Prozessiv

Begonnen von Teigbursche, 2016-03-30, 14:00:01

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Teigbursche

Nachdem ich neulich im Wiki von Ipsiv und Kausativ las, kamen mir unvermittelt alte Zeilen aus alten Zeiten in den Sinn, darin es hieß "vom drauß' vom Walde komm' ich her, ich muß Euch sagen, es weihnachtet sehr". Und ich kekunn nicht umhin zu denken, was für ein schönes Verb "weihnachten" doch sei.

Davon sollt's mehr geben; das ist mein fester Fund. Und natürlich gleich gestorken! Nachdem es lange wornt (auch wenn's hie nie schnie), lingt es ja nun endlich wieder früh. Letztes Wochende hat's auch recht fein georsten, und in Sakralbauten aller Arten moss es landauf und landab. Bald sommert's, und dann urlaubt's in Deutschland, und in Rio sportet's und bewirbt's wett, was auch einmal was anderes ist, karnevalt's dort doch sonst eher. Leider kriselt's zwischenmenschlich auch verstärkt, wenn's hitzelt.

Auch persönlich sind solcher Wörter freilich zu gebrauchen: messen mag es vielerorten, aber in Rom, da messt der Chef noch selbst. Mich aber treibt vor allem anderen die subjektlose Natz an und um, wo der Agent ungenannt bleibt oder schlechterdings gar nicht existiert, eben wie wenn es weihnachtet. Ich bezeichne selbige Form als Prozessiv.

Was sagt das hochwohlwerte Publikum? Läßt sich hieraus etwas machen?
Profilbild: © General Mills, Creative Commons-Lizenz

amarillo

Im Frühjahr ostert, pfingstet, himmelfährt und fronleichnamt es nicht zu knapp in unseren Breiten.

Kaufen se 'n Bechstein: darauf klaviert/pinaniert es sich auf das Prächtigste.

Aber mit vernünftigem Subjekt finde ich das auch ganz hypsch: In letzter Minute vor dem Zapfenstreich opelte (wäre noch zu stärken) der Gefreite Podlowski auf das Kasernengelände.

Wir mielen unsere Wäsche, ein Boschen/Bauknechten etc. kommt für uns nicht in die Tüte.

Seit wann sungst Du sam? Du iphönst doch sonst.

Bei uns in Essen hat es früher an allen Ecken und Enden gekruppt.

Was sich die Gelsenkirchener an manchem Wochenende zusammenschalken... ochottochottochott!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Wortklaux

Da türt es deinem Einrennen in der GSV offen, wenn mich nicht alles täuscht.

Es wäre sicherlich daran gelegen, die Ableitungen nicht nur unregelmäßig zu flektieren, sondern bereits unregelmäßig zu bilden, so wie es eben nicht regent, sondern regnet, und nicht schneet, sondern schneit.

Einige Rückschläge:
Es kaffeit bei uns gegen 4 Uhr.
Es abnet Feier.
Nach den Osterferien gärtnet es wieder Kinder.
In der Kirche dienst es am Sonntag Vormittag Gottes, auch wenn oft nur wenige Leute gottesdiensen gehen.

Sporten hätte ich eher mit Präsensumlaut gebolden, also "es spört".
Urlauben gerne mit Tmesis und Umlaut, also "es läubt ur", oder bei denjenigen, die die Zeit fürs Surfen nutzen, aber nicht im Meer, "es äubt url".

Des weiteren:
Wenn es feierabnet, höurt es im Verkehr rush. (Sprich: rasch-auern, äuert rasch, obwohl es dabei im Verkehr meistens eher lahm zugeht)
Leider iert es in letzter Zeit auch in Westeuropa öfter Terr.

Wortklaux

"Pinanieren" ist toll.


Erseht!

Wow! Mein Gegenwesen (*) und ich kennen praktisch keinen anderen Modus, wenn wir miteinander - oder mit uns selbst - gesprächen. Deshalb bin ich begirsten, das Phänomen hier wiederzufinden!

Weitere Beispielverwendungen aus meinem Leben:
- Straßenbahnen wir zur Party? - Och nö, lass uns lieber auton.
- Wollen wir zu Silvester lieber rostocken oder bremen?

Gerade heute hat das Wesen übrigens für mich klavirren. Ach, ich wünschte, ich klavöre auch nur halb so gut!

Auch meine Mutter ist Prozessivistin.

Nehmen Prozessive eurer Meinung nach auch Komplemente, wie hier?

