Konsonantenverschiebung

Begonnen von Arnymenos (unlogged), 2005-02-09, 15:27:48

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Arnymenos (unlogged)

Zum Grusse!

Wenn das hier schon an anderer Stelle diskutiert wurde, moege man mir verzeihen, ebenso meinen tastaturbedingt (eher Faulheitsbedingt, denn ich koennte es umgehen) fehlenden Umlauten.

In der Liste der gestorkenen Verben tritt immer dann, wenn der Stamm auf syllabischen Liquid (-er-, -el-) oder Nasal (-en-) endet, eine Verschiebungen eben jenes Lautes in die erste Stammsilbe auf. Kurz in Fortfuehrung dieser Idee moechte ich zur Diskussion freigeben folgenden Vorschlag:

atmen - atme - omt/omp - oemt/p - amt/p! - geomt/p

Nun aber zu meinem eigentlichen Anliegen. Es scheint, dass diese Art der Verunstaltung des Stammes generalisierbar ist, da wir ja ein Muster erkennen, es fortsetzen koennen und gegebenenfalls erlernen. Dieses Erlernen kann nach meinen Dafuerhalten aber hoechstens im Zweitspracherwerb stattfinden. Lautvertauschungen sind im internationalen Sprachvergleich moeglich, aber selten. Da die deutsche Sprache dies in ihrer Geschichte nie getan hat (Gegenbeispiele bitte ich zu nennen), passt es nicht hinein. Man muss unterscheiden, was im Rahmen der Sprache moeglich ist, damit sie konsistent und erlernbar bleibt, und was sie grundlegend aendert.

Ich halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

Arnymenos

amarillo

Zitat von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48

Ich halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

Warum sollte sie es denn sein müssen?

Mir persönlich gefällt Deine Atmung wirklich gut, nur das mit dem "p" kenne ich eigentlich als ein Problem der englischen Sprache.
Redeem -- redemption, assume -- assumption usw. Darüber gab es anfangs der 90er mal eine  lustige Glosse in Newsweek oder   Time.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Zitat von: amarillo in 2005-02-09, 16:21:44
Warum sollte sie es denn sein müssen?

Gute Frage. Zumindest hier werden die "gestorkenen" Formen ja verwendet. Darin einbegriffen sehe ich die Behauptung, dass das Ergebnis (Deutsch mit leicht veraenderter Konjugation) eine Sprache ist, die dem Deutschen in nichts nachsteht. Ist nun klar, warum ich Erlernbarkeit betrachte?

amarillo

Nein

Was zumindestens ich hier treibe, ist reines Hobby. Der eine mäht gerne Rasen und gärtnert, andere häkeln Fensterbankschoner, wieder andere verprügeln ihre Ehegatten - jeder wie er will.
Aber Du glaubst doch wohl nicht, daß ich außerhalb des Rahmens meines Bildschirmes mich in wahrnehmungsfähigem Umfange des Gebrauchs gestorkener Verben befleißige - oder?

Ist doch schon schrullig genug, sich hier Gedanken über diese Dinge zu machen, die in Wirklichkeit so wichtig sind wie ein Loch im Knie. Draußen gilt man doch schon als banane, wenn man auch nur die regelmäßigen, aber korrekten, Formen des Konjunktiv II verwendet. Wer da wirkliglich so spräche: man bezächtöge ihn/sie des aufgewichenen Kekses und schäke ihn/sie in eine Anstalt für betrones Wohnen (und das zu recht).
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Klar ist das was, womit man sich nicht auf der Strasse erwischen laesst. Andererseits wurden Sprachen fuer Filme wie Star Trek und den Herrn der Ringe erfunden/entwickelt, die sich auf linguistische Grundlagen stuetzen. "Gestorkene" Verben sind erstmal diejenigen, die sich klar an einem echten starken Beispiel anlehnen. Und der Rest... ?

Sieh' das mit der Erlernbarkeit nur als ein persoenliches Forscherinteresse meinerseits.

amarillo

Viel Spaß beim Erlernen des Elbischen. Meine Tochter hat mir Weihnachten 2003 das Buch geschenkt, klasse Idee, ich habe auch einige Mußestunden damit zugebracht - Spaß war das nicht!
Tolkien hatte keinerlei humorvollen Absichten, das hat mich dann - leider - das Buch als ein zu trockenes beiseite legen lassen.

Aber andererseits: warum sollte man nicht eine ganze Kunstsprache entwerfen? Noch eine eben, die dann keiner lernt/spricht.
Zum Schluß könnte man sie ja Hollywood anbieten.  ;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Okay, ich glaube, wir reden jetzt ueber das selbe. :)

Ich kann uebrigens nur ein paar Brocken Klingonisch (bzw. konnte es mal), kein Elbisch.

Als Sprachwissenschaftler frage ich mich eben, was eine natuerliche Sprache ist und was eine kuenstliche. Verben staerken ergibt eine Sprache, die sich nicht wesentlich von einer natuerlichen unterscheidet, also quasi-natuerlich ist. Aber ein paar Dinge von Dir und anderen scheinen mir diese schwer greifbare Grenze zu ueberschreiten.

