Schüttelreim, anyone?

Begonnen von caru, 2005-06-07, 23:41:55

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Berthold

#390
Das folgende Wort bietet keinen Napoleon Bonaparte der Schüttelreime:
http://flavorwire.com/52411/galileo-isnt-the-only-famous-figure-missing-body-parts.
Es bietet zumindest einen Rasputin:
http://www.suprmchaos.com/bcEnt-RasputinPenis.index.html
http://www.youtube.com/watch?v=TmjdZKfumEI

Fang ich halt wieder einmal an:

Meisenring

Ich traf, auf einer meiner Reisen, Ming;
in Beijing war's, ich hieß ihn 'Riesen-Ming' -
bisweilen, Schnupfens wegen, 'Nieser-Ming'.
[Die Dynastie erinnert seiner: Ming. -
Kein Jing, kein Ling, kein Ping, - ein reines Ming.
Schon Vaters Ahnen waren reine Mings.]
Er gab mir, bald schon, einen Meisenring,
so einen kleinen, an sich miesen, Ring.
Talg - Weizen ist in solchen Ringen - Mais;
es ist auch Honig in den Ringen, Seim;
ich schüttle das und hab beim 'Singen Reim' ...
In meinen Sack, Präsent des Minges, rein.
Ein Wutzerl eines Meisenringes: mein.
- - -
Mir fällt die Liebste ein - Am Eisenring,
[Wär' ich Pariser, dächt' ich, hm, 'Seinering' ...]
am Kettlein trippl' ich: "Fink, beim Reimen sing!"
[- der Kette treu, als Sklävchen, seinem Ring - .]
"Mein Stieglitz - Gimpel, Zeisig, meiner, sing!
Mit Deinem Baritönlein, reinem, - sing!
Die Händchen Dein - beim Honigseimen ring!
Und endlich dann - beim vollen Schleimen - - Grins!"
[Doch ich vergiß den Raum, beim Schleimen, rings.]
"Verzerr beim Aufschrei - Deine Miene - - Grins!
Gleich folg ich, Schani, auch so einem, grins ..."

Froher Epilog

Von raren Pflänzlein blüht's im Maien, rings.
Es klingen Gamben und Schalmeien, rings.
Da wachsen Ragwurzen und Mieren: Sing!
Himantoglossum streckt die Riemen: Sing!
Selbst wenn es gösse wie aus Eimern: Sing!
Folg jenen Gambern und Schalmeiern: Sing!


Falls jefräund nicht weiß, was ein 'Meisenring' sei:
http://www.fotocommunity.de/pc/pc/display/23626142

Mit Himantoglossum meine ich die auch in Ostösterreich (z.B. auf Randhügeln des Wiener Beckens), nicht aber in Deutschland* vorkommende Adriatische Riemenzunge
- Himantoglossum adriaticum (H. BAUMANN, 1978) H. SUNDERMANN.
In Österreich kann die Art knapp über einen Meter hoch werden und etwas über hundert Blüten haben. Die meisten Autoren unterschätzen diese Pflanze.
http://flora.nhm-wien.ac.at/Seiten-Arten/Himantoglossum-adriaticum.htm
http://www.guenther-blaich.de/artseite.php?par=Himantoglossum+adriaticum

*In Wärmegebieten Deutschlands gedeiht dafür eine verwandte Art, Himantoglossum hircinum (L.) SPRENG., die (wegen des Geißbockgeruches ihrer Blüten) Bocks-Riemenzunge.

Berthold

#391
Mein lieber Ku!

Ich habe heute wieder einmal unser "Schüttelreim, anyone?" überflonck.

Will's nau in Inglisch herrait'n. (Bezog's von einer anderen Peidsch, die mir, vergleichsweise, touteli egal is):

The most comprehensive page on such rhymes in German.

Muß ich da noch extra all die (lieben) Namen heraussuchen? (Was macht überhaupt der liebe Agricola?)
 

Berthold

#392
Zur Theorie der Schüttelreime muß ich etwas einräumen, bzw. bekennen.

In "Wikipedia" heißt es:

"Der Schüttelreim ist eine Reimform, bei der die (Anfangs-)Konsonanten der letzten beiden betonten Silben miteinander vertauscht werden. Er stellt somit eine Sonderform des Doppelreims dar (die letzten beiden betonten Silben jeder Zeile reimen sich). Beispiel: ,,Er schüttelte die Klapperschlang', / Bis ihre Klapper schlapper klang.""

Auf solcherlei bezog sich wohl, in strenger, puristischer Weise, letztens auch der liebe Ku. Stimmt's?

Das erschiene mir aber eine ausgospronch öde Richtlinie (nach der es ganze Sammlungen gibt!), der hier nur wenige gefulgen sind. Genau genommen haben wir zumeist verschiedene (z.T. lange) Sonderformen von Schüttelversen guschrimp. Und so sesülle es, denk ich, auch bleiben.

