NOMEN: Systematischer Teil

Begonnen von Ku, 2005-05-08, 17:37:30

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Agricola

Mir viel gerade etwas ein, was mit Werben nichts zu tun hat, aber dennoch in den sys-thematischen Nomen-Teil fällt:

Dritt-Teil > Drittel
Viert-Teil > Viertel
usw.

anal geogen (jeweils sächlich oder männlich oganal zum Original):

Hinterteil > Hintertel
Vorteil > Fortel
Nachteil > Nachtel
Gegenteil > Gegentel
Abteil > Abtel (Auch: Das Abtel im Nachtelzug)
Anteil > Antel
Urteil > Urtel
Bestandteil > Bestantel
Fertigteil > Fertigtel
Bauteil > Bautel
Zubehörteil > Zubehörtel
Großteil > Großtel
Kleinteil > Kleintel
Ostteil > Ostel
Westteil > Westel
Satzteil > Satztel
Textteil > Textel
Sportteil > Sportel
Stadtteil > Stattel
Taktteil > Taktel
usw.

Auch: Nachdem das Sieb zerbrochen war, holte er die Siebtel aus der Spüle.

Weiter geht es oganal:

...leid > led
z.B.
Mitleid > Mitled
Beileid > Beiled
usw.

...zeit > ...zet
z.B.
Bestzeit > Beszet
Brotzeit > Brozet
Karenzzeit > Karenzet
usw.

...reich > ...rich
z.B.
Frankreich > Frankrich
Königreich > Königrich
usw.

...sein > ...sen
z.B.
Dasein > Dasen
Anderssein > Andersen
Bewusstsein > Bewusstsein
usw.

Die Liste lässt sich vielfach vervollständigen.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Berthold

#256
Kleine Erganz zu 'Substantive 2.2. Das Werkzeug' nebst einer orthographischen Rüge:

Ja, ja, der 'Stempel' ist mit dem Suffix für Gerätebezöynche germ. -ila- zu 'stampfen' gebolden. In Erarnn an den 'Stängel' empföhle ich froychl dringend die Schroyb 'Stämpel'. Karsten (in Österreich und wohl auch Bayern: 'Der Karsten ...') tat schon des Mempels (von mampfen - ich schriebe ihn 'Mämpel') Erwahn, dem sich der Pämpel (< pampfen) beigeselle: Kein Mämpel & Pämpel war's, nein: ein Festschmaus. - Ferner frug ich mich zu Eisenach im Türmerstübchen, warum dort zwar des Rauchs & Dämpels (< dampfen) viel produzoren ward, amarillo aber nicht auf seiner Lidl-Mandoline süßen Klämpel (< klampfen) beistiur.
Dies war soeben Gruppe A meiner kleinen Erganz.
Gruppe B ist nach kramen - Krempel > Krämpel gebolden.
   Unter den Malern zahl er zu den ausdrucksschwachen, 'lahmen': ein Lämpel, der kein einziges tolles Gemälde, sondern nur Rämpel (< rahmen) gepalnsen hatte. Auch die Liebe war ihm nie begongen, bloß der eine oder and're Besämpel (< besamen). Zuletzt war er ein armer Vereinsämpel* (< vereinsamen).

Härchlzest!
Der Berthold

*In diesem Wort steckt ein bißchen was anderes als ein Recessus narrativus. In 'Verein(s)' liegt ein kleiner Hinweis, wie aus der üblen Lage, die das Wort suggeriert, auszubrechen wäre. Ich werde mir einen Term. techn. für sowas einfallen lassen.


