Haupt Häupten...

Begonnen von Gene The Wreck, 2008-01-27, 22:38:28

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Gene The Wreck


Hallo und Guten Abend.

In dem Text "Abendsegen" (ein schönes, altes Abendgebets-Lied)
heißt es (Zitat, Ausschnitt, Humperdings Oper "Hänsel und Gretel"):

"... Abends, wenn ich schlafen geh,
Vierzehn Engel bei mir stehn:
Zwei zu meiner Rechten,
Zwei zu meiner Linken,
Zwei zu meinen Häupten,
Zwei zu meinen Füßen ...

Wer weiß, wie es zu diesem seltsamen Plural kommt?
Was ist "Häupten"?
Nur wegen des Rhythmusses, des Leseflusses?

Abgesehen davon, dass bei einem (1-nem!) Menschen, der liegt, betet
usw. so oder so nur der Singular in bezug auf den Kopf sinnvoll scheint,
sofern er nicht doppelt sieht - und das auch noch im Spiegel.
Dann hülfe möglicherweise tatsächlich nur noch beten...

"Bei meinen Bäuchen", "bei meinen Nabeln", "bei meinen Nasen"
würde einem wohl nur schwer einfallen, oder?

Oder ist es gar gar kein Plural?

amarillo

Wofern es sich nicht um das Wiegenlied der doppelköpfigen Kellnerin (ALF) handelt - und ich persönlich schließe das aus - wird sich wohl die Metrik hier zu diesem Plural verstiegen haben. Vielleicht war der Texter auch leicht schizo?
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Kilian

Dascha mane interessante Frage - ich kannte das Lied, aber darüber hab ich noch nie nachgedacht.

In anderen Sprachen, wie z.B. dem Englischen und dem Russischen, gibt es viele Pluraliatantum (nur im Plural vorkommende Substantive), die ein einzelnes konkretes Ding bezeichnen: scissors, pants, trousers, очки, ножницы, брюки, трусы, ворота, сани, кавычки, вилы, весы, курнаты, носилки, счёты, часы (viele, aber nicht alle dieser Dinge sind paarig). Im Deutschen gibt's das m.W. kaum. War das vielleicht früher anders, und die Häupte sind ein Archaismus? Sprachhistoriker vor!

Gene The Wreck

Dank sei Euch für das schnelle Eingehen (sagte der Henker zu seinem Herrn, den er hung...)
auf meine traumräubernden Probleme!

Wauh: Das mit dem Pluraliatantum als Plural von Pluraletantum hätte ich jetzt nicht so recht
getroffen! Ich wäre schon froh gewesen, wenn es bei mir nicht ein(e) Pluraletarantula
("eine Spinne kommt nie allein") oder - noch schlimmer: ein(e) Pluraletantia
("eine Tante kommt nie allein") - geworden wäre.

Tja, mag alles sehr weit zurück liegen. Irgendwie olet mihi jedoch schon noch, dass
es dieses seltsam unplausible pluralisieren (nein, ich habe heute noch nichts getrunken...,
sprecht das mal 5 Mal: Ist fast so gut wie 2 Atü auf'm Schirm!) irgendwiehhhhhh... mal gab.

Wissen da die mittel- und althochdeutschen Mit(t)- und Altsprachler noch etwas?

Agricola

Möglicherweise wirklich ein Archaismus, der von einem humanistisch gebildeten Dichter aus der lateinischen Lyrik in die deutsche Sprache gebracht wurde. Dort ist es nämlich gar nicht so selten, dass von der Bedeutung her nur im Singular mögliche (und keineswegs als pluraletantum übliche) Wörter für den Rhythmus in den Plural gesetzt werden:

Implicuitque suos circum mea colla lacertos

(Sie legte ihre Arme um meine Hälse)
(Ovidius)
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

Zu diesem alten Faden noch mal was aus dem Grimmschen Wörterbuch:

