Antwort bezog sich auf deinen Kommentar, der Übersatz von Wilhelm sei ,,falsch & übel (zeitbezogen, kryptofaschistoid)". Ob er falsch (sinnentstellend) oder zeitbezogen ist, kann ich nicht beurteilen, da mir hier das Hintergrundwissen fehlt. Ich habe lediglich versucht, darzulegen, warum er mir nicht als übel oder gar heimverlichen faschistoid erscheint.

Und was man von einem Menschen halten soll, der einem anbietet, zu erklären, wie man Menschen ,,Führen und Steuern" kann, ist nun wirklich nicht schwer.  :D
Kampf dem Schicksal!

Berthold

#4
Lieber Übertreiber!

(Der lieben Emsi W. und Dir gewomden)

Ich memuoß mir, für mein sinologisches Vorhaben, erst mühsam - am Computer bin ich ein Depp - ein Chinesisch-Schreib-Programm installieren. Hier ist, nicht in traditionellen Zeichen (die bring ich nicht zu Euch hinüber), das 17. Kapitel des Dao4-de2-jing1:

太 上,下 知 有 之,
其 次,亲 而 誉 之;
其 次,畏 之,
其 次,侮 之;
信 不 足  焉,
有 不 信 焉!
悠 兮,其 贵 言,
功 成 事 遂,
百 姓 皆 谓 "我 自 然"。


Die ersten vier Zeilen sind ziemlich einfach zu übersetzen; etwa, in lockerer Form, so:
Über den besten Obersten (Herrscher)* hat fran nur geringes Wissen,
dann kommt der, der geliebt und gepriesen wird,
dann der, den fran fürchtet,
dann der, über den fran schimpft.


Das Folgende habe ich mir für die Zeilen fünf bis neun, Wort für Wort, übersontz, bzw. zusammenguschrimp:

Glaube / nicht / genug // (formal) here, herein, (usu. negative questioning)
how, why //

haben, there is / nicht / confidence, trust / siehe oben //

(Das heißt wohl: Wenn der Regierende selber nicht genug Glauben hat, werden ihm auch die Menschen nicht vertrauen.)   

long-drawn-out; leisurely / (part.) / his, he, that, such / teuer, dear
/ speech, word; say, talk, speak //

meritorious service / accomplish / matter, affair / satisfy, fulfil //

hundert, zahlreiche / surname, family name /  (formal) all; each and every
/ say, call; name; meaning; sense / Ich / self, oneself / right, correct

(Das mußt Du Dir selber genauer zu übersetzen versuchen. Für mich heißt es etwa:)

Wenn der Oberste (soferne selbst dieses Wort korrekt ist) gleichsam (Das steht nicht da.) nebenher und nur selten seine Vorschläge macht,
werden die Menschen ihre Angelegenheiten besonders gut erledigen.
Nicht nur hundert namhafte Familien (Ich bringe das wörtlich herein, aus Lao3-Zi-Übersötzen kenne ich es nicht.), sondern alle Menschen werden (sich) sagen: "Ich selbst handle richtig."
)

Du kannst mir nicht weismachen, Wilhelms geplunener Herrscherwille ("Wie überlegt muß man sein in seinen Worten! ...") wäre korrekt übersontz. Nein, gar nicht überlegt sesülle fran sein. Aber glaub, was Du glaubst, nach Lao3-Zi sollen die Leut ja eh selber auf solche Sachen kommen. Mein halt ich.

Ganz, gaanz herzlich!
Der Berthold

*Daß das justament ein Mann sein muß, steht hier nirgends.




Übertreiber

#5
Gut, ich sehe ein, dass ,,long-drawn-out; leisurely / (part.) / his, he, that, such / teuer, dear
/ speech, word; say, talk, speak" von Wilhelm falsch übersotzen worden ist.
Aber die letzte Zeile, die Mien des Volkes, schienen doch sowohl Wilhelm als auch Zhengkun den Kern nicht ganz getroffen zu haben, oder?
Ich lese aus ,,Ich / self, oneself / right, correct" eindeutig etwas Aktives; das Volk handelt selbst und zwar richtig. (Insofern passt "wir sind frei" sogar ein bisschen), während die Übersetzung von Zhengkun "It should have happened like this" nach einem passiven, erduldenden Volk klingt.
Verrenne ich mich da irgendwie?
Kampf dem Schicksal!

Berthold

#6
Da hast Du offenbar recht, lieber Übertreiber!
Gestern hab ich in der Wilhelm-Ausgabe (Diederichs ...) nachgelenz. Da bekennt Richard Wilhelm ugbrens, zwei Zeilen gar nicht übersontz zu haben, weil sie eh in einem anderen G'sätz'l wieder auftauchen.
Mit den "hundert Familien(namen)" sind alle namhaften Chinesen gnämien, so daß die folgenden zwei Zeichen vielleicht nur eine Verstark bedeuten.

Da sind die Zeilen in Langzeichen:

太 上,下 知 有 之,
其 次,親 而 譽 之;
其 次,畏 之,
其 次,侮 之;
信 不 足  焉,
有 不 信 焉!
悠 兮,其 貴 言,
功 成 事 遂,
百 姓 皆 謂 "我 自 然"。


Und hier in Pinyin:
(Schön langsam kenn ich mich mit dem Programm besser aus.)

tài shàng xià zhī yǒu zhī 
qí cì qīn ér yù zhī 
qí cì wèi zhī 
qí cì wǔ zhī 
xìn bù zú yān 
yǒu bù xìn yān 
yōu xī qí guì yán 
gōng chéng shì suì 
bǎi xìng jiē wèi wǒ zì rán.   

Übertreiber

Gut, mit dem tatsalchen Chinesisch kann ich leider gar nichts anfangen; dazu memüsse ich mich mit der Sprache beschaftogen haben. ;D
Meine Vermüte habe ich aufgrund deiner Interlinear- (oder vielmehr: Translinear-)Übersetzung angestollen. Mit Langzeichen und Pinyin kann ich leider nichts anfangen.
Kampf dem Schicksal!

Berthold

#8
Ich hab sie nur dazuguschrimp, weil das sehr leicht mochlg war.