Konjunktiv II bei "nennen" und "kennen"

Begonnen von Ezilopp, 2005-10-21, 12:47:24

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Kilian

"Ein Irrtum ist es, wenn man aus dem Indikativ kannte einen Konjunktiv kännte bilden zu dürfen glaubt. Die sechs schwachen Zeitwörter: brennen, kennen, nennen, rennen, senden und wenden haben eigentlich ein a im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet. Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit (durch sogenannten Rückumlaut) mit a: brannte, gebrannt, sandte, gesandt, und da der Konjunktiv bei schwachen Verben nicht so umlautet, sollte er eigentlich ebenfalls brannte, sandte heißen. Zur Unterscheidung hat man aber (und zwar ursprünglich nur im Mitteldeutschen) einen Konjunktiv brennete, kennete, nennete, rennete, sendete und wendete gebildet. Das e dieser Formen ist nicht etwa ein jüngerer Umlaut zu dem a des Indikativs, sondern es ist das alte Umlauts-e, das durch das Präsens dieser Zeitwörter geht. Wirft man nun, wie es jetzt geschieht, aus brennete, kennete das mittlere e aus, das in sendete und wendete beibehalten wird, so bleibt brennte, kennte übrig. In früherer Zeit gehörten noch andere Verba zu dieser Reihe, z.B. setzen und stellen; der Konjunktiv des Imperfekts heißt da setzte stellte, der Indikativ und das Partizipium aber hießen früher: sazte, stalte, gesazt, gestalt (das noch in wohlgestalt, mißgestalt, ungestalt erhalten ist)."
Gustav Wustmann, Allerhand Sprachdummheiten, 2. Auflage 1896, allerdings ohne Gewähr auf Akkuranz, da mit einer Überdosis Blut im Koffein abgetoppen

MrMagoo

#16
Während ich Deinen Beitrag las, Kilian, war mir so, als hätte ich das just vorher schon gelesen... in meinem Wustmannbuch - wie mir Deine Literaturangabe dann bestätigte, trog mich der Schein nicht...;)

Du besitzt ein solches Exemplar und hast uns vorher nie in Kenntnis gesetzt?! Schäme er sich! *hehe*
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Kilian

Neinnein, ich hab's auf deinen Hinweis hin sofort in der Bibliothek bestellt. Mit Rücksicht auf das gesetzte Alter des Büchleins durfte ich es nur im Lesesaal benutzen. Ist wirklich amüsant - teilweise spießt Wustmann damals schon genau die gleichen Sachen auf wie Sick heute.

Kilian

Zitat von: Kilian in 2005-10-22, 15:45:41Ich las das mit dem e auch mal irgendwo als "Regel" formuliert; leider bin ich der Quelle verlustig gegangen. Die beiden anderen Verben, die es betrifft, sind brennen und rennen, bei uns auch noch flennen.

Hab's wieder, stammt aus irgendeiner englischsprachigen Grammatik des Deutschen, der genauen Quelle bin ich leider verlustig gegangen:

"Hybrids with '-en-' in the infinitive change what would be an 'ä' in subjunctive back to an 'e' as in brennte, kennte, nennte, sendete, wendete."

MrMagoo

Zitat von: Kilian in 2005-11-19, 14:26:26
Neinnein, ich hab's auf deinen Hinweis hin sofort in der Bibliothek bestellt. Mit Rücksicht auf das gesetzte Alter des Büchleins durfte ich es nur im Lesesaal benutzen. Ist wirklich amüsant - teilweise spießt Wustmann damals schon genau die gleichen Sachen auf wie Sick heute.

Jap - besonders bei so Phänomenen wie "in 1870" oder "Speise(n)karte" dachte ich immer, daß das recht neue Erscheinungen gewesen seien (ich meine sowas jedenfalls auch bei Sick mal gelesen zu haben) - und dann sehe ich's schon in einem kleinen, feinen Sprachbüchlein von 1891... Da hat der Sick ja wohl hoffentlich nicht gespickt?! *ggg*

Interessant, daß Du das in einer Bibliothek gefunden hast, mußten die das fernleihen ... fernbeleihen ... ferner leihen... oder hatten die das da?  8)

Gruß
-MrMagoo
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

MrMagoo

Zitat von: Kilian in 2005-11-18, 16:59:12
[...]brennen, kennen, nennen, rennen, senden und wenden haben eigentlich ein a im Stamm, sind also schon im Präsens umgelautet. Ihr Imperfekt bilden sie ebenso wie das Partizip der Vergangenheit (durch sogenannten Rückumlaut) mit a: brannte, gebrannt, sandte, gesandt[...]


