warum ist Sprache komplex?

Begonnen von gehabt gehabt, 2004-12-29, 23:03:42

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amarillo

Das Problem ist nur, daß - und hierüber wissen leider alle Staatslenker bestens bescheid - sich eine uniforme (das Wort "gleichgeschaltete" drängt sich mir auf, aber ich vermeide es) Gesellschaft viel leichter überschauen und dirigieren läßt.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

#31
also, dann gründen wir eine platonische gelehrtenrepublik, in der nur starkverbendeutsch gesprochen werden darf. und außerdem soll jeder wiener gemeindebezirk bei der UNO um anerkennung seiner staatlichen souveränität ansuchen - sprachlich unterscheiden sie sich so schon genug.

irgendwo muß man ja anfangen.
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Recht so, mein trefflicher caru: Freiheit auch für Kleinhückeswagen, Hagen, Kappeshamm und Wermelskirchen!
Es wird ohnehin Zeit, daß die UNO sich um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens kümmert.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

gehabt gehabt

Der Vorteil der Staerkung der Dialekte, waere auch, dass ein biometrischer Reisepass nicht mehr notwendig waere. Vielleicht war das sogar der urspruengliche "Sinn" dass sich  so viele Dialekte und Sprachen herausbildeten: Ein Koelner bleibt im als solcher erkennbar, selbst wenn er nach seiner Kindheit lange in Duesseldorf gewohnt hat und sich bemueht, den Dialekt nachzumachen. Sprach und heimatforscher koennen vermutlich in Deutschland jemanden aufgrund seines Dialekts nicht nur einer Region sondern einem Dorf oder Stadtteil zuordnen. Zu einer Zeit als es noch keine Fotos gab und nur wenige schreiben konnten, war das ein sicheres Merkmal, Auswaertige zu erkennen, mit allen vor- und Nachteilen, die auch ein Reisepass mit sich bringt. In unruhigen Zeiten kann der Dialekt ein Merkmal sein, um beispielsweise Spione zu erkennen. Die Kehrseite der Medaille ist natuerlich auch, wie die Hautfarbe auch, dass Sprache ein Mittel sein kann um Fremde zu diskriminieren.

Einer meiner Vorposter schrieb sinngemaess, dass mangelnde Sprachvielfalt auch ein autoritaeres Regime hinweisen kann. So einfach ist es glaube ich nicht. Das Spanische wird in ganz Suedamerika gepflegt und ziemlich einheitlich gesprochen und divergiert wenig vom kastilischen, obwohl niemand mit der Peitsche dahinter steht. Es hat immense Vorteile, wenn man sich in seiner Muttersprache auf einem ganzen Kontinent verstaendigen kann.

Es ist eine Sache, ob man es der Bevoelkerung erlaubt und sie ermuntert Katalanisch oder Baskisch oder Quetchua zu sprechen, oder ob man die Sprachpolitik benutzt, um sein Lokalpolitischen Sueppchen zu kochen. Merkwuerdigerweise nennen sich die Regionalisten in Katalonien und im Baskenland Nationalisten, und ich kann nicht ander, ich hab was gegen Nationalisten.


Ly

Zitat von: MrMagoo in 2004-12-30, 15:07:54
Übrigens: Die Sprachen der Gallier sind/waren natürlich romanische (wie das Lateinische), keine germanischen Sprachen.

Nein, die Gallier sprachen zuerst einmal keltisch und erst später einen romanischen Dialekt, der dan zu Französisch wurde.
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

Arnymenos

Mal ein paar Ausfuehrungen von einem angehenden Linguisten. Ich habe nur die erste Seite durchgelesen und will auch gar nicht mit vielen Beispielen kommen.

Was die Zeiten angeht, habe ich mal einen Artikel gesehen, der zeigte, wie sich auch eine Sprache mit 10 Zeitstufen in eine mit 2 uebersetzen laesst, ohne dass man an Ausdrucksgenauigkeit verliert. Im Deutschen koennen wir ja auch sagen "ich gehe heute", "ich gehe morgen", notfalls auch "gestern gehe ich also wie gewohnt um neun zur Uni...". Tempora sind sind das einzige, um Zeitverhaeltnissen Ausdruck zu verschaffen.