Kilian

Auch die Gespräche mit meinem BFF verwenden das Prozessiv (schöne Bezeichnung) seit jeher intensiv. Ein Klassiker ist die stirnrunzelnde Feststellung angesichts großer Menschenmassen: Es menscht.

katakura

Zitat von: amarillo in 2016-03-31, 10:48:07

... opelte (wäre noch zu stärken) ...

... ach, das wird ganz regelmäßig gestorken: opeln - olp - ölpe - geolpen  :D

Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

katakura

... wann verst es denn eigelnt in diesem jahr per? ...
Toleranz ist vor allem die Erkenntnis, dass es keinen Sinn hat, sich aufzuregen. (Helmut Qualtinger)

Wortklaux

Mit den -täten (tün, tät, getän) sesülle es sich ahln verhalten wie mit den -taten (tun, tat, getan):

Objektkonstrukte:
Freveltat: Man hat an ihm Frevel getan.
Greueltat: Die Soldaten taten im ganzen Dorf Greuel.
Missetat: Der Landstreicher tat manche Misse.
Wundertat: Der Heilige tat Wunder.
Sexualität, Pubertät: Wenn die Kinder Pub tün, beginnen sie auch bald, Sexualia zu tün.
Aktivität: In den Ferien tüe ich alle möglichen Aktiva.
Novität: Das Produkt tüt ein Novum.

Eigenschaftskonstrukte:
Großtat, Glanztat, Wohltat, Übeltat: Er hat damit groß/glanz/wohl/übel getan.
Gewalttat: Er tat es gewaltmäßig.
Milchimitat: In diesem Produkt ist nicht wirklich Milch drin, es tut nur milchimus.
Tonalität: Ich bin Modernist. Mir tüt diese Musik viel zu tonal.
Gravität: Sein Auftritt tät gravis.
Invalidität: Nach dem Krieg tät er invalide.
Legalität: Wir achten auf die Gesetze und tün unsere Geschäfte legal.
Liberalität: Die Partei tüt liberal.
Maturität: Mit dem Abitur tün die Gymnasiasten matur.
Rarität: Dieser Druck tüt extrem rar.
Obszönität: Damit tüst du aber wirklich obszön!
Originalität: Das Werk tüt ziemlich originell.

Unpersönliche Konstrukte:
Thermostat: Seit wir den Thermostaten installiert haben, tut es in unserem Zimmer stets Thermo.
Universität: Semesterbeginn. Jetzt tüt es wieder Universum.
Realität: Nach dem Schulabschluss tüt es für diejenigen real, für die es nicht Universum tüt.
Normalität: Nachdem es im vergangenen Monat terr georen hatte, tüt es nun in den meisten Lebensbereichen wieder Normalo.
Kriminalität: In dieser Statt tüt es ziemlich kriminell.
Brutalität: In der Realität tüt das Leben manchmal brutal.
Formalität: Das hier tüt nur ein wenig formal. Das ist schnell erledigt.
Intimität: Zwischen den beiden tüt es ziemlich intim.
Kontinuität: Nach dem Krieg tät es in der Gesellschaft trotz Entnazifizierung eher Kontinuum.

als-Konstrukte:
Freundestat: was man (in seiner Eigenschaft) als Freund tut. Er tat es für mich als Freund. Diese Handlung war eine echte Freundestat.
Heldentat: Er tat es als Held.
Potentat: Der König tut als Pote.
Majestät: Der König tüt als Majo.
Majorität: Diese Meinung tün die Abgeordneten als Majores.
Fraternität: Hier tün wir als Fratres.

Andere Ablitte:
Ergostat: Was man als Konsequenz von etwas anderem tut, d.h. aufgrund eines ergos: Descartes dachte, er tue aufgrund eines ergos sein. Für ihn war die Existenz eine Ergostat.
Abtestat: was ein Abt tut. Der Abt tat stets vorbildlich Gutes. Daher nennt man solche Taten Abtestaten.

Übrigens: Goethezitat: Er zitut Goethe. Elastizität: Der Stoff zitüt Elaste. Kapazität: Der Raum zitüt 500 Personen kapum.

Wortklaux

Beim "Abgastest" fiel mir folgendes ein:

gasten - in einer Herberge unterkommen
abgasten - in eine Absteige herunterkommen

Bilden Sie einen Satz mit ... A b g a s t e s t
Wenn je, o Wanderer, du abgastest,
Gib acht, wohin du dich hinabrastest!