Hier ist übrigens wieder eine Stelle wo man bei der neuen Rechtschreibung wieder den Hebel ansetzen könnte:

Wenn denn schon der Umlaut in "aufwändig" so hervorgehoben wird, warum schreibt man dann nicht auch gleich brännen, nännen, kännen und wänden??!!
Ich sag ja, diese Iddies in Mannheim...;)


Die Bezeichnung "Rückumlaut", die noch von Jacob Grimm stammt, ist übrigens ein wenig irreführend:
Die Präteritumsformen waren nämlich nie umgelautet gewesen, Grimm hatte dies aber nicht gewußt - er ging davon aus, daß der Umlaut des Präsens im Präteritum entfernt wurde, also "rückgängig" gemacht wurde und nannte es daher einen "Rückumlaut".
In der Literatur hat sich dieser Ausdruck dann festgesetzt... ehm... -gesessen.  :D
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Kilian

Die Universitätsbibliothek Tübingen besitzt es - vorne drin klebt ein Vermachungsvermerk; es stammt aus der Privatbibliothek eines verblichenen Professors.

MrMagoo

#22
Zitat von: Kilian in 2005-11-19, 19:09:36
Die Universitätsbibliothek Tübingen besitzt es - vorne drin klebt ein Vermachungsvermerk; es stammt aus der Privatbibliothek eines verblichenen Professors.

Wow, ich sehe gerade, daß sogar meine Uni-Bibliothek dieses Büchlein in der 4. Auflage von 1908 im Regal stehen hat... hätte ich jetzt nicht gedacht ;)
Muß wohl ein sehr "angesagtes" Schriftstück gewesen sein...:D
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Kilian

Das legt auch das beinahe prahlerische Vorwort "meiner" Auflage nahe. Und du besitzt es, tust du nicht? Wie kommt's?

Ly

#24
Zitat von: MrMagoo in 2005-11-18, 14:25:24
Zitat von: Ly in 2005-11-10, 22:23:10
Zitat von: MrMagoo in 2005-10-22, 22:45:02
Zitat von: Kilian in 2005-10-22, 15:45:41
Zitat von: Ezilopp in 2005-10-22, 15:24:59Ich dachte, die Kathegorie "unregelmäßige Verben" gebe es im Deutschen nicht, nur starke, als Eigenart des Deutschen

Oh, weit gefehlt, ich verweise auf MrMagoos brilliante Übersicht.


Nunja... also wenn man "GANZ" erheblich pingelig sein will, dann gibt es wahrscheinlich keine wirklich "unregelmäßigen" Verben - denn selbst die in meiner Liste am Ende aufgeführten Verben können sich sprachhistorisch wiederum in irgendwelche Gruppen einordnen lassen, aber das führte dann doch ein wenig zu weit....:D

Und was ist mit "sein", hm? ;D


Auch sein ist nicht wirklich unregelmäßig:

sein ist ein aus drei selbständgen Verbstämmen neu zusammengesetztes Verb:

Wir hätten da zunächst das Verb wesen, das heute für das Präteritum die Formen
ich war, du warst, er war, wir waren, ihr wart, sie waren
und das Partizip 2 gewesen liefert.
Ebenso bildet es den Konjunktiv2: ich wäre, du wärst, etc.
Noch im Mittelhochdeutschen war "wesen" ein Verb mit einem vollständigem Konjugationsparadigma:

Präsens: ich wise, du wist, er wist, wir wesen, ir west, si wesent; Imperativ: wis!
Präteritum: ich was, du waere, er was, wir waren, ir wart, si waren
Partizip1: wesende
Partizip2: gewesen


Das zweite Verb ist sein, es liefert heute die Präsensformen mit Ausnahme der 1. und 2. Person Singular:
er ist, wir sind, ihr seid, sie sind.
Auch der Konjunktiv1 wird von "sein" gebildet:
ich sei, du seist, er sei, wir seien, ihr seiet, sie seien.
Das Partizip2: seiend, und der Imperativ: sei! gehören ebenfalls hierher.


