Zum Saugen

Begonnen von amarillo, 2005-03-12, 14:54:05

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amarillo

Du hast recht, ich habe beim ersten mal ziemlich oberflächlich hingesehen. Da war aber wirklich so ein Machwerk in Kanaksprach.
Klar, daß Celan, Benn, Walcott etc. große Lyriker sind.

Das mit den äußeren und inneren Sprachgrenzen verstehe ich nicht, möchte ich eigentlich auch nicht erklärt bekommen.

Daß diese Lyrik Dir Spaß macht, halte ich für den einzig legitimen und wichtigsten aller Grunde, sie gut zu nennen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

#16
oh  :D


das ist aber auch ein wesentlicher grund, warum lyrik überhaupt verfaßt wird: zunächst mal, weil der dichter spaß dran hat  :)

wenns anderen genauso geht, gut für den dichter.
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Das mit den Sprachgrenzen soll bitte nicht als Arroganz aufgefaßt werden.

Es ist wie mit der Musik, die berührt mein Herz, oder sie läßt es. Wenn ich erst eine Erklärung benötige, ist der Zauber für immer dahin. Dann achte ich nur noch darauf, daß ich das höre, was ich hören "soll", und das will ich um keinen Preis.

Seit meiner Schulzeit hasse ich nichts so sehr wie die Interpretation (die Obduktion) künstlerischen Schaffens, dabei ist das Werk doch so lebendig vor mir.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

sehr vernünftig  :)

und nö, hat kein mensch als arroganz aufgefaßt, deswegen erkläre ich ja auch nicht, was ich damit meinte :)
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

Kilian

Zitat von: amarillo in 2005-03-13, 21:48:17Seit meiner Schulzeit hasse ich nichts so sehr wie die Interpretation (die Obduktion) künstlerischen Schaffens, dabei ist das Werk doch so lebendig vor mir.

Echt? Das ist schade. Ich kann durchaus z.B. ein Gedicht interpretieren und danach trotzdem noch schön finden. Es kann sogar passieren, dass ich nach einer Interpretation ein Gedicht liebe, mit dem ich vorher überhaupt nichts anfangen konnte.

versucher

Persönlich muss ich Kilian beipflichten, mir spaßt Interpretieren, v. a. bei Lyrik. Oft erkenne ich eine Leistung erst, wenn ein Kundiger mich aufgekloren hat. Und dann kann ich auch nachträglich zu lieben anfangen. Die interpretierende Beschäftigung hat meinen Blick erweitert, lässt mich leichter spontan die Qualitäten eines Textes erkennen (was eben für mich Qualitäten sind).
Ansonsten kann ich auch amarillo gut verstehen, ich glaube auch noch romantisch an die Magie der Liebe auf den ersten Blick  :D

amarillo

Zitat von: versucher in 2005-03-14, 13:31:40
Oft erkenne ich eine Leistung erst, wenn ein Kundiger mich aufgekloren hat.
Ich bin Abitur-Jahrgang 1973. Von einigen bockbeinigen Versuchen verkalkter Deutschlehrer abgesehen, hat man uns noch in der Kunst des Selbstdenkens unterwiesen.  Was dabei herauskommt muß nicht unbedingt dem "Mainstream" entsprechen.

ZitatAnsonsten kann ich auch amarillo gut verstehen, ich glaube auch noch romantisch an die Magie der Liebe auf den ersten Blick  :D

Bist Du sicher, daß Du mich verstanden hast? Ob das alles mit Romantik zu tun hat, wage nicht einmal ich selbst zu behaupten. Kunstrezeption ist für mich ein emotionaler Akt, da kommt die Ratio - wenn überhaupt - ganz hinten. Ich kann mich auch prima über ein Werk ereifern und es zum Kotzen finden, dann genieße ich halt etwas später wenigstens meinen Unwillen.
Warnt mich allerdings schon vorher jemand, daß der Künstler mich provozieren will, schafft dieser es nicht mehr. Welch ein ästhetischer Genuß geht mir da verloren!
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

gehabt gehabt

Karl Kraus hat mal gesagt, "das viele Lesen schadet dem Denken". das ist ein Korn Wahrheit dran. Wenn ich eine Interpretation lese, heisst das aber nicht, dass mir Herr Reich Ranitzki oder Herr Joachim Kaiser die Entscheidung abnehmen soll, ob ich ein Werk gut finden soll und warum, sondern ich sehe es wie, wenn ich das Privileg habe (so wie in diesem erlauchten Forum) mich mit jemandem zu unterhalten, der hoffentlich sogar noch schlauer ist als man selbst, und einem neue Dimensionen eines Werks erschliesst, oder einem das Vergnuegen bereitet zu bestaetigen, was man eh schon geahnt hat. Wenn ich weiss, was der Komponist im Sinn gehabt haben koennte, macht mir den Genuss keinesfalls madig, im Gegentum. Es ist ja nicht so als ob Herr Siebeck neben mir am Tisch saesse und mir erklaerte, was da alles fuer Chemie in meinem Essen ist.

amarillo

Eigentlich sind wir nicht so weit voneinander entfernt. Bis auf die Kleinigkeit, daß ich glaube, der Künstler soll sich m i r erschließen, nicht umgekehrt.