Und auch fuer alle anderen "gedanklichen Konzepte" oder wie auch immer titulorene Dinge, die wir sprachlich ausdruecken wollen, gilt: Jede Sprache kann alles ausdruecken. Im Einzelnen:

Lexik: Benjamin Lee Whorf hat mal gesagt, dass man das, was man nicht in Sprache fassen kann, auch nicht denken kann. Dafuer gibt es nun haufenweise Gegenbeispiele, manch einer findet aber auch gute Gruende, eine enge Verbindung zwischen Sprache und Gedanken anzunehmen. Whorf sagte sogar, dass man nicht denken kann, wofuer man kein Wort hat. So zum Beispiel haben die Angelsachsen kein Wort fuer Schadenfreude. Nichtsdestowenigertrotz koennen sie das Konzept mit mehreren Woertern ("being happy on somebody other's bad luck") umschreiben oder sich unser Wort entlehnen.
Es stimmt, dass mit der kulturellen Entwicklung das Lexikon unheimlich angeschwollen ist. Taeglich braucht man etwa 10.000 verschiedene Woerter, das war vor 2000 Jahren vielleicht noch etwas gemaessigter, sagen wir, 5.000. Und das damals aus einem Gesamtwortschatz von etwa 50.000. Heute aber kennt ein gebildeter Erwachsener 250.000 bis 300.000 Woerter seiner Muttersprache (von denen er aber laengst nicht alle benutzt). Gerade in diesem passiven, nicht-alltaeglichen Teil ist das Lexikon gewaltig gewachsen. Jede Wissenschaft hat ihre Fachsprache, niemand kann all diese Woerter kennen.

Von den wenigen zehntausend Woertern, die wir nach Abschluss unseres Mutterspracherwerbs (bevor wir Fachterminologie und Fremdwoerter lernen), wird angenommen, dass es darunter keine echten Synonyme gibt. Um das Gegenteil zu zeigen, muesste man zwei in jedem Kontext frei austauschbare Woerter finden. Und ich nehme euch jedes solche Beispiel auseinander! Denn ich finde die Idee, dass das Erlernen des Lexikons von der Vermeidung von Synonymen bestimmt wird, sehr ueberzeugend.

Grammatik etc.: Abgesehen von verstuemmelten Pidgin-Sprachen (Mischsprachen, die aber in der naechsten Generation als "Kreol"-sprachen schon wieder den Status einer natuerlichen Sprache haben) sind alle Sprachen gleich komplex. Im Sinne einer formalen Grammatik sind natuerliche Sprachen "kontext-frei" (man informiere sich ueber die Chomsky-Hierarchie oder frage mich; das ist ein sehr trockenes hochtheoretisches Thema). Einfacher/beschraenkter sind sie garantiert nicht, das ist einfach zu beweisen. Hin und wieder gibt es Beispiele, dass sie ein kleines bisschen maechtiger als kontext-frei sind. Da bastelt man dann lange dran rum, denn niemand will, dass Sprachen nur wegen dieser winzigen Beinhae-Ausnahmen eine ganze Stufe hoeher in der Chomsky-Hierarchie angesiedelt werden muessen.

Aber im Wesentlichen sind alle Sprachen von ihrer Syntax her gleich komplex.

Phonetik: Manche Sprachen unterscheiden 3 Vokale, andere 25. Manche 6 Konsonanten, andere 100. Ich sage "unterscheiden", denn wo wenige Elemente sind, da variieren diese viel staerker. Auf den ersten Blick ist eine Sprache mit nur 10 Lauten leicht zu lernen, aber wenn man dann die hundert Regeln zur korrekten Aussprache in bestimmten Umgebungen lernen will... gute Nacht. Was man sich auf der einen Seite spart, kriegt man postwendend zurueck.

Jeder Mensch hat den gleichen Sprachapparat. Nach meiner Lieblingstheorie, der Optimalitaetstheorie, kann man auch gar nicht sinnvoll aussagen, dass eine Sprache "phonetisch komplizierter" sei als eine andere.