Das dritte Verb letztendlich ist bin, das die Formen für die 1. und 2. Person Präsens liefert:
ich bin, du bist.
Im Mittelhochdeutschen gab's auch hier noch ein fast(!) vollständiges Paradigma für die Präsensformen - nur die 3. Person kann nicht belegt werden:
ich bin, du bist, wir birn, ir birt.

Sowohl "sein" als auch "bin" haben schon in früheren Sprachperioden nur Präsensformen.
Ich persönlich nehme bei "bin" an, daß es sich um ein Präterito-Präsens handelt, zu welchem keine "neuen" Präteritumformen gebildet wurden. Ein Professor von mir hielt dies allerdings für eher unwahrscheinlich.
Warum "sein" keine Präteritumformen (mehr) hat, weiß ich nicht, vielleicht waren genügend Ausweichformen vorhanden, sodaß keine anderen benötigt wurden?!


Nach viel Blabla ganz kurz: In diesem Sinne ist auch sein "regelmäßig" oder besser und vorsichtiger ausgedrückt: "nicht ganz unregelmäßig". ;)

Viele Grüße
-MrMagoo

Ich will gar nicht wissen, wie oft wir darüber vor Monaten schon geredet hatten.

Ich wollte nur wissen ob du dir die Mühe machen würdest, das nochmal aufzulisten. ;D

Zudem meinte (mien? was auch immer) ich immer, der Infinitiv von "ich bin" hieße "birn", was die Form "ich bin", dann eben DOCH zur Unregelmäßigkeit verdammt. ;D
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

Zitat von: Ly in 2005-11-20, 13:10:50
Ich will gar nicht wissen, wie oft wir darüber vor Monaten schon geredet hatten. Ich wollte nur wissen ob du dir die Mühe machen würdest, das nochmal aufzulisten. ;D

Ach, bestimmt noch einige Male  ;D - mittlerweile hab ich das auch einigen Studenten erklärt und auch an Diskussionen in anderen Foren darüber geschrieben... kann mir auch nicht genau merken, was ich alles wo gesagt bzw. geschrieben habe *hehe*


ZitatZudem meinte (mien? was auch immer) ich immer, der Infinitiv von "ich bin" hieße "birn", was die Form "ich bin", dann eben DOCH zur Unregelmäßigkeit verdammt. ;D

JA - Zumindest für all die, die nicht glauben, daß "bin" ein Präterito-Präsens ist.
In dem anderen Falle jedoch kann es sein, daß der Infinitiv verlorengegangen ist (so wie auch bei sämtlichen Modal auxiliaries im Englischen). ;)
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(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-11-21, 19:41:43
Zitat von: Ly in 2005-11-20, 13:10:50
Ich will gar nicht wissen, wie oft wir darüber vor Monaten schon geredet hatten. Ich wollte nur wissen ob du dir die Mühe machen würdest, das nochmal aufzulisten. ;D

Ach, bestimmt noch einige Male  ;D - mittlerweile hab ich das auch einigen Studenten erklärt und auch an Diskussionen in anderen Foren darüber geschrieben... kann mir auch nicht genau merken, was ich alles wo gesagt bzw. geschrieben habe *hehe*


ZitatZudem meinte (mien? was auch immer) ich immer, der Infinitiv von "ich bin" hieße "birn", was die Form "ich bin", dann eben DOCH zur Unregelmäßigkeit verdammt. ;D

JA - Zumindest für all die, die nicht glauben, daß "bin" ein Präterito-Präsens ist.
In dem anderen Falle jedoch kann es sein, daß der Infinitiv verlorengegangen ist (so wie auch bei sämtlichen Modal auxiliaries im Englischen). ;)

Wäre "birn" (ob mit r oder ohne) ein Präterito-Präsens, dann würde sich die Form aber im Stammvokal unterscheiden. "ich ba(r)n" oder so.