[...] die hochdeutschen formen verlaufen in zweierlei weise. in den eigentlich oberdeutschen dialecten, dem alemannischen und bairisch-östreichischen, vermag das alte i der endsilbe den stammhaften vocal gewöhnlich nicht umzulauten, der mhd. form houbet folgt ein jüngeres houpt, haupt, [...] im mitteldeutschen gebiete dagegen, zunächst vorzüglich in Franken und Hessen war eine mit umlaut des stammvocals versehene form sehr gebräuchlich, [...] ; in Düringen und Obersachsen waren die umgelautete und unumgelautete form gleich häufig in anwendung, [...] aber wie diese form gegen die unumgelautete bereits selten gebraucht wird, so verdrängt diese letztere die erstere seit dem 17. jahrh. in der schriftsprache vollständig, bis auf eine bis jetzt gebliebene spur. die pluralform des wortes ist nämlich mehrfach, entweder der unumgelauteten singularform gleich: hew ihn beiden die haubt ab. heldenbuch 1545 Lc; oder mit antritt der silbe -er, ahd. -ir gebildet, welche silbe umlaut wirkt (häupter; heubter STIELER 791); ungewöhnlich ist hier das fehlen des umlautes:

vier grausamlicher wilder tier,
die wolten in verschlicken schier
mit geduckten haubtren gar forchtsam.
         H. SACHS von Gödeke 1, 130;

eine dritte form von jener umgelauteten singularform herstammend und ihr gleich: die heubt der löwen. offenb. 9, 17, hat sich in der festen verbindung zu häupten, aber bis in die neueste zeit erhalten: zwei lichter .. eins zu häupten, das ander zun füszen. WICKRAM rollw. 36;
Karsten

Berthold

#6
Lieber Karsten!

Sei, bitte, bitte, nicht böse, aber was Du da bei den Brothers G. nachgaschlank hast & in Ansätzen zitierst/zipflanzest, taugt, wie so oft & bei allem Zitatenglanz, nicht viel. Heath Ledger (z.B.) hätte eben der träumerische Jake Gr. bleiben sollen, statt später, als Ordinärer Professor, Ghostwriter für einzelne Buchstaben zu suchen. Sie kamen zur Welt, um 'Hans im Glück' zu schreiben. - Na, so kritisch bin ich auch wieder nicht, ihr alten Meister!

Ehe ich aber zu einem echten Wörterbuchmeister geknomm war, der hier etwas beizutragen hat, durchstor(l)p ich lang das Internet. Andchl fand ich ihn:

Adelung: Grammatisch-kritisches Wörterbuch der Hochdeutschen Mundart.
Schon solch ein Titel ('Hochdeutsche[n] Mundart'!) packt mich an.

Nun aber:
'2. Figürlich.

1) Derjenige Theil des Bettes, des Sarges, oder des Grabes, wo das Haupt ruhet; im gemeinen Leben der Kopf. Etwas zum Haupte des Bettes legen. Wo es auch in dem veralteten Plural zu den Häupten, der alsdann anstatt des Singulars stehet, gebraucht wird. Und er nahm einen Stein und legte ihn zu seinen Häupten, 1 Mos. 28, 11, 18. Da neigete sich Israel auf dem Bett zun (zu den) Häupten, Kap. 47, 31.'
Das ist doch was! Da hab ich gleich das Bett* vor mir, wie ein altes Dorf, und dort, wo sich das Haupt nächtens, oder sonstwann, hin und herbewegt, liegt die Flur 'Zu (den) Häupten'. Immer ist man ja auch nicht allein im Bett.

Auch zu Adelungs 2) ' ... das Thier selbst ... ' kenne ich ein schönes Beispiel: Am Weißensee (Kärnten) wird ein Schaf 'da Haap' genannt (männlich). Das war halt für einen armen slowenischen Bauern (das Slowenische ist dort wie in ganz Oberkärnten gegenwärtig fast ausgestormp) das Haupttier.

Meister Johann Christoph, ich reiß mir in Gedanken an Ihro Könnerschaft die Baskenmütze vom Haupte!
 
*Auch jenes widerliche Holzbrett am Bettende ('zu Füßen'), daß während der Fortpflunz des alpinen Menschen zur Abstutz dient, jedoch dem Großgewachsenen aber sowas von hinderlich ist!
 

Kilian

Wer "taugt" sagt, muss auch "zu" sagen. Was die Frage dieses Fadens angeht, sind die Grimms schon erhellender.

