GSV – Sektion Hibernia

Begonnen von Homer, 2010-09-02, 23:46:09

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Corinthicacator

Die Sache ging mir gerade noch durch den Kopf, und dabei fiel mir noch ein anderer Aspekt ein, der meine eben geäußerte "Möglichkeit", dass die von dir vorgeschlagene Emendatio falsch sein kekünne, mir fast zur Gewissheit macht. Was ich pos, ist geposten, aber ich kann ja noch einmal poren*. Es geht deinem römischen Dichterkollegen (mit diesem Ausdruck möchte ich natürlich keineswegs einen römischen Virgil auf eine Stufe mit dem griechischen Homer stellen!) ja gerade um die Besonderheit der ersten Konjugation, also dass die "Leute", die clamamo und vocaco sagen, nicht wie in "clamito" und "vocito" den Konjugationsvokal verschlucken, sondern erhalten.

*poren, pos, geposten (besser als posten, postete, gepostet), analog zu lat. "haurire, hausi haustum". Auch als Iterativ, wenn es denn allzu häufig geschieht: pororen, posos, postgeosten. Das o ist stets lang zu sprechen.

Corinthicacator

Und noch einmal postgeosten:
Deshalb natürlich auch der sonst unverständliche Hinweis auf den Indikativ, da im Konjunktiv der ersten Konjugation ja der Stammvokal verändert wird.
Warum glaubst du deinem Kollegen eigentlich nicht, dass es Leute gibt, die "vinco vinco" oder "vincinco" gesagen haben? Iterative sind vielleicht ohnehin etwas, was wohl mehr in der gesprochenen als in der geschriebenen Sprache üblich war. Mir ist jedenfalls aufgefallen, dass Grammatiker gelegentlich Beispiele von Iterativen nennen, denen man in der Literatur nicht so ohne weiteres begegnet. Vielleicht waren die Sprecher da in der Spätantike wirklich kreativ, nur dass uns das schriftlich kaum dokumentoren ist?

Homer

Jetzt alle mal weglesen, außer Corinthicacator (Dank für die Diskussion)!

Ja, es ist schwierig, einen Spinner beim Wort nehmen zu wollen! Versucht man dennoch, alle Formen (außer zunächst vocaco/vococo) unter einen Hut zu bringen, kommt man auf folgende Regel: Die neuen Formen sind eine Sparvariante der vollen Verdulpp (wie V. selbst sagt) mit Echoeffekt. Offenbar wird dabei der Vokal verdulppen, der auch in der Ausgangsform betonen war, und der Konsonant, mit dem der Stamm endet. Deshalb heißt es vocacavi und nicht vococavi. Das funktioniert am besten für zweisilbige Verben der konsonantischen Konjugation und – nach der Meinung "einiger" – auch mit denen der a-Konjugation, weil die ebenfalls auf der vorletzten Silbe betonen sind, nicht aber – scheint V. zu meinen – für die der e- und i-Konjugation wie vídeo oder dórmio, weshalb er die ignoriert. Bei vidideo verpufft der Echoeffekt etwas.

Das mit dem Indikativ macht grübeln, aber wenn vocaco geht (wo das in der Endung verschwundene -a- zur Anzeige der Konjugationsklasse erscheint), warum dann nicht auch im Konjunktiv vocacem? Mittlerweile habe ich den Verdacht, daß commentativo modo etwas ganz anderes heißen soll. Ich bin bei meiner Übersetzung der einzig existierenden Übersetzung (einer italienischen) gefolgen, vermult zu Unrecht. V. nennt den Indikativ sonst überall indicativus. Ich denke inzwischen, daß commentativo licet modo heißen muß "(manche versuchen entsprechende Formen für die a-Konjugation zu bilden,) wenn auch nur spekulativ". Commentativus (sonst unbelegen) hieße dann dasselbe wie sonst commenticius "ausgedacht, erfunden". Denn im folgenden Satz sagt V., daß es für diese Bolde keine echten autoritativen Belege gebe – es handelt sich also, anders als bei vincinco usw., um Kopfgeburten von Grammatikern ohne realen Hintergrund (quod quia nulla veritate subnixum atque suffultum est, non ad auctoritatem sed ad ambiguitatem scribendum est).

