Facharbeit in Deutsch

Begonnen von Volli, 2005-04-07, 17:01:42

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gehabt gehabt

Ich glaube, es verarmt nichts im Deutschen. Das Deutsche ist so reich wie lange nicht. Der Unterschied ist, dass vor 200 Jahren die meisten entweder nicht schreiben konnten oder gottseidank nichts von dem was sie fabrizoren haben uebriggeblieben ist. Wir lesen nur Goethe und denken alle haetten sich so gewahlt ausgedrueckt wie er.

Lohnend fuer eine Semesterarbeit waere es, gegenbeispiele fuers Verarmen zu finden, die Sprache der Werbung kann dabei sehr erfrischend sein.

Arnymenos

Verarmt ist eine Sprache, wenn sie den Grundsatz verletzt, dass man in ihr nicht mehr alles ausdrücken kann, was man in einer anderen Sprache ausdrücken könnte.

Wir stehen vor einem Bild in einer internationalen Ausstellung. Gruppen von Reisenden unterhalten sich über die Ausstellungsstücke, fertigen schriftliche Beschreibungen für ihren Arbeitgeber, es mag eine Zeitung sein, oder für ihre Bekannten an. Dies -- davon gehe ich aus -- in allen Sprachen. Es mag einer afrikanischen Sprache das Fachvokabular fehlen; doch jede Sprache kann Umschreibungen finden oder aktiv Fremdwörter aufnehmen, um Lücken noch während des Sprechens zu füllen.

Nun aber habe ich die Aufgabe, ein Bild auf Englisch zu beschreiben. Mein Englisch mag dafür ausreichend sein, obwohl ein Muttersprachler eine gewisse Ausdrucksarmut feststellen würde. Ich selber kann mit keiner weiteren Fremdsprache als Beispiel dienen, denn wir möchten uns jemanden vorstellen, der sich so halbwegs leidlich in einer Sprache ausdrücken kann. Nähmen wir nun seine Version dieser Sprache als allgemeingültig (und als die beste Variante dieser Sprache), dann wäre diese Sprache sehr arm. Auch mein Englisch hat eine gewisse Armut, über die ich mir aber fast immer hinweghelfen kann. Ich finde Umschreibungen. Bei einer Sprache, die ich zwar ein wenig, aber eben deutlich schlechter beherrschte, fände ich diese nicht, und könnte auch mit jedem Umstand nciht das sagen, was ich ausdrücken will.

Das passiert beim Sprachenlernen. "Verarmen" bedeutet nun, dass eine Sprache auf eine solche unausgegorene Stufe zurückfällt. Da ein einzelner wohl kaum seine Sprache verlernt (von Herrn Schwarzenegger einmal abgesehen), geht das nur im Erwerb der Sprache durch eine neue Generation.

Und um meine Argumentation schnell abzuschließen (um sie später ggf. fortzusetzen --- ich muss weg): In Deutschland wachsen zur Zeit Kinder auf, die keine Sprache so beherrschen, dass man sie als allgemeines Kommunikationsmittel für alle einsetzen könnte. Klingt etwas nach Kant, also nochmal sauber:


Sprich immer so, dass deine Sprache gleichzeitig allgemeines Kommunikationsmittel sein könnte.


Ist eine Sprache nicht so, und ist sie dies durch zeitliche Veränderung, dann ist sie verarmt.

Kilian

Angenommen, eine Sprache hat viele verschiedene Möglichkeiten, etwas Bestimmtes auszudrücken, ist also "redundant" - und nun verschwinden einige dieser Möglichkeiten, ohne dass man dadurch irgendetwas nicht mehr ausdrücken kann - man hat nur nicht mehr eine so große Auswahl, wie, also durch welche Zeichenketten, man es ausdrückt - wäre das nicht auch als Verarmung zu bezeichnen?

VerbOrg

Gerade das ist es doch, was das Prinzip des anfangs von mir erwähnten Neusprech war.
Abgesehen von den Un-Wörtern wurde doch bei Orwell so viel wie möglich von der Sprache weggestrichen, so dass das Wörterbuch immer dünner, die Kommunikation immer einseitiger und steriler wurde.
Es gab nur noch gut und ungut, hell und unhell und alle Nuancen dazwischen wurden getilgt.
Dasselbe würde doch passieren, wenn man sich auf einen Begriff festlegen würde und alle Synonyme wegstriche. Die kleinen Unterschiede, die in all den unterschiedlichen Ausdrucksweisen liegen, wären damit weggefegt.
Der sprachliche Reichtum, aus dem die Dichter und Denker seit Jahrhunderten schöpfen konnten, wäre dahin. Wer würde da noch ein Buch lesen wollen?

Arnymenos

#19
Sprache findet ja Umstandskonstruktionen: Perfekt statt Präteritum, von statt Genitiv, würde statt Konjunktiv, doppeltes Perfekt statt Perfekt. Wo wir einen Verlust beklagen, erscheint etwas Frisches, das nicht die synthetische Schönheit des Alten besitzt. Unsere Sprache wird nach unserem Empfinden um etwas "Reiches" ärmer und im gleichen Zuge durch etwas"Armes" reicher.
Zusammenziehen und verschleifen bringt uns wieder synthetische Formen, kann aber auch als Verarmung gesehen werden.

Dem Neusprech zie ich Proph*, dass eine Generation, die es erlernte, unglaublich erfinderisch in Bezug auf neue Wörter wäre. Es sei denn, das System greift und verdummt die Menschen auf ewig. In der angewandten Sprache hat jeder die Freiheit, jedes Wort, das er kennt, wiederzuverwenden. Nun mag unsere literarische Vergangenheit einen gigantischen Wortschatz erschaffen haben; aber wer von uns nutzt das alles denn?
Nehmen wir an, der Große Bruder klaut uns Wort um Wort, und zwar so effektiv, dass wir einsehen, dass wir auf dieses und jenes Wort durchaus verzichten können. Die Verarmung unserer Sprache bemerken wir dann, wenn wir einen Gedanken gar nicht mehr ausdrücken können. Es besteht doch ein deutlicher, sehr wichtiger Unterschied zwischen "nicht schlecht" und "gut". Wer also könnte uns davon überzeugen, dass man auf Antonyme verzichten könnte? Sooft wir die Freiheit haben, unsere Sprache uneingeschränkt zu verwenden, hat Neusprech keine Chance.

Und wer "Ey, boah, ey, voll krass. Ja wie jetz? Total mega. Ey, was? Auf die Fresse?" betrachtet, sieht voller Staunen die Veränderung der Sprache, sieht, wie absolut alelrbedeutungsloseste, den Satz füllende Füllwörter plötzlich unerwartet eine neue Sinnbedeutung kriegen. Vielleicht erwächst daraus auch mal eine schöne Konstruktion, auf die man stolz sein wird.

Vielleicht.

Lieber nicht.


*) Ich bitte um Änderung in der Starkverbliste. Übrigens nicht "zieh", wegen der orthographischen Unterscheidung: Ich zeie Proph, zie Proph, zie Proph (eigentlich zie-e), habe Proph geziehen.

Dazu: Proph, die (nicht: Prof, der) neu für Prophezeiung (Tilung doppelter Endung)

VerbOrg

#20
Lessing gab seiner Schwester mal den Rat: "Schreibe, wie du redest, und du schreibst schön."
Wie viel reicher und interessanter ist doch in den meisten Fällen die mündliche Umgangssprache als die präzise Schriftsprache. In der mündlichen Kommunikation ist man viel eher geneigt, sich leicht verständlich auszudrücken. Die mündliche Sprache ist oft viel bildhafter, weckt beim jeweiligen Gesprächspartner Assoziationen...
Besonders bildhaft ist eigentlich auch die Sprache der Dialektsprecher. Allerdings werden viele Dialekte (z.B. Plattdeutsch) fast nur noch von der älteren Generation gepflegt und sterben langsam aus. Auch das ist eine Art der Verarmung der Muttersprache.

Insofern sollte man sich fragen, inwieweit der sprachkategorische Imperativ:
ZitatSprich immer so, dass deine Sprache gleichzeitig allgemeines Kommunikationsmittel sein könnte.
verallgemeinert werden soll.

Geht es um die Kommunikation innerhalb einzelner sozialer oder regionaler Gruppen oder ist das einzige Ziel eine allgemeine Verständigung aller Deutschen, was ja eine Abkehr von den Dialekten voraussetzt. Denn ein sächselnder Sachse oder ein plattdeutsch sprechendes Nordlicht würde beispielsweise in Bayern nur auf Unverständnis stoßen.

Dass das Hochdeutsch als verbindendes Kommunikationsmittel aller Deutschen gepflegt werden muss, steht allerdings außer Frage.

MrMagoo

Zitat von: Arnymenos in 2005-04-12, 10:27:01
*) Ich bitte um Änderung in der Starkverbliste. Übrigens nicht "zieh", wegen der orthographischen Unterscheidung: Ich zeie Proph, zie Proph, zie Proph (eigentlich zie-e), habe Proph geziehen.


Welche orthographische Unterscheidung?
-zeihen sollte weiterhin mit "h" geschrieben werden, damit die Verwandtschaft zu "zeigen" offensichtlich bleibt!
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

VerbOrg

Im Infinitiv besteht das Problem ja auch nicht.
Schwieriger wird's im Präteritum und im Konjunktiv, da es hier üble Überschneidungen mit Formen von ziehen gibt.

zieh: Ind. Prät. von zeihen = Imperativ von ziehen
ziehe: Konjunktiv II von zeihen = Ind. Präs. 1. Person von ziehen

Or ich das jetzt richtig interpret?

Kilian

Damals kam es mir ohne h komisch vor, jetzt kommt's mir mit h komisch vor... das hab ich jetzt erstmal entfornen. Die betonungsändernde, Partikel-zu-Subsantiv-machende Tmesis gibt es aber noch nicht als Bestandteil des GSV-Stärkungsprogrammes.

Volli

hallo :)
ich werde nun mein them,a doch ein wenig eingrenzen, sodass es sich nur um anglizismen udn deren einfluss auf mutter - und gegenwartssprache bezihet. vlt habt ihr da ja ein paar anregungen für mich - würde mich auf jeden fall freuen :)

VerbOrg

Als kleinen Einstieg in die Anglizismen-Recherche hab' ich dir mal zwei Links rausgesucht:

Der erste ist ein interessanter Artikel über Anglizismen in der Werbung.

http://www.spiegel.de/unispiegel/wunderbar/0,1518,310548,00.html

Solltest du dann noch Lust haben, eine laaange Liste mehr oder weniger gebräuchlicher Anglizismen zu checken, statt dir mit der Webcam interessante Pics ranzuzoomen, dann sei dir mal die Seite des Vereins Deutsche Sprache e.V. ans Herz gelegt.

http://www.vds-ev.de/denglisch/anglizismen/

Kilian

Auf amarillos Empfehlung hin habe ich mir gleich Dieter E. Zimmers "Redens Arten" bestellt; ich bin jetzt mitten im ersten Kapitel. Da stehen einige verschiedene Arten und Weisen drin, wie das Englische die deutsche Gegenwarzsprache beeinflossen hat - ist zu empfehlen, könnte dir auch helfen, Volli.

Auch zum Thema:

ZitatÜber Anglizismen wird viel gemault. Dumm daran ist, daß man zwei verschiedene Erscheinungen so nennt. Einmal unübersetzt aus dem Englischen übernommene Ausdrücke, zum andern Lehnübersetzungen. Es wäre besser, wenn man Begriffe wie E-Commerce oder health care als englische Fremdwörter bezeichnete und das Wort Anlizismus auf Entlehnungen wie "Sinn machen" "einmal mehr" oder "nicht wirklich" beschränkte. Fremdwörter sind häufig eine willkommene Sprachwürze. Als ich gestern am Telephon von jemandem gefragt wurde, wie mir sei, erwiderte ich "slightly uneasy", weil es mir eben würzig vorkam, so zu sprechen. Ärgerlich ist nur, wenn Leute aus dem Computer- oder Werbewesen auch nach Arbeitsschluß mit ihrem Sprachgemisch fortfahren, unfreundlich ist es, das Kauderwelsch gegenüber Menschen anzuwenden, bei denen Englischkenntnisse nicht vorauszusetzen sind. Störender als die englischen Sprachbrocken finde ich jedoch eine marottenhaftge Verwendung bestimmter Übersetzungen, wie z.B. "zunehmend": "Der Markt wird zunehmend enger." (...) Ganz stark im Kommen ist zur Zeit "Wie fühlt sich das an?" ("How does it fel?"). "Wie fühlt sich das an, Mitglied der erfolgreichsten deutschen Girl Group zu sein?" Als ob die Mitgliedschaft in einer Band ein Stück Kaninchenfell wäre.

Max Goldt, Wenn man einen weißen Anzug anhat, Rowohlt 2002

Arnymenos

Der kategorische Sprachimperativ ist ja nicht verletzt, wenn man Dialekt spricht. Ein Dialekt ist genauso eine Sprache wie jede andere. Zwei Sprecher dieses Dialektes, egal welcher Kultur sie letztlich entstammen, könnten sich darin über alles unterhalten. Und das fordere ich von einer Sprache, bzw. erkläre sie für "arm", wenn das nicht wenigstens theoretisch möglich ist.

Ein abstraktes Beispiel: Eine Sprache ohne Verneinung. Darin könnte man sich definitiv nicht vollständig ausdrücken. Und zum Glück (Zufall oder Absicht?) haben alle Sprachen Negation. Ich wage den Umkehrschluss: Etwas, das keine Negation hat, ist keine Sprache.


Zur Tmesis von zei(h)e Proph: Was ist mit "wirt ant"?

VerbOrg

Verneinung ist schon was Feines. Besonders in geballter Form:

Zitat§ 118 BGB (Scherzerklärung):
Eine nicht ernstlich gemeinte Willenserklärung, die in der Erwartung abgegeben wird, der Mangel an Ernstlichkeit werde nicht verkannt werden, ist nichtig.
Und da sage noch jemand, deutsche Gesetzestexte wären schwer verständlich.
So eine fünffache Verneinung hat was für sich.

Andere Leute haben schon bei dreifachen Verneinungen Probleme:
ZitatWolfgang Poggendorf vom Tierschutzverein meint: "Wenn mehr Auslaufflächen geschaffen werden, kann der allgemeine Leinenzwang kommen." Die Einführung von Hundeführerscheinen sei nötig, "um zu verhindern, daß die Tiere nicht in die Hände von Menschen geraten, die nicht in der Lage sind, sich wirklich um sie zu kümmern".
(Hamburger Abendblatt, 08.04.2005)


Aber was meinst du eigentlich genau mit deiner Tmesis-Frage?

caru

er meint einen neuen starken imperativ für antworten.

ier ihn doch mal dem adminstrator propon  ;)
(\___/)
(>´x´<)
('.')__('.')

Nijntje - de echte nederlandse konijn