Wenn es allerdings keines ist, dann könnte es ja analog zum Mittelhochdeutschen "ich hân" gehen. Soweit ich weiß waren im Althochdeutschen die Singularformen sowieso äquivalent zum Infinitiv (ih gan, ih tuon, ih ferzan, etc, etc.), was dann damals zwar vielleicht regelmäßig war, heute aber nicht.
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

Ly

A propos "sein":

Das englische "to be" kommt ja bekanntlich von den Verben sindon, wesan und beon.

Nun stellt sich mir die Frage ob "sindon" vielleicht von "sin don" ("sin tuon" auf Althochdeutsch) kommt und damit "sein tun", anstatt "sein" bedeutet?
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.

MrMagoo

#28
Zitat von: Ly in 2005-11-22, 15:37:11
Wäre "birn" (ob mit r oder ohne) ein Präterito-Präsens, dann würde sich die Form aber im Stammvokal unterscheiden. "ich ba(r)n" oder so.

Nicht zwangsläufig - der Stammvokal könnte recht früh ausgeglichen worden sein; so wie wir's heute bei sollen haben ("ich soll, wir sollen").


ZitatWenn es allerdings keines ist, dann könnte es ja analog zum Mittelhochdeutschen "ich hân" gehen. Soweit ich weiß waren im Althochdeutschen die Singularformen sowieso äquivalent zum Infinitiv (ih gan, ih tuon, ih ferzan, etc, etc.), was dann damals zwar vielleicht regelmäßig war, heute aber nicht.

Jein.
Das -n ist bei "bin" ein altes Präsensflexionsmorphem.
Im Althochdeutschen sind nur 4 der Verben erhalten, die die 1. Ps. Sg. Präsens mit "-n" formen, nämlich tuon, gân, stân und sîn.
Ob "bin" tatsächlich zu dieser Gruppe gehört, oder durch Analogie dazukam, weiß ich nicht genau, da ich aber annehme, daß "bin" tatsächlich ein Präterito-Präsens ist, gehe ich davon aus, daß letzteres zutrifft.

Die im Mittelhochdeutschen vorhandenen hân, lân, verzân, vân, etc. sind analoge Neubildungen, die später wieder weggefallen sind - diese auf -n ausgehenden Formen gab es aber nur bei einigen Verben, nicht bei allen.
Wâ mag ich mich nu vinden? wâ mac ich mich nu suochen, wâ? nu bin ich hie und bin ouch dâ und enbin doch weder dâ noch hie. wer wart ouch sus verirret ie? wer wart ie sus zerteilet mê?
(Gottfried von Straßburg)

Ly

Zitat von: MrMagoo in 2005-11-23, 15:49:47
Zitat von: Ly in 2005-11-22, 15:37:11
Wäre "birn" (ob mit r oder ohne) ein Präterito-Präsens, dann würde sich die Form aber im Stammvokal unterscheiden. "ich ba(r)n" oder so.

Nicht zwangsläufig - der Stammvokal könnte recht früh ausgeglichen worden sein; so wie wir's heute bei sollen haben ("ich soll, wir sollen").


ZitatWenn es allerdings keines ist, dann könnte es ja analog zum Mittelhochdeutschen "ich hân" gehen. Soweit ich weiß waren im Althochdeutschen die Singularformen sowieso äquivalent zum Infinitiv (ih gan, ih tuon, ih ferzan, etc, etc.), was dann damals zwar vielleicht regelmäßig war, heute aber nicht.

Jein.
Das -n ist bei "bin" ein altes Präsensflexionsmorphem.
Im Althochdeutschen sind nur 4 der Verben erhalten, die die 1. Ps. Sg. Präsens mit "-n" formen, nämlich tuon, gân, stân und sîn.

Warum ist das bei denen so und bei den anderen nicht?

Zitat
Ob "bin" tatsächlich zu dieser Gruppe gehört, oder durch Analogie dazukam, weiß ich nicht genau, da ich aber annehme, daß "bin" tatsächlich ein Präterito-Präsens ist, gehe ich davon aus, daß letzteres zutrifft.

Na gut, von mir aus. Wie kommst du darauf überhaupt?

Zitat

Die im Mittelhochdeutschen vorhandenen hân, lân, verzân, vân, etc. sind analoge Neubildungen, die später wieder weggefallen sind - diese auf -n ausgehenden Formen gab es aber nur bei einigen Verben, nicht bei allen.

Was bedeuten lân und vân?  ???
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.