Ich gebe mal ein Beispiel: Wir bilden das Perfekt, indem wir das Praesens rueckwaerts aussprechen (Freut die am Pali-(Sy)ndrom leidenden). Ist das eine Moeglichkeit, oder gibt es irgendwas, was jedem Menschen klar sagt (selbst dem zweijaehrigen, der gerade seine Muttersprache lernt), dass das totaler Unfug ist?

Und damit zurueck zur Eingangsfrage: Ist die Aenderung der Lautreihenfolge quasi-natuerlich oder nicht?


Oh, ich befuerchte, jetzt ist mal wieder nichts klar geworden. Wenn doch, bitte melden. *gg*

amarillo

#7
Ich fürchte, Du hast Dich schon prima verständlich gemacht. Aber mit mir fragst Du bestimmt den falschen.  Ich habe das hier irgendwann schon einmal gestanden: ich bin nur User, kein Systemmanager der Sprache.

Wenn Du Linguist bist, wirst Du viel tieferen Einblick haben, als ich.
Aber um Deinem Forschungsdrang ein wenig Nahrung zu geben: ich erwische mich schon einige male dabei, daß mir ein gestorkenes Partizip oder Präteritum über die Lippen will. Andere Formen muß ich immer wieder nachsehen, die prägen sich offenbar nicht so leicht ein (conjugatio duplex z.B.).

Schwierig finde ich die falsch-richtig Zuordnung, denn da ich das hier aus Jux betreibe, ist meine Toleranzgrenze doch sehr elastisch, und wenn ich mich gegen einige Anwendungen ausspreche, ist das nicht immer unbedingt um meiner tieferen Überzeugung Willen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Hochinteressant! Besonders die unterschiedliche Bewertung dessen, was Du leichter lernst...

Mal ein paar Worte zu:

Sprachwissenschaftler, der: auch Linguist, nicht zu verwechseln mit: Duden-Redakteur, Sprachpfleger, Sprachlehrer. Beschreibt die -> Sprachen der Menschheit im Sinne einer exakten Wissenschaft. Versucht, Theorien zur Vorhersage der -> Grammatikalitaet oder Bedeutung von Saetzen aufzustellen und misst deren Erfolg an der Uebereinstummung mit dem Urteil einer repraesentativen Gruppe von Muttersprachlern.

Linguisten sagen nie "richtig" oder "falsch". Sie sagen "das kann ich erklaeren und das nicht". Manchmal sagen sie "das wird so in bestimmt keiner Sprache vorkommen". Manchmal versuchen Linguisten, die Grenzen der Sprache auszureizen, um endlich mal zu verstehen, was Sprache ueberhaupt ist. Und auch als Sprecher einer Sprache, wenn man damit spielt, haelt man sich an bestimmte Regeln, derer man sich aber ueberhaupt nicht bewusst ist. Es "klingt" einfach besser oder schlechter. Warum es so klingt, dass interessiert dann den Sprachwissenschaftler.

In einem anderen Thread wurden neue Substantive vorgeschlagen, und ihr habt versucht, Artikel zuzuweisen. "Das klingt maennlich", stand da. Dabei muss doch jeder Deutsche zugeben, dass das grammatische Geschlecht letztendlich nicht vorhergesagt werden kann.

Naja, das sind solche Fragen, wie ich sie mir stelle, seit ich nicht mehr unbedarft mit meiner Sprache rumeperimentiere, sondern bei fast jedem Wortspiel und vielen falschen Formen eine Erklaerung parat habe, auch weit ueber das hinaus, was man an sogenannter Grammatik im Duden etc. liest oder in der Schule gelernt hat.

amarillo

Zitat von: Arnymenos in 2005-02-09, 18:40:25

..., sondern bei fast jedem Wortspiel und vielen falschen Formen eine Erklaerung parat habe, ...

Ich dachte ihr sagt nie richtig oder falsch ;D

Eigentlich wollte ich mir mein eigenes unbedarftes Herumalbern/Experimentieren mit der Sprache noch ein wenig bewahren, deshalb bin ich auch nur Philologe :'(
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

Arnymenos

Erwischt. Sagen wir: "nach Schulbuchwissen falsch"

Denn wenn jemand was sagt und andere ihn verstehen, dann war's ja so falsch nicht.

Und mir als Linguisten sind natuerlich unbedarfte Sprachexperimentierer viel lieber, weil die eben nicht so denken wie ich, sondern frei Schnauze entscheiden, was gut klingt. Wenn man sich als Linguist laengere Zeit mit seltenen Formen beschaeftigt, findet man die irgendwann ganz normal. Kurzum: Das muttersprachliche Gefuehl stumpft ab.

gehabt gehabt

Wo tankt man eigentlich Muttersprachliches Gefuehl? Aus dem Duden sicherlich nicht, aus der Glotze auch nicht und aus Gespraechen mit den meisten wohl auch nicht. Wenn ich manchmal etwas verwirrt bin vom vielen Dudenlesen und nicht mehr weiss, ob man eigentlich sagen darf oder nicht: "Er behauptet,  er waere der Kaiser von China", dann lese ich ein paar Seiten Thomas Mann. Dessen Deustch ist fuer mich per definitionem gut und richtig, egal ob es falsch oder richtig ist. Und dabei hatte der Mann nicht mal Abitur, habe ich irgendwo gelesen.