Blasorenerweise halte ich mich für einen durchschnittlich intellenten und verständigen Menschen. Kommt nun ein Kunstwerk jedweder Gattung daher und bleibt mir dennoch verborgen (oder stößt mich ab, oder nervt, oder schweigt mich an...), dann sehe ich darin nicht mangelnde Auffassungsgabe meinerseits, sondern mangelnde Übermittlungfähigkeit seitens des Künstlers (wobei er natürlich das Abstoßen und Nerven beabsichtigt haben kann).

In einer Turner-Ausstellung habe ich laut vor einem Bild gesagt, daß ich es schlichtweg "Sch..." fände. Ihr hättet diese kunstbeflissenen Katalog-vorab-Leser erleben müssen. 80% wollten mich sofort und unentgeltlich einer gewaltigen kunsthistorischen Einweisung unterziehen. Der Rest schaute mich böse an, und ein älterer Herr wäre eventuell auch bereit gewesen, mir die Liebe zu Turner mit den Fäusten einzuhämmern. Dabei fand ich den größten Teil der Ausstellung wirklich klasse.



Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

als ich 17 war, sehr gelehrt und ein abscheulich schlechter, wenn auch ambitionorener dichter, kam es mir gelegentlich vor, jemand erweise einem ihm von mir vorgelegten poem nicht genügend reverenz.

was tat ich in solchen fällen? ich or ihm das machwerk analys - bis er nicht mehr umhin konnte, die subtilität zu bewundern, mit der ich verborgene bedeutungen in unverständliches eingebieben hätte  ;D ;D ;D


da sind wir bei ephraim kishons kritik der "modernen kunst": mit einer fachgerechten analyse, möglichst mit vielen fachausdrücken drin, kann man alles, was man als hohe kunst bezeichnen will, wenn nicht schön-, so doch genialreden.

mit mir jedoch nicht, so wenig wie mit amarillo. was mir auf den ersten blick nicht als gutes gedicht, gemälde etc. vorkommt, wird durch das schlagkräftigste plädoyer nicht dazu. das ist genauso wie mit schönen frauen  :D
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

gehabt gehabt

Das mit der Intuition klappt nur wenn man sehr viel Erfahrung hat. Die Erfahrung kann man sich auf zweierlei Wegen aneignen. Entweder sehr viel selbst hoeren sehen lesen trinken, dass dauert dann aber lange lange lange. Oder man laesst sich doch ab und zu mal Tipps von Kennern geben.

Fuer mich ist es ein grosses Mysterium, dass so subtile Musik wie die von Bach oder Mozart von jedem Hilfsarbeiter verstanden werden kann, ohne dass er nur einen funken Ahnung von Musiktheorie hat. Das Gegenteil ist die Mathematik. Um die grossen Mathematiker zu verstehen, muss man kongenial sein. Die Literatur liegt irgendwo in der Mitte.  Es gibt zwar gute Literatur, die kann jeder verstehen, manche Werke erfordern allerdings ein gewisses Ruestzeug.

Ich denke man ist gut bedient, sich ein offenenes Ohr zu bewahren fuer Sachen, die sich einem nicht unmittelbar erschliessen (waat de Buur nit kennt, frett he nit). Augustinus hat zwar gesagt "res tantum cognoscitur quantum diligitur" und das ware Wasser auf Amarillos Muehlen, aber umgekehrt kanns manchmal auch eine Berechtigung haben.


gehabt gehabt

Wir sollten das Wort "Interpretation" nicht nur mit den Aufsaetzen von Grosskritikern gleich setzen. Auch das vorlesen eines Gedichts, die Verfilmung eines Romans, die Auffuehrung eines Klavierstuecks ist eine Interpretation. Eine kluge Interpretation eines Kunstwerks durch einen Kritiker kann selbst genauso ein Kunstwerk sein wie eine Interpretation einer Bachfuge durch Glenn Gould auf dem Klavier.

Bei Romanen und Bildern gibt es nur den Kuenstler und den Leser/Betrachter. Bei der Musik und im Theater ist die Notwendigkeit der Interpretation schon eingebaut. Wenn nicht, haette uns Mozart viel detailliertere Anleitungen zur Zauberfloete gegeben und uns viel Kopfzerbrechen erspart.

amarillo

#27
Zitat von: gehabt gehabt in 2005-03-15, 10:56:45
Das mit der Intuition klappt nur wenn man sehr viel Erfahrung hat.
Einspruch, Einspruch, Einspruch! Das mit der Intuition klappt immer. Jeder, der ein Werk "zu sich nimmt" kommt zu einem Ergebnis (und sei es Null). Man muß sich nur trauen, diese Ergebnis zu akzeptieren. Wer allerdