Wer kennt sich aus? (Biblisches Thema)

Begonnen von leppom, 2005-03-08, 16:27:42

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leppom

In Römer 6, Verse 2 und 8 steht das Verb:
"apethanomen" (wörtlich: wegsterben).
Das Gramma für dieses Verb lautet: "V_2Aor Act Ind 1 Pl".
Und in Kolosser 3, Vers 5 steht das Verb:
"nekrosate" (wörtlich:ertotet).
Das Gramma für dieses Verb lautet: "V_2Aor Act Imp 2 Pl".
Bei beiden Verben komme ich mit dem Gramma: "Act" nicht zurecht.
"Act" ist doch der Hinweis auf eine aktive Tätigkeit der Person(en).
Wer von Euch kennt sich da aus?

caru

Die grammatischen Angaben sind ganz richtig.

nekroô "töten" ist ein aktives, transitives Verb: ich töte jemanden, oder jemand tötet mich.

apothnêsko "sterben" mit dem Aorist apethanon ist ein aktives, intransitives Verb - wie das -sk- im Präsens anzeigt, bedeutet es den Übergang von einem Zustand in den anderen.

Es kann einen schon verwirren, daß Verben, die so etwas Passives beschreiben wie das Sterben (man stirbt ja meistens nicht, weil man will, sondern weil man muß) in vielen Sprachen aktiv sind. Im Lateinischen ist es ja auch anders, da heißt "ich sterbe" morior.

Hast du eine Muttersprache, wo es anders ist - wo nur wirkliche aktive Handlungen mit aktiven Verben dargestellt werden?
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Es fällt mir sehr schwer zu sagen, ob "sterben" ein passiver oder ein aktiver Vorgang ist, ob das Wollen und das Müssen hier eine Erklärung näher bringen?

Wachsen, werden, gedeihen etc. sind für mich Verben gleichen zwitterhaften Ausdrucks. Seltsamerweise bilden wir die vollendete Gegenwart dieser Verben mit "sein", ein Umstand, der an ein Passiv gemahnen könnte. Aber wir tun das auch mit vielen Verben der Bewegung, und hier läßt sich ja kein Passiv unterstellen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

leppom (Reakt.)

Danke Caru & Amarillo, betrachtet man die vollständige Wortliste im Neuen Testament, kann einem die Verbform "aktiv" in Beziehung zu "sterben" und "töten" wirklich Rätsel aufgeben. Vorallem dann, wenn es in den Parallelstellen um "gehen", "essen", "trinken", also bekannte Verben geht. Auch an diesen Stellen wird selbiges Gramma verwendet.
Da es in der Bibel aber grundsätzlich zwei handelnde Seiten (Gott & Mensch) gibt, möchte ich die Frage nach dem Handelnden ("Act") vorerst hinten anstellen. Paulus der Schreiber beider Briefe (Römer & Kolosser) schreibt das vorbeschriebene Wort (hier Kolosser 6, Vers 5: "nekrosate" im "Imp". Heißt es dann: "ertötet habend" oder "ertötet haben" oder noch anders? Denn dieses Wort steht am Satzanfang des 5. Verses als Aufforderung (Act!) an die Gläubigen in Kollosä. Wie würdet Ihr dieses Wort -wenn auch umständlich- übersetzen?

caru

Ich als einigermaßen brauchbarer Gräzist, ohne jede theologische Ausbildung, verstehe den Satz zunächst einfach so, wie ihn (wahrscheinlich) ein heidnischer Grieche verstanden hätte:

"Tötet darum die Teile, die zur Erde gehören: Hurerei, Unreinheit, Leidenschaft, böse Begierde..." usw.

nekroô ist im klassischen Griechisch nicht sehr gebräuchlich, aber es kommt doch von nekros "tot" und heißt nichts weiter als "töten".
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

leppom

Mir fällt es auch schwer zu bestimmen, ob "Sterben" ein passiver oder ein aktiver Vorgang ist. Einerseits ist Sterben der Höhepunkt körperlicher Schwäche; der Tot tritt ein. Das ist der Übergang von einem Zustand in den anderen, wie Caru es beschreibt. Tatsächlich steht im Hebräischen auch nicht "... wenn ihr (Adam & Eva) von der Frucht dieses Baumes eßt, werdet ihr sterben" sondern es steht geschrieben: "... ihr werdet sterbend sterben" eben, bis die äußerste Schwachheit des Körpers eintritt und der Mensch stirbt bzw. erstirbt. Armarillo, Dein Hinweis mit dem Willen eines Menschen bringt mich weiter. Der Wille scheint in dieser Hinsicht von Bedeutung zu sein; insbesondere für "Act" im Gramma.

leppom

Caru, könnte man die betreffende Zeitform: "Imp" auch übersetzen, indem die Handlung "töten" in der Vergangenheit begonnen hat und in der Gegenwart noch andauert bzw. die Handlung fortdauernd (unbefristet) anhält?

caru

Nach klassischem griechischem Gebrauch kann man das nicht, im Gegenteil: der Imperativ Aorist wird gerade für die Aufforderung benutzt, mit einer Handlung erst anzufangen.

Paulus fordert die Gemeindemitglieder ja auf, ihr Leben von Grund auf zu ändern; das läßt sich aus Vers 7 und 8 gut erkennen, glaube ich.
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

leppom

Caru, dass macht Sinn was Du sagst; auch im Hinblick auf das Wort: "apothesthe" (ablegen). Es steht auch im "2Aor (Mid) Imp".
Trotzdem klingt: "töten" nach Präsens und nicht nach Imperfekt; oder?
Worin hätte denn für einen klassischen Griechen sonst eine Unterscheidung bestanden? Wie müßte man sich das vorstellen? Hast Du als Gräzist noch einen anderen Hinweis?

caru

#9
Nein, nein! Nicht Imperfekt! Imperativ!!!

Dieselbe Verbalform kann ja nicht gleichzeitig Aorist und Imperfekt sein - das sind beides Zeiten. Der Imperativ dagegen ist ein Modus, und zwar die Befehlsform.

Bei apethanomen steht ja auch "Aor Ind", das heißt Aorist Indikativ - und der Indikativ ist auch ein Modus: die normale Aussageform.

Ein Imperativ ist, genau genommen, weder Präsens noch Vergangenheit noch Zukunft - es ist ja von einer Handlung die Rede, die erst passieren soll - und man weiß noch nicht, ob sie wirklich passieren wird, nur der Sprecher will, daß sie passiert.

Imperativformen gibt es im Griechischen auch nur für das Präsens (das ist die allgemeinste Form des Befehls) und für den Aorist (der hat den ingressiven Aspekt - er betont, daß die Handlung erst beginnen soll).
Deutlicher ist der Unterschied bei verneinten Imperativen:

mê thorybeite! "Lärmt nicht!" (die Angesprochenen haben schon eine Zeitlang Lärm gemacht und sollen jetzt damit aufhören)

mê thorybêsate! "Fangt nicht an zu lärmen!" (die Angesprochenen machen bisher noch keinen Lärm, aber sie sollen jetzt nicht damit anfangen)
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

leppom

Vielen Dank für Deine Hinweise Caru! Das hilft mir weiter.

gehabt gehabt

Zitat von: caru in 2005-03-08, 21:14:47
Nach klassischem griechischem Gebrauch kann man das nicht, im Gegenteil: der Imperativ Aorist wird gerade für die Aufforderung benutzt, mit einer Handlung erst anzufangen.

Paulus fordert die Gemeindemitglieder ja auf, ihr Leben von Grund auf zu ändern; das läßt sich aus Vers 7 und 8 gut erkennen, glaube ich.

man wird geboren, man lebt, man stirbt

(im Deutschen jedenfalls, im Spanischen und anderen romanischen Sprachen ist das Geborenwerden aktivisch: yo nazco).

Ich glaub im Deutschen schwingt mit, dass man fuer seine Geburt nichts kann, aber das Leben und den Tod aktiv erlebt oder bestimmt.

Heute ist es ja  so, dass man damit rechnen muss auf einer Intensivstation zu sterben, nicht weil alles seine Zeit hat, sondern weil jemand mehr oder weniger explizit den Stecker zieht. In so einem Falle koennte man in der Strbeanzeige schreiben: "Gestern wurde unsere liebe Oma im Stadtkrankenhaus gestorben."

leppom

Gehabt, Gehabt, man könnte auch sagen: "man zeugt, man gebiert, man lebt, man stirbt"; Sagt man: "man wird gezeugt, man wird geboren, man wird gelebt, man wird gestorben, man wird begraben", sind lediglich die ersten beiden und das letzte Element nachvollziehbar; alle Elemente befinden sich aber im "aktiva". Es ist doch wie bei einem Baum, den ich pflanze. Wächst und gedeiht er, kann man tatsächlich beides, "aktiva" und "passiva" darin finden. Eigentlich suche ich nur nach einer für mich plausiblen Erklärung über die Gedankenwelt und die Vorstellungen der damaligen Erdenbürger, um schließlich auch biblische Hintergründe besser verstehen zu lernen. Interessant ist auch, dass es im Hebräischen nur ein Wort für Zeugung und Geburt gibt. Der Hebräer konnte so nicht wie der Grieche zwischen zwei Worten, zwei Bezeichnungen unterscheiden. Da liegt in der Zeugung vielleicht der "aktive" Anteil und im Geborenwerden, der "passive"? Erst die Aufteilung in zwei Worte macht uns stutzig, oder?

leppom

Gehabt Gehabt, noch eins ist mir in diesem Zusammenhang aufgefallen: Im hebräischen Grundtext liegt [im Gegensatz zum hellenischen] auch zwischen Sterben (passiva) und Ertoten (aktiva) kein Unterschied vor. Erst im hellenischen Grundtext wird deutlich, dass Ersterben vorwiegend den Fleischesleib und seine Möglichkeiten betrifft, während das Ertoten inhaltlich mehr auf die mit dem Ertoten verbundenen Trennungen vom Gesetz, der Sünde, vom Kosmos und den darin Wohnenden, ebenso auch der Seele vom Fleischesleib hinweist. Sterben betrifft also den Leibes eines Menschen und das Ertoten hingegen ist eine Sache des Geistes eines gläubigen Menschen. Die größten Verständnisprobleme entstehen in der Beurteilung von "aktiva" und "passiva" demnach am ehesten, wenn aus einem Verb wie im Hebräischen (Grundsprache) z.B. wie später im Hellenischen (Folgesprache) ein oder mehrere Verben (Schöpfungen) hervorgehen. Wie siehst Du das?

gehabt gehabt

Ich habe bzgl. dem Passiv von sterben und seinem (und anderer Verben) Kausativ einen neuen Kaden gesponnen (Unter Neue Ideen).


Unser Philosophielehrer auf dem Gymnasium hat die These vertreten, Descartes habe zwar "Cogito ergo sum" gesagt, wollte aber letztlich auf ein "Cogitor ergo sum" hinaus. ( ich werde durch Gott gedacht).

Montaigne hat gesagt: Philosophieren heisst sterben lernen.
Sterben ist also fuer Montaigne etwas sehr Aktives gewesen und nichts was einen schliesslich ereilt.

Frage in den Raum gestellt:

warum gibt es zwei Formen des Perfekts (mit sein und haben)?

Warum sagt man: "er hat gelebt" aber: "er ist gestorben"