Im Ergebnis fällt vocaco, wie man es auch wendet, aus der "Logik" der anderen Bolde heraus. Ich bin weiterhin für vococo.

Warum ich V. seine Iterative nicht abnehme? Die Kombinur aus zwei Umständen macht's: 1. Jeder Beleg fehlt. 2. V. erfindet auch sonst unentwegt neue Wörter und Formen.

amarillo

So, ich bin dann mal so frech, lauthals zu vermuten, daß der Oberkorinthenkacker und Vielbesserwisser 'agricola' sich erneut  (aber feig schwarz) um Aufmurks bemüht.

Auch wenn ich des Lateinischen nur rudimentärlich mächtig bin, genieße ich diesen Faden; Homer, laß Dich nicht auf diesen Pinzettenwichser ein - bitte!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Ku

Da will ich mich aber ganz schnell und voll anschließen.

Ku

Die entsetzlich von obenherabbe Diktion des Corinthicacator ähnelt ja tatsächlich der des neben Bertel ebenfalls (aber nicht unerwünscht) verschollenen Hauptoberlehrers.

Homer

Dank euch, meine Freunde, für den Zuspruch! Und sesöllet ihr dereinst Virgilius den Hals umdrehen wollen, bevor ich es tue – und der Tag wird kommen –, dann stöhnt "genug!" und ich werde euch gern willfahren.

Homer wird ab Montag für zwei Wochen zur Fortbold der ihm anvertruenen Kompetenzen auf eine Irrfahrt durch Ruinen unter lachender Sonne aufbrechen und den Virgilius mitnehmen. Beide werden somit einstweilen erstummen. Einen gibt's aber vorher noch (irgendwann bis Sonntag): was garantoren leicht Verzudauendes ohne Korinthen über Tmesis, ja Extremtmesis.

Kilian

#22
O amarillo, o Ku, ich raffe nicht, was eure allergischen Reaktionen auslöst. Ich verspüre keine Vonobenherabbigkeit und sehe keinen Anlass zur Aufregung. Aber den hab ich ja auch schon nicht gesehen, als Agricola noch unter uns wiel. Ich vermisse diese Zeit, abgesehen von den sinnlosen Anfeindungen.

Ku

Zitat von: Kilian in 2010-09-10, 13:06:24
O amarillo, o Ku, ich raffe nicht, was eure allergischen Reaktionen auslöst. 
... abgesehen von den sinnlosen Anfeindungen.

Siehste amarillo, nu sind's wir beide wieder. Wobei ich sicher weiß, dass noch ein paar andere Mitglieder unserer Meinung sind.
Aber wo hat es "Anfeindungen" gegeben?
Wenn jemand den Spiegel nur deshalb durchliest, um auch den winzigsten Fehler in einem Forum breit zu treten, dann kann einem nach dem hundertsten Mal schon mal der Kragen platzen, wie es bei mir der Fall war. Aber Anfeindungen?



amarillo

So hat halt jeder seine schwache Ecke. Wer weiß schon, waß den geliebten Sprachführer in Harnisch versötze, unsereinen aber gälnz kalt ließe. Zum Thema 'Bäuerchen' habe ich damals alles gesugen.
Essens wurde kurz diese Phase thematisoren, und siehe: sie hatte jeden der Anwesenden angeolken - bis auf Homer, aber der war ja auch damals noch nicht unter uns.  
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

corinthicacator

Zitat von: Homer in 2010-09-10, 10:37:58
Im Ergebnis fällt vocaco, wie man es auch wendet, aus der "Logik" der anderen Bolde heraus. Ich bin weiterhin für vococo.
Und wie örest du konjux?
vococo, vococas, vococat, vocacamus, vocacatis, vococant?

Homer

Zitat von: corinthicacator in 2010-09-10, 16:13:35
Zitat von: Homer in 2010-09-10, 10:37:58
Im Ergebnis fällt vocaco, wie man es auch wendet, aus der "Logik" der anderen Bolde heraus. Ich bin weiterhin für vococo.
Und wie örest du konjux?
vococo, vococas, vococat, vocacamus, vocacatis, vococant?