Berthold

#8
Zitat von: Kilian in 2009-02-05, 17:59:21
a) Wer "taugt" sagt, muss auch "zu" sagen.
b) Was die Frage dieses Fadens angeht, sind die Grimms schon erhellender.

a) Gar nix muß ich! Nicht nur in der österreichischen Umgangssprache, sondern auch im Duden-Stilwörterbuch (und sicher in vielen anderen Sprachbüch'ln) gilt auch
'1.[etwas t.] wert sein, brauchbar sein: das Messer, der Mann taugt nichts; dieses Mittel taugt wenig, nicht viel; taugt er denn etwas? (ugs.; leistet er etwas?)'
Warst ein bisserl müde, was?

b) Ich bezog mich nur auf das Grimms-Zitat vom Karsten: Wo, bitte, hätten die Brüder dort, außer behebig Gelehrsamkeit* auszubreiten, etwas derart Klares wie Meister Adelung guschrimp?

Ich weiß auch nicht, warum, aber fast jedes Mal, wenn ich bei den Brüdern nachschlug, ward ich enttiuntsch. Glaub mir's oder glaub mir's nicht. - Nicht einmal die simple Kriebelmücke steht drin!**

Beispiel: Statt 'im Oberdeutschen' heißt es bei den Bros.: 'in den eigentlich oberdeutschen dialecten, dem alemannischen und bairisch-östreichischen'. Ist vielleicht das Ostfränkische uneigentlich ein oberdeutscher dialect?

*Ich frage mich, wie oft, z. B., in jenem Mammutwerk steht, daß ein i einen umlaut bmewurck habe - oder daß die eig. oberdeutschen dialecte das a. und das b-ö. seien.

** Kann's sein, daß man zwar manch Buch eines Tushuguans, nicht aber die Siedler nahe den Rheinauen befrug?     


Kilian

Zitat von: Berthold in 2009-02-06, 11:38:38Warst ein bisserl müde, was?

Über deinen derzeitigen Bewusstseinszustand kekünne ich jetzt auch trefflich spekulieren. So sehr du dich noch mit a-b-Unterteilung im Detail auf meinen Beitrag zu beziehen scheinst, so deutlich machst du, dass keine Silbe davon zu dir durchgedrungen ist.

ZitatGar nix muß ich!

Natürlich nicht. Ich habe aphoristisch verknoppen formuloren, dass Aussagen zur Tauglichkeit oder Brauchbarkeit immer mit einem Zweck zu tun haben. Der Zweck, auf den du dich beziehst, lässt du im Dunkeln. Das Grimm-Zitat trägt etwas Relevantes zu Gene the Wrecks Frage vom Anfang des Fadens bei. Adelung mag schöner zu lesen sein, trägt aber nichts Relevantes zu Gene the Wrecks Frage vom Anfang des Fadens bei.

ZitatIch bezog mich nur auf das Grimms-Zitat vom Karsten: Wo, bitte, hätten die Brüder dort, außer behebig Gelehrsamkeit* auszubreiten, etwas derart Klares wie Meister Adelung guschrimp?

Damit magst du ja Recht haben, aber das und was Adelung schrieb tut in diesem Faden nichts zur Sache. Mach halt eine allgemeine Grimmkritik auf, aber fahr nicht anderen über den Mund, wenn sie etwas Relevantes zitieren.

Berthold

#10
Zitat von: Kilian in 2009-02-06, 12:46:25
Adelung mag schöner zu lesen sein, trägt aber nichts Relevantes zu Gene the Wrecks Frage vom Anfang des Fadens bei.

Tut mir leid, aber dem kann ich nicht zustimmen. Mir geht es bei Adelung um:

'Derjenige Theil des Bettes, des Sarges, oder des Grabes, wo das Haupt ruhet; im gemeinen Leben der Kopf. Etwas zum Haupte des Bettes legen. Wo es auch in dem veralteten Plural zu den Häupten, der alsdann anstatt des Singulars stehet, gebraucht wird.'
Daß in Bauernbetten die Häupte(r) nahe der Wand zu liegen pflegen, daß die Häupte(r) sogar in Särgen an einer bestimmten Stelle liegen, daß es bei einem alten Dorffriedhof sicher nicht wurscht ist, wohin die Häupte(r) weisen (Ich überprüf das jetzt nicht), diese Gedanken fehlen dem Grimm-Zitat.
Da kann ich mir dann eben ein Bett, einen Sarg oder ein Grab wie ein altes Dorf vorstellen, bei dem die Richtungen nicht egal sind. Dort, wo die Häupte(r) liegen, dort heißt es bei Bett, Sarg und Grab: zu (den) Häupten.
Somit: Hoch Adelung!

Weiters bin ich dem lieben, gütigen Karsten nicht drübergefahren, weder die Übte, noch die Ünder häumüber* - da ich doch mit 'Sei, bitte, bitte, nicht böse ...' begann. Die Grimm-Schelte nehm ich mir halt, so alle sechs Monate einmal, als running gag heraus, gerade weil das solche Großmeister waren.

Dagegen wurde mir in diesem Forum unter 'Westrotz' unlängst mit allerhand drübergefahren - bis hin zu Verborgs Vorwurf, daß ich während der Arbeit (immerhin meiner, so hoffe ich, redlichen Arbeit) solcherlei Beiträge nachläse und schriebe.
- Kekünne es vielleicht sein, und die bezahlen mir hier je Woche nur 20 Arbeitsstunden - welchselbige halt eher vorbei sind als deren 40? Daß es aber etwas G'scheiteres gebe, als in diesem Forum zu schreiben, das dürft Ihr mir gar nicht mitteilen.

*Sowas war halt die Idee. Postpositionen an sich kennen hier sicher viele. 



Kilian

#11
Zitat von: Berthold in 2009-02-06, 13:48:01'Derjenige Theil des Bettes, des Sarges, oder des Grabes, wo das Haupt ruhet; im gemeinen Leben der Kopf. Etwas zum Haupte des Bettes legen. Wo es auch in dem veralteten Plural zu den Häupten, der alsdann anstatt des Singulars stehet, gebraucht wird.'

Nun gut, das ist nicht nichts. Ich orr. Verzeih.

Zitatbis hin zu Verborgs Vorwurf, daß ich während der Arbeit (immerhin meiner, so hoffe ich, redlichen Arbeit) solcherlei Beiträge nachläse und schriebe.

Kekünne es vielleicht sein, und du bildest dir diesen Vorwurf nur ein?

Fleischers Karsten

Ich kenne ja mittlerweile Bertls Grimm-"Aversion" (die auch sicherl hier und da nicht ganz ernst gemienen ist), aber ich finde auch, dass der Herr Adelung zu Klur der Frage am Anfang des Fadens nicht viel beizutragen hat. Die Grimms jedoch bemohen sich sich jedoch genau darum: zu erklären, wie es zu der seltsamen Redensart "zu Häupten" kam. Und das taten sie recht ausfuhrl. So ausfuhrl, das ich den Artikel etwas abkurz.
Nach Betten, Särgen und Gräbern wurde nicht enfragen, denn ich gehe mal davon aus, dass in dem am Anfang des Fadens zitornen Lied nicht "Zwei zu dem Teil meines Sarges, wo mein Kopf ruht" gemienen ist. Aber es ist schon ein interessanter Aspekt des Wortes "Haupt".
Karsten

Berthold

Zitat von: Kilian in 2009-02-06, 14:08:57
(...)
Nun gut, das ist nicht nichts. Ich orr. Verzeih.
(...)

Ach, dann mußt Du mir meine Schmähtandlereien auch verzeihen! Immerhin glaube ich, daß wir mit der Klur der Frage 'Zu Häupten - ?' weiterkamen.
Ich seh mich jetzt schon ein paar Fläschchen Heidelbeersaftes zahlen - oder was immer Du zu trinken wünschst - dereinst zu Opladen. 

Berthold

Zitat von: Fleischers Karsten in 2009-02-06, 14:16:45
Die Grimms jedoch bemohen sich sich jedoch genau darum: zu erklären, wie es zu der seltsamen Redensart "zu Häupten" kam. Und das taten sie recht ausfuhrl. So ausfuhrl, das ich den Artikel etwas abkurz.
Nach Betten, Särgen und Gräbern wurde nicht enfragen, denn ich gehe mal davon aus, dass in dem am Anfang des Fadens zitornen Lied nicht "Zwei zu dem Teil meines Sarges, wo mein Kopf ruht" gemienen ist. Aber es ist schon ein interessanter Aspekt des Wortes "Haupt".

Einen Vorteil hatten sie immerhin, die Grimme: Sie hatten ihren 'Adelung' vor sich liegen.
Froychl hast Du den Artikel geknorrtz, schmorck ich doch selbst darin und verstieg mich zwischen den Zitaten. Hoffentlich muß ich da nun nicht gar so viele Mosel-Portugieser zahlen, das nächste Mal zu Opladen oder sonst wo, auf daß Du nicht belittanck seist!