Arnymenos

Man nennt es das "linguistic intuition repair centre", kurz LIRC. Dahin gehen alle Sprachwissenschaftler, die sich vor lauter Theorien nicht mehr sicher sind, was sie richtig finden sollen. Deswegen vertrauen sie ja auch nie ihrem eigenen Urteil, und auch fuer Beispiele in ihrer eigenen Sprache fragen sie lieber ihren Nachbarn, als selber einen Satz zu basteln.

Wo aber das LIRC steht, weiss keiner. Bisher ist niemand von dort zurueckgekehrt.

Ich habe frueher mal meine Schriftsprache aus den Gesammelten Werken Karl Mays genommen, etwa bis ich 11 oder 12 war. Und seitdem? Ich weiss es ehrlich gesagt nicht. Ich moechte behaupten eines "richtigen" Deutsch faehig zu sein, doch womit begruenden?

Sprache ist Konvention. Also ist verstanden werden das hoechste Kriterium. Auch dein Thomas Mann wird irgendwann von der Sprachrealitaet ueberholt, denn Goethe und Schiller war auch mal gutes und richtiges Deutsch, ebenso Grimm, ebenso Gottfried von Strassburg. Doch heute noch so sprechen ist unmoeglich.

gehabt gehabt

Diese  Linguistische Reparaturwerkstatt muss ein Wunderwerk sein. Beispiel: Manchmal denke ich nach, welche Woerter eigentlich noch alles mit Genitivobjekt stehen koennen. Dann faellt mir eins ein, von dem ich mir 100% sicher bin, es geht. Ich bin mir aber auch sicher, das Wort habe ich im ganzen Leben nie aktiv gebraucht und habe es hoechstens ein, zwei Mal an obskurer Stelle gelesen. Das Merkwuerdige dabei ist, welch ein starkes Gefuehl das Sprachgefuehl ist: es ist ungefaehr so stark wie der Geruchssinn, der einem in den meisten Faellen eindeutig Auskunft gibt, ob ein Stueck Fleisch geniessbar ist oder ncht.

Kilian

Willkommen, Arnymenos! :) Ich will mal das Meiste hier überspringen und nur auf den Anfangsbeitrag eingehen:

Zitat von: Arnymenos (unlogged) in 2005-02-09, 15:27:48
Da die deutsche Sprache dies in ihrer Geschichte nie getan hat (Gegenbeispiele bitte ich zu nennen), passt es nicht hinein. Man muss unterscheiden, was im Rahmen der Sprache moeglich ist, damit sie konsistent und erlernbar bleibt, und was sie grundlegend aendert.

Ich kann diese Unterscheidung zwischen "konsistenzerhaltenden" und "grundlegenden" Änderungen nicht recht nachvollziehen. Änderung ist Änderung, und die betreiben wir hier - aus Freude am Jux, ich schließe mich amarillo an. Ob sich nun z.B. eine erfundene Konjugation stark an einer wirklich bestehenden anlehnt oder zusätzlich das Moment der Konsonantenverschiebung hineinbringt - die Änderung ist nur mehr oder weniger umfangreich, vertrauter oder fremder, leichter oder schwieriger zu erlernen. Einen "Rahmen der Sprache", der hier klare Grenzen zöge, halte ich für ein wackeliges Konstrukt.

ZitatIch halte dafuer -- und stelle mich nach Eingang meiner Forumsanmeldungsbestaetigung der Diskussion -- dass diese Art der Konjugation muttersprachlich im Rahmen des Deutschen nicht erlernbar ist.

An sich halte ich sie für sehr gut erlernbar. Wenn ich wollte, könnte ich mir angewöhnen, sie im Alltag zu gebrauchen, und die Formen kämen mir intuitiv über die Lippen. Die Konsonantenverschiebung folgt in unserer Liste ja auch relativ festen Regeln. Es ist eine Frage von Beschäftung damit und Gewöhnung daran. Was du nun einschränkend unter "muttersprachlich" und "Rahmen des Deutschen" verstehst, bleibt mir ein wenig schleierhaft - siehe oben.

Ah, ich sehe gerade: Du hast die Grenze zwischen "natürlich/quasi-natürlich" und "künstlich" selbst als schwer zu fassen bezeichnet. Das ist sie in der Tat, deswegen bin ich dafür, sie überhaupt nicht zu ziehen. Ich weiß nur a priori, dass wir hier eine künstliche Weiterentwicklung der bestehenden deutschen Sprache vornehmen - ohne den Anspruch darauf, ein quasi-natürliches oder leicht erlernbares Ergebnis zu erhalten. Im Gegenteil: Wir wollen die Dinge ja gerade komplizorener machen! :D Die Motive hat amarillo ja erklärt.