"Der Jäger will des Dachses Spur im Wachse dehnen / Damit die Freunde Bären und nicht Dachse wähnen." Das fiel mir nach etwa einer halben Minute ein. Ich mag es nicht.

Oben ginge es doch auch gleich weiter, ganz leicht: - mit "klang er schlapp" und "schlang er. Klapp!"
Die Tiefines von "Wikipedia" reicht eben nicht aus. Nicht einmal für den vierfachen Gossensaß-Schüttler.

Homer

Jetzt sage ich doch mal was zur Theorie, obwohl ich eigentlich meinen Mund halten wollte. Verzeiht!

Ich bekenne mich zum Purismus und der "öden Richtlinie": Nicht leicht will ich es haben zu schütteln, sondern im Gegenteil schwer – wo wäre sonst die Herausforderung? –, und nicht viele Verse sollen dabei herauskommen, sondern wenige, nach Möglichkeit gute. In der öden Wüste der strengen Regel eine Orchidee wachsen zu lassen – das ist das von uns Dilettanten schwer erreichbare Ziel.

Das Klapperschlangen-Verspärchen ist ja einer der großen Klassiker des Schüttelreims. Warum? Wegen seiner schlanken Eleganz, wegen seiner minimalistischen Technik, seiner ungekünstelten Anmut. Die kommt allerdings in der von Dir, Berthold, aus der Wikipedia angeführten Version nicht so richtig zum Tragen. Viel besser ist die folgende, ebenfalls häufig zitierte Variante:

Es klapperten zwei Klapperschlangen,
bis ihre Klappern schlapper klangen.

Warum ist das besser? Das läßt sich schlüssig begründen (und nein, ästhetische Urteile über Kunst sind keine reinen Geschmacksurteile!):

Zuerst mißfällt in der anderen Version die in einer reimtechnisch bedingten Notoperation ihres Schwanzes beraubte Klapperschlang'. Wo es nicht anders geht oder man durch das Abschneiden des e einen Gewinn anderer Art hat (etwa eine Pointe), ist das völlig in Ordnung. Nicht so hier: Man kann die Klapperschlange in den Plural setzen, und alles klingt ganz natürlich: Klapperschlangen – schlapper klangen.

Er schüttelte ... Wo kommt er her? Wer ist er? Warum schüttelt er Klapperschlangen? Wenn wir uns diese Fragen ersparen können, wird das Gedicht noch minimalistischer, also besser. Deshalb werfen wir ihn hinaus, die Klapperschlangen allein genügen völlig.

... schüttelte ...: Gewiß, dies ist ein Schüttelreim, aber die gewollt anmutende Autoreferentialität ist keine so gute Pointe, daß sie den Verlust an minimalistischer Eleganz gegenüber der zweiten Version aufwiegen könnte. Außerdem haben wir ihn ja schon hinausgeworfen. Natürlich könnten die Klapperschlangen sich auch selbst schütteln, aber dann können sie auch gleich klappern, denn darum geht es ja hier. Wir verwenden – minimalistische Konzentration auf das Wesentliche – dasselbe Klang-, Wort- und Sinnmaterial wie in Klapperschlangen einfach noch einmal: klapperten ... Klapperschlangen.

Warum ist zwei so gut? Könnten es nicht fünf, neun oder elf sein? Natürlich könnten sie das rein technisch, aber das Minimalismusgebot gilt auch für die Zahl der Klapperschlangen. Eine geht nicht (siehe oben), also müssen es mindestens zwei sein. Wer mehr Schlangen haben will, muß eine Pointe in petto haben, die die Vermehrung auf genau diese Zahl rechtfertigt. (Die nächstbeste Lösung nach zwei wäre wohl acht – wegen des a.)

Es gibt auch die Variante die Klapperschlangen. Die ist nicht ganz so gut wie zwei, aus einem ähnlichen Grunde wie oben bei Er schüttelte. Der bestimmte Artikel verweist auf bekannte Klapperschlangen und nimmt damit der kleinen Geschichte, die erzählt wird, etwas von ihrer minimalistischen Abgeschlossenheit. Natürlich ist das fehlende Aus-sich-Hinausweisen eines Schüttelgedichts kein zwingendes Gebot (ich mag etwa auch Wie schlecht die beiden Schweden rangen, / die vorher große Reden schwangen, übrigens auch hier zwei), aber da wir es hier erreichen können, sollten wir es auch tun.