Virgilius war's wohl wurscht, was herauskäme, wenn man das ad hoc erdachte Spiel weitertriebe. Aber wenn ich es täte, wäre es, wie du sagst.

Homer

IX. Tmesis mal etwas anders: die "Zerreißigung von Buchstabengebilden" (scinderatio fonorum)

Es gibt nach Virgilius drei Gründe, weshalb Gelehrte und Dichter "Buchstabengebilde" (fona) "zerreißigen" (scinderare) und Texte damit verrätseln:
1. um den Schülern Rätsel zu stellen und damit ihre Geistesschärfe zu testen;
2. um die Texte stilistisch aufzuwerten;
3. um Ignoranten daran zu hindern, die Texte zu verstehen.

Das kann auf drei Arten geschehen:

1. Man kann Gedichte "zerreißigen", indem man ihre Verse umstellt. Hier ein Beispiel von "Cato" (ganz große Poesie!):

Mare oceanum
classes quod longae
sepe turbatur
simul navigant


"Das ozeanische Meer / weil lange Flotten / wird oft aufgewühlt / es zugleich befahren."

Eigentlich müßte es heißen:

Mare oceanum
sepe turbatur,
classes quod longae
simul navigant.


2. Man kann Sätze zerreißigen, indem man die Silben von Wörtern umstellt. Ein Beispiel von "Lucanus":

ge ves ro trum quando tum affec omni libet aevo. (Ein annähernder Übersatz wäre: "Ich tra zu ge euch wann ung Zuneig jeder irgend zeit.")

Die Lösung des Rätsels:

quandolibet uestrum gero omni aeuo affectum ("irgendwann hege ich jederzeit Zuneigung zu euch" – fragt mich bitte nicht nach dem Sinn!).

3. Man kann Sätze "zerreißigen", indem man die Buchstaben der Wörter "aufräumt" (wie es Urs Wehrli in seinen beiden wunderbaren Büchern "Kunst aufräumen" mit Bildern macht), etwa bei "Cicero":

RRR SS PP MM N T EE OO A V I
Die Lösung: spes Romanorum perit ("die Hoffnung der Römer geht zugrunde").

Oder "Virgilius aus Asien":

GGGG L B FF RR S NNN TT EEE I VVV AE
Soll sein: glebae gignunt, fruges ferunt ("die Schollen bringen hervor und tragen Früchte").

Emilius quoque rethor eleganter ait ("auch der Rhetor Emilius sagt elegant [!]"):
SSSSSSSSSSS PP NNNNNNNN GGGG RR MM TTT D CC AAAAAAA IIIII VVVVVVVV O AE EEEEEEE,
cuius haec solvitio
("wovon die Lösung ist"):
sapiens sapientiae sanguinem sugens sanguissuga venarum recte vocandus est ("der Weise, der das Blut der Weisheit saugt, darf mit Recht der Blutsauger der Venen genannt werden").

Das sind nur die ersten Beispiele in diesem besonders verrockenen Kapitel. Es kann noch allerhand anderes, besonders Verben, im Dienste einer Art frühmittelalterlicher mmU auseinandergerissen und wieder neu zusammengefogen, durch leere Elemente erwúrten oder im Gegentum verkorzen werden. Davon ein andermal!

BB S L D RR H M I A EEE U O

Ku

Zitat von: Homer in 2010-09-13, 01:25:51
Das sind nur die ersten Beispiele in diesem besonders verrockenen Kapitel. Es kann noch allerhand anderes, besonders Verben, im Dienste einer Art frühmittelalterlicher mmU auseinandergerissen und wieder neu zusammengefogen, durch leere Elemente erwúrten oder im Gegentum verkorzen werden. Davon ein andermal!
BB S L D RR H M I A EEE U O

Wann der mal?

Homer

Verzeiht, ich war in den letzten Wochen zumeist auslands und sonder Netzes. Aber jetzt, wohl remigroren und wiedereingeglurden, werde ich mein Schweigen in diesem Faden nächstens brechen. Bis ganz bald!