Sprachen aendern sich, aber in den letzten zweitausend Jahren hat sich an ihrer Komplexitaet nichts getan, behaupte ich. Diese leitet sich direkt ab aus der Kommunikationsfaehigkeit des Menschen. Ist die Sprache, die er von seinen Eltern lernt, unzulaenglich, erweitert er sie. Ist sie zu schwierig, lernt er diese Teile nicht. Dadurch, dass sich eine Sprache alle 20-30 Jahre erneut den Anforderungen von Neulernern stellen muss, erhaelt sie ihre Komplexitaet ueber alle Veraenderungen hinweg. Schwankungen moegen auftreten, gleichen sich aber aus.

Wie viele Menschen kennt ihr, die ihre Muttersprache freiwillig aufgegeben haben, weil sie gemerkt haben, dass sie sich in einer anderen Sprache deutlich besser ausdruecken koennen?

amarillo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-11, 15:21:45
Von den wenigen zehntausend Woertern, die wir nach Abschluss unseres Mutterspracherwerbs (bevor wir Fachterminologie und Fremdwoerter lernen), wird angenommen, dass es darunter keine echten Synonyme gibt. Um das Gegenteil zu zeigen, muesste man zwei in jedem Kontext frei austauschbare Woerter finden. Und ich nehme euch jedes solche Beispiel auseinander! Denn ich finde die Idee, dass das Erlernen des Lexikons von der Vermeidung von Synonymen bestimmt wird, sehr ueberzeugend.

Es wäre ganz nett, wenn Du die Kriterien nach denen Du auseinander nimmst etwas zeitiger nennen könntest, dann hätte man vielleicht eine Chance, direkt gezielt zu überlegen.

Ich behaupte, daß "Wauwau" und "Hund" echte Synonyme sind, bin aber überzeugt, daß
aus irgend einem kühlen Grund jetzt dieses Beispiel nicht die notwendigen Voraussetzungen (welche?) erfüllt.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

sehr klar: "hund" ist der allgemeine ausdruck, der in jedem kontext funktioniert.
"wauwau" ist ausschließlich kindersprache: kein biologieprofessor, hundezüchter etc. wird je von einem wauwau reden, es sei denn in bestimmten situationen zu einem kleinen kind, von dem er annimmt, es könnte "hund" nicht verstehen.

"wauwau" und "hund" sind also nur in einem speziellen kontext austauschbar.

klar, sie bezeichnen dasselbe tier. aber das tut z.b. "köter" auch.
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amarillo

Ich hatte eigentlich gehofft, daß unser Freund Arnymenos mir die Kriterien etwas allgemeiner darstellt. Daß "Wauwau" ein der Kindersprache entnommener Begriff ist, hatte ich schon seit einiger Zeit vermutet
;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Mach' ich doch gerne.

Nimm zwei Woerter, A und B. Sie sind dann Synonyme, wenn man in jedem Satz mit A an dieser Stelle auch B sagen kann, ohne die Bedeutung zu veraendern. Dabei geht es mir auch um Konnotationen (zum Beispiel ist Koeter abwertend und Wauwau Kindersprache). Dies fliesst in die Pragmatik ein. Die Pragmatik erklaert, wann ein Satz "angemessen" ist, geht also ueber die Semantik hinaus.

Syntax: "Der Stein schlaeft." ist richtig.

Semantik: Das ist doch Unsinn! Steine koennen nicht schlafen.

Pragmatik: Wie? "Der Stein"? Welcher Stein? Bevor man "der" sagt, muss man erstmal sagen, warum es geht. Stell dir vor, ich komme in den Raum, wir begruessen uns, und dann sage ich, ach uebrigens, der Stein schlaeft.


Ich bringe auch gleich ein Synonym: Syntax = Satzlehre. Diese beiden Woerter sind ziemlich synonym, es sei denn, wenn man von Morphologie statt von Formenlehre spricht, dann soll man auch von Syntax statt von Satzlehre sprechen, und das waeren die pragmatischen Eigenschaften. In den technischen Fachsprachen koennen Synonyme existieren.

Die Behauptung ist nun, dass sich ein neues Wort nur dann lohnt, wenn es sich von allen anderen unterscheidet, sonst kann man es nicht muttersprachlich lernen.

amarillo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-11, 18:58:47
Ich bringe auch gleich ein Synonym: Syntax = Satzlehre. Diese beiden Woerter sind ziemlich synonym, es sei denn, wenn man von Morphologie statt von Formenlehre spricht, dann soll man auch von Syntax statt von Satzlehre sprechen, und das waeren die pragmatischen Eigenschaften.

Bin ich mal wieder der Einzige, der kein Wort versteht?

Und wieso kann ich ein neues Wort nur dann muttersprachlich lernen, wenn es sich von anderen unterscheidet? Im Umkehrschluß hieße das: alle muttersprachlich erlernten Begriffe können nicht synonym sein - oder? Aber genau das sugst Du ja bereits.

Ich habe den Verdacht, daß die Definition von Synonym derart exklusiv ist, daß niemand je den himmelhohen Kriterien genügen wird, und Du somit diese These für nachgewiesen ausgeben darfst und wirst.
Nicht böse sein, aber das erinnert mich doch sehr stark an scholastische Spitzfindigkeiten.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Aehnliche Bedeutungen gibt es genug. Und drum hat man irgendwann den Begriff "Synonym" erfunden, dann aber festgestellt, dass kein Wort wirklich ueberfluessig ist. Wer aus der Vermeidung von Synonymen weiteres ableiten will (und das machen manche), der erhebt sie zum allgemeinen Prinzip. Dafuer wird dann der Begriff "Synonym" auch sehr streng definiert, also "so absolut gleichbedeutend und gleichverwendbar, dass das eine Wort einfach weggeschmissen werden kann".

Aber fuer unsere Diskussion hier brauchen wir das gar nicht. Ich wollte darauf hinaus, dass Unmengen an Synonymen nicht die Erklaerung dafuer sind, dass Sprachen so entsetzlich viele Woerter haben. Wozu braucht eine Sprache 200.000 Woerter, wenn man im taeglichen Leben mit 10.000 auskommt? Nutzlos ist jedenfalls keines.

amarillo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-11, 21:11:26
Wer aus der Vermeidung von Synonymen weiteres ableiten will (und das machen manche), der erhebt sie zum allgemeinen Prinzip. Dafuer wird dann der Begriff "Synonym" auch sehr streng definiert, also "so absolut gleichbedeutend und gleichverwendbar, dass das eine Wort einfach weggeschmissen werden kann".

Hiermit quittiere ich meinen Dienst als Versuchskaninchen.

Von wem wird denn "Synonym" so streng definiert?

Von Dir, damit das Restliche in Deine These paßt?

Ich fürchte, Du hast Sophia längst den Abschiedskuss gegeben.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

blrrllr... aehm, jetzt nehme ich erstmal eine Verwirrungsauszeit.

Weil's doch eigentlich ein eher nebensaechlicher Punkt war.

Weil's auch nur eine Zweckmaessigkeit von denen war, die's so brauchen koennen.

Weil ich auch ein "Witapaotewake" als das definieren kann, was morgens nach dem Aufstehen den ersten Laut macht, aber nur an Sonntagen... ich stoere mich persoenlich nicht an Dingen, die andere definieren, wenn ich die Definition nicht brauche. Und ja, ich brauche diese Synonymdefinition nicht.

Morgen geht's weiter.

amarillo

#44
Zitat von: Arnymenos in 2005-02-11, 22:17:54
Weil's auch nur eine Zweckmaessigkeit von denen war, die's so brauchen koennen.

Weil ich auch ein "Witapaotewake" als das definieren kann, was morgens nach dem Aufstehen den ersten Laut macht, aber nur an Sonntagen... ich stoere mich persoenlich nicht an Dingen, die andere definieren, wenn ich die Definition nicht brauche. Und ja, ich brauche diese Synonymdefinition nicht.

Morgen geht's weiter.

Gerne, aber nicht mit mir; ich habe den Eindruck, daß Du viel Ruhe brauchst.

amarillo









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