So, und nun die entscheidende Schlußfolgerung aus all dem: Dieses kleine, witzige, technisch absolut perfekte Gebilde darf ums Verrecken nicht weitergedichtet werden, es sei denn, das, was folgt, kann das Niveau halten. Die Bilderegel für Quadrupel ergibt, je nach Version, schlangerklapp(en) und klangerschlapp(en). Damit ist ganz offensichtlich nichts Gescheites anzufangen. Denn schlang er und klang er führen ihn wieder ein, den wir nicht brauchen können, und isoliertes klapp! oder irgendwelche Klappen, die er schlingen könnte, ergeben puren Nonsens, der nichts mit dem Thema "klappernde Klapperschlangen" zu tun hat. Sonstiges regelloses anagrammatisches Geschüttel verbietet sich erst recht, wenn man es gut mit dem Gedicht meint.

Und da ich mich mit diesem ganzen Klugschiß ohnehin schon unbeliebt gemacht habe, kann ich auch gleich noch Horaz zitieren, der über seinen Satiriker-Vorgänger Lucilius sagt: "Das war seine Schwäche: In einer Stunde diktierte er oft zweihundert Verse, als wäre das eine große Leistung, und stand dabei auf einem Bein. Wenn er [d.h. seine Dichtung] so schlammig dahinfloß, hätte man vieles tilgen mögen. Redselig war er und zu bequem, die Mühe des Schreibens auf sich zu nehmen – des richtigen Schreibens! Denn viel zu schreiben interessiert mich nicht."

amarillo

TOSENDER APPLAUS VON MIR!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Berthold

#395
Lieber Homer!

Das gefällt mir eh. Daß fran einer Klapperschlange nie das Schwanzende abschneiden darf, ist geradezu eine Brücke zur Zoologie. Dann kann sie chnalm nicht mehr klappern.

Höchstens zwei Angmörke:

1) Warum schriebst Du uns keine Deiner schönen Schüttelverse her? Ich huff schon echt, während ich mein Mittagsmenü vom Asiaten (pikante Suppe und Lachs-Teriyaki) verzohr.
2) Das "zwei" gellt und 'zwischert' für mich im Klang zu sehr hervor. Es erscheint mir als ''Lehrerwort" eines "Schul- und Beispielschüttelverses". Gleich hör ich da jemanden, lauthals, sagen: "Ja, aber dann kennt man sie doch, dann wird's gleich persönlich! Nicht drei sind's, nicht vier, nicht acht ..."

Mir war's auch nie dran gelegen, just diesen Reim zu verbessern.
Erzählen oder gar erklären lasse ich mir, der ich (keine Angeberei, sondern so, immerhin, war's) mit Lyrik aufwuchs, über Schüttelverse auch nix (arroganter wäre: 'auch über Schüttelverse nix'), vorführen lasse ich sie mir stets gern.
Und mit einigen dieser Gedanken ging ich, das darfst Du mir schon glauben, gestern auch schon umher. Fohl dabei gar kein Behagen.
Zu einem Vergleich mit Lucilius meine ich: Eine Stunde auf einem Bein zu stehen, das schaffe ich nicht. 

Wortklauber

Sollen wir uns nun durch strenge Kritik und tosenden Applaus einschüchtern lassen? So meisterwirkt der Klapperschlangenvers dann doch nicht, dass künftig alle Klapperschlangen verstummen müssen. Denn wie sagte noch Ferruccio Busoni (jedenfalls so ähnlich hat er es gesagt, um zu rechtfertigen, dass er an Werken von Mozart immer noch etwas bearbeiten musste): Dadurch, dass ich dem Werk noch eine Bearbeitung hinzufüge, wird das Original ja nicht beschädigt!

Die Klapperschlangen klapperschlingen,
bis Schlangenklappern schlapper klingen.

Diese Version hat wenigstens den Vorteil, dass sie ein ungeheurer Zungenbrecher ist. Man versuche es dreimal in einem Atem auszusprechen.

Horaz

Oft herrscht Dunkel im Tann, und dann ist es schlicht lausig,
wenn jemand, der stört, nicht entfernt bei Licht schlau sich.

Homer

Zitat von: Wortklauber in 2012-03-21, 14:08:17
Sollen wir uns nun durch strenge Kritik und tosenden Applaus einschüchtern lassen?

Wer wäre ich denn, irgendjemandem hier Vorschriften zu machen, was er tun oder lassen soll? Das sei mir fern! Ich schrieb nur etwas Theoretisch-Literaturkritisches, wie alle, bei denen es mit der Praxis hapert. ;)

Berthold

Zitat von: Homer in 2012-03-21, 14:20:17
Zitat von: Wortklauber in 2012-03-21, 14:08:17
Sollen wir uns nun durch strenge Kritik und tosenden Applaus einschüchtern lassen?