 


Agricola

#257
Beim Nachdenken darüber, was wir in unseren zahlreichen Listen eigentlich so leisten, ging mir auf, dass die Vokabel Liste eine Kimme eines Ableitungsprinzips ist. Das real existierende Mussda für diese Ablitte wäre etwa schneiden — Schnitte. Die so abgelittenen Wörter bezeichnen das greifbare Ergebnis einer Handlung.

leisten - die Liste
leiten - die Litte
reiben - die Rippe
bleiben - die Blippe
meinen - die Minne

usw.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

#258
Zitat von: Agricola in 2008-06-10, 05:51:07
Beim Nachdenken darüber, was wir in unseren zahlreichen Listen eigentlich so leisten, ging mir auf, dass die Vokabel Liste eine Kimme eines Ableitungsprinzips ist. Das real existierende Mussda für diese Ablitte wäre etwa schneiden — Schnitte. Die so abgelittenen Wörter bezeichnen das greifbare Ergebnis einer Handlung.

leisten - die Liste
leiten - die Litte
reiben - die Rippe
bleiben - die Blippe
meinen - die Minne

usw.

Konsonantenverhart und Vokalverkurz muss nicht immer sein. Gerade zu (ab)reiben gibt es den Abrieb. Warum stärken, wenn's schon stark ist?

Kieme anstatt Keim ist auch belogen, Kimme ist also überflüssig.
Das Nomen zu leisten hieß früher Leist (daher auch "Schuster bleib bei deinem Leisten"), ebenfalls keine Notwand zur Neubald.
Und den Minnesängern ihre Liebe zu entziehen und zu einfachem "Meinen" zu machen, fände ich auch nicht fair.
Karsten

Agricola

Natülr muss es nicht immer sein. Eine bunte Vielfalt sei eine Blippe, die durch neue Ablitten nicht gefuhrden werde!

Das Wort "Liste" habe ich im übrigen nicht selbst erfunden, sondern nur neu erkluren. Es gibt auch von anderen Wörtern mehrere starke Ableitungen nebeneinander: stehen - der Stand - die Stunde usw. Ein Schnitt ist auch etwas anderes als eine Schnitte, obwohl beides ein Produkt des Schneidens ist.

Was die Kieme bedeutet, wenn sie von Keimen abgelitten ist, ist mir nicht geläufig. Mit Kimme meinte ich jedenfalls etwas anderes als einen Keim, nämlich ein schon etwas über die Stufe des Keimes hinausgekommenes Produkt des Keimens.

Das mit der Rippe beruht auf der Erfahrung, dass man bei Personen, denen die Rippen nicht sichtbar aus dem Körper stehen, immerhin durch Reiben die Rippen fühlbar machen kann. Und die Minne braucht sich des Meinens nicht zu schämen. Im Japanischen wird in vielen exzellenten klassischen Dichtungen das Wort 思う (omou, meinen) im Sinne von "Liebe empfinden" gebroochen.
The future lies in front of me,
but "lies" is all that I can see.

Fleischers Karsten

Zitat von: Agricola in 2008-06-11, 04:08:18
Was die Kieme bedeutet, wenn sie von Keimen abgelitten ist, ist mir nicht geläufig. Mit Kimme meinte ich jedenfalls etwas anderes als einen Keim, nämlich ein schon etwas über die Stufe des Keimes hinausgekommenes Produkt des Keimens.

Mal wieder die Märchenonkels:

  KIEME, m.? in graskieme: do verdirbt die gersten in der scheiben und scheuszt in die graskiemen. F. ROTH aller christl. hausmütter ABC Erfurt 1589 E. md. nebenform von keim, bestätigt durch 'magudris kyeme' und 'germinare kyemen' in SCHRÖERS voc. v. 1420 (mhd. î ist dort ei); es ist wie nl. kiem. magudris (stengel) stimmt zu keim 3, b.


Zur Kieme des Fisches schreiben sie:


KIEME, f. fischkiefer, md. und nd. (kîm DANNEIL 100b).

1)  es ist gegenwärtig unter den verschiedenen namen, kiefe, kiefer, früher auch kiefel, kiff, kibe, kiwe (kywen, kewen auch HENISCH 1111, ahd. chela, chiwa) der gebräuchlichste; ADELUNG empfahl ihn, weil kiefer zweideutig sei, auch die wissenschaft hat ihn angenommen und weiter gebildet (afterkieme, halskieme, mundkieme, kammkieme u. s. w., s. auch kiemer, kiemig); auch krebse, muscheln haben kiemen. heimisch in md. lande ist es z. b. bei Leipzig. von wbb. gibt es schon im 17. jh. B. FABER, während es noch bei STEINBACH, FRISCH fehlt.

2)  nebenformen, die hier das wort aufklären helfen, sind kimme SCHOTTEL 1344, im gebrauch der Leipz. fischer, bei E. M. ARNDT:

drum, ihr fische, mögt ihr schwimmen
übern Lech und übern Rhein,
einem müssen doch die kimmen
fest an unsern angeln sein.
         ged. 391 (1860 378), 'Beilings tod';

diesen schlag ich durch die kimmen.
         das. --

und sehr merkwürdig kin, das sich zeigt in 'kinlein im fisch, brantia' voc. th. Nürnb. 1482 q 4a, obwol auch kinnlein, kinn gemeint sein kann; s. auch kienwurm. dieser kurze vocal wird nach folg. der ursprüngliche sein, kieme aus kime geworden.

3)  der name stammt, wie die vorhin genannten, aus einer zeit wo man die kiemen als die kauenden kinnbacken der thiere ansah (man nannte sie selbst kinnbacken, s. d. 3), und wie kiefer, kiefe, kiefel eigentlich den kinnbacken bezeichnen, findet sich kieme, genauer kimme im fernsten norden wieder, in isl. kiammi m. kinnbacken (dazu kiamsa die kiefern bewegen, u. a., ia aus kurzem i), das md. nd. wort musz vor alters diese bed. auch gehabt haben. es heiszt isl. altnorw. auch kianni (während schon schwed. beide worte fehlen), und das stimmt ebenso zu dem kin u. 1, genauer zu kinn (s. d.), das selbst auch 'gena' bedeutete und seinerseits eine merkwürdige nebenform kimmel hat. auch kiefe, eig. kife hat so sein seitenstück in altn. kiaptr kinnbacken (sp. 666). zwischen kife und kimme aber vermittelnd im auslaut erscheint kampf fischohr.
Karsten

Berthold

#261
Schon lang keine or''ntlichen Beiträge mehr, fasse ich, nachdem ich Guschrimpes überfloŋg habe, zusammen.
Nun, dann schreib ich halt, eine Woche vor Urlaubsschluß, nächtens kurz ans Institut zurückgekrohn, ein paar Zeilen her. Ob die Idee schon besteht, keine Ahnung.
Schade findet es der virspnule Berthold, der Buben Böψt, der Knaben Knüψt (fein mit griechischen Buchstaben gesponck, damit zum Ausdruck komme, hier tut sich was), daß in der Hauptsache die Adjektive, die ja, nach Herrn Clemençau ohnehin zumeist zu vergessen, steigerbar sind.
Dabei wäre es eine innigere Freundschaft, wenn Herr Kilian ünζt Frau Maria einen Ball erümpfen, als wenn's nur der Kilian und die Maria tun - oder gar bloß Kilian & Maria.
Das Steigern eines Hauptwortes (im Vokaldreieck - was zu erklären nun zu nächtlich ist - das nächste Mal) hat noch einen Vorteil. Daß Schreibende wie auch Lesende ein Stückchen ihres Weltbildes bekennen müssen, welchselbige Weltbilder ruhig verschieden sein können.
Denn dem einen wird ein 'Jügerst' ein besonders waidgerechter Mann sein, während er dem anderen nicht viel mehr als ein Meisterschütz ist. Die Steigerung eines Archetypus, jedenfalls & gewissermaßen. Zu 'archetypisch' hänge ich eine Anekdote an. Ansonsten: Fortsatz folgt.

'Einstens, in der Studentenheimzeit, ich würde sogar hinschreiben in der goldenen St.z., saß ich in einem größeren Kreis junger Menschen, und irgend jemand verwendete unser Wort. Halt, rief ich, wißt ihr überhaupt, was das heißt: archetypisch? Wer es weiß, der zahl ich ein, bescheidenes, Nachtmahl. Leichtfertig mit meinem Geld bin ich schon immer gewesen. Doch wo hab ich damals die Autorität hergenommen? - Wenn’s auch später noch Debatten gab, niemand von den Leuten konnte archetypisch korrekt erklären, und Jurko durfte das Geld behalten. - Das sind neuronale Schaltkreise von mythopoietischer Potenz, elektrisch-chemische Energiemodule, die schon vom Reptilienstammhirn weg, durch Schlüsselreize aktiviert, mehr oder minder stereotype Problem- und Handlungsstrukturen erzwingen... war zu hören. Oder, recht ähnlich, daß Archetypen Strukturen (auch ein recht komisches Wort) in archaischen Gehirnteilen wären, die engrammartig vorlägen und ein Dickicht an Problemen aufböten, zwischen denen die allermeisten Menschen noch irgendwann umherirrten (oder, österreichischer, herumirrten).
   Reiner Unsinn, sagte endlich ich, Archetypen, das bezieht sich auf jene Tiere und Menschen, die damals in Noahs Arche... Da konnte jedoch Beatrix G., Rauchfangkehrerstochter aus Zeiselmauer, nicht an sich halten, und sie rief: Aber das ist doch gar nicht wahr! So viel zu archetypisch.'
 

     

Kilian

Bei der Wortistik miech man sich nicht mehr jüngst, aber schon noch jünger Gedanken darüber, wie das Gegenstück zu Mentor heißt. Das Gegenstück zur Endung -or, -end (z.B. in Divisor/Dividend anzutreffen), ist wohl nicht allgemein bekannt und meine Stimme der Vernunft ward nicht gehoren, ging in einer Kommentarflut weit unsinnigerer Vorschläge unter. Nun gibt es weitere Ableitungsmuster für Zweierbeziehungen zwischen Menschen. Eins davon geht pikanterweise ähnlich wie die Verbzeugableitung: Vormund - Mündel.

Entsprechend ist ein Vorbund die mit der Wartung eines Säuglings betraute Person.

Einer, dem jemand vorgesetzt ist, heißt, da baußt die Meis' keinen Faden ab, ein Sessel.

Einen Richter nennt man auch Vorbutt.

Geistig minderbemittelte Menschen, gerade in schwäbischen Dörfern, haben häufig einen Vorsamp, der darauf achtet, dass sie nicht zu tragweite Dummheiten begehen.

Ein einfaches Mitglied eines Arbeitsteams heißt Arbittel.

Die Gesamtheit der Anbieter auf einem Markt nennt man die Vorkliant.

Gryphius

#263
Heute las ich auf "Spiegel online" in einem Leserkommentar zur Causa Mixa folgenden hübschen Satz: Ich denke, die Verlogenheit, Monstranz und Blasphemie der katholischen Kirche sind überdeutlich geworden.

Über die Monstranz [...] der katholischen Kirche habe ich mich zunächst schier wegkringeln wollen, doch dann gab mir dies die Idee ein, auch andere Nomen auf "-osität" entsprechend umzuwandeln und dem Neutschen Wortschatz beizufügen. Warum also in Zukunft nicht sprechen von:

Serianz statt Seriosität
Nervanz statt Nervosität
Viskanz statt Viskosität
Religianz statt Religiosität
Virtuanz statt Virtuosität

Wäre dies eine Idee?

Übrigens klänge es umgekehrt auch sehr lustig, wenn beispielsweise folgendermaßen berichtet würde: Zur Fronleichnamsprozession trug der Pfarrer die Monstrosität voran.

Schlendrian von Wegen

Hallo! (Gibt's da nicht auch was Schöneres?)

Nur ein kleiner Hinweis: Im Hessischen gibt es schon "die Kränk". "Du krischst die Kränk", wenn einer sich einfiebert.