Wer wäre ich denn, irgendjemandem hier Vorschriften zu machen, was er tun oder lassen soll? Das sei mir fern! Ich schrieb nur etwas Theoretisch-Literaturkritisches, wie alle, bei denen es mit der Praxis hapert. ;)

Das wertet diesen Faden weiter auf.

Berthold

#400
Lieber Homer!

Du hattest auch aus einem zooloter(r)arischen Grund recht. Ich fand unter all den Schlangen keine außer den Klapperschlangen, die auf Anhieb einem Schüttelvers zugänglich wären. (Nun gut, die Nasenviper kekünne chnaltur ein 'Vasennipper' sein.*)

Beispiel:
Rar sind zwei** ranke Riesenschlangen, / die Ratten, selbst beim Rasen, schlingen:
Ein Horror - vielleicht bis auf die lippenzergänglichen, stolzen Stabreime.

*Ein Schüttler auf zwo*** Nasenvipern? / Wortklauber, strahlst bei 'Vasennippern'.

**/*** Das, wie Du mienst, müsse ja dabeisein.

Homer

Ich mag ja die reinen Quadrupel, weil sie so schwer zu finden und noch viel schwerer zu verdichten sind. Eine kleine Liste davon habe ich schon, aber über 90% aller Funde wollen rein gar nichts zu einem schönen Gesamtsinn, molgst noch witzig oder point georen, beitragen. Mindestens einer der acht Bestandteile widersetzt sich meist hartnäckig.

Beispiel:

Zuweilen sieht man Hasenrotten
zu Dancepop auf dem Rasen hotten.

So weit, so gut. Aber jetzt stehen noch aus die Paare Rosen hatten und Hosen Ratten. Das erste würde man sicher irgendwie mit den hottenden Hasenrotten in Verbindung bringen können, für das zweite ist mir aber noch nichts eingefallen, was nicht extrem weit hergeholen oder nur mit brutalen Verbrechen gegen die Naturlk der Sprache einzubauen wäre. Und dann lasse ich es eben. Soweit ein Einblick in die Werkstatt.

Berthold

#402
Zitat von: Homer in 2012-03-21, 15:50:33
Ich mag ja die reinen Quadrupel, weil sie so schwer zu finden und noch viel schwerer zu verdichten sind. Eine kleine Liste davon habe ich schon, aber über 90% aller Funde wollen rein gar nichts zu einem schönen Gesamtsinn, molgst noch witzig oder point georen, beitragen. Mindestens einer der acht Bestandteile widersetzt sich meist hartnäckig.

Beispiel:

Zuweilen sieht man Hasenrotten
zu Dancepop auf dem Rasen hotten.

So weit, so gut. Aber jetzt stehen noch aus die Paare Rosen hatten und Hosen Ratten. Das erste würde man sicher irgendwie mit den hottenden Hasenrotten in Verbindung bringen können, für das zweite ist mir aber noch nichts eingefallen, was nicht extrem weit hergeholen oder nur mit brutalen Verbrechen gegen die Naturlk der Sprache einzubauen wäre. Und dann lasse ich es eben. Soweit ein Einblick in die Werkstatt.

Ein echter Einwand aus der Volkszoologie - der Jägersprache: Eine Rotte ist eine Gruppe von mindestens drei, meist mehr, Wildschweinen. Niemals eine Gruppe von Hasen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jägersprache
Sei indes getrost: Bei unserem letzten Beiselquiz erkannte ich von fünf Tierspuren nur eine: die des Schweines. Für einen Zoologen eine wahre, tiefe Schande!! Wie wenn Du einen Calpurnius nicht sofort erkennen tätertest. - Ich komm jetzt noch öfters ins Grübeln. Von der Frage nach dem Octopus - auch sie konnte ich nicht beantworten - will ich gar nichts herschreiben. Furchtbar!!!

Ich will's uns ganz leicht und Du mich-chwahrschloyn gleich herunter machen:

Zuweilen sah ich Hasenrotten,
die in den Pfötchen Rosen hatten,
zum Dancepop auf dem Rasen hotten.
Wer trug beim Fest die Hosen? - Ratten.

Verstehst Du? - :
Dort prungen geile Rattenhosen,
die Hasen-Softies hatten Rosen ...   

Homer

Zitat von: Berthold in 2012-03-21, 16:05:27
Ein echter Einwand aus der Volkszoologie - der Jägersprache: Eine Rotte ist eine Gruppe von mindestens drei, meist mehr, Wildschweinen. Niemals eine Gruppe von Hasen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Jägersprache

Das würde die Hasenrotte immerhin metaphorisch aufladen: Die Hasen benehmen sich bei ihrem Gehotte wie die Wildschweine.  :D

Berthold

"Metaphorisch aufladen" ist urleinwa(u)nd!

Ich weise auch auf Deine/(unsere) Hasen-Ratten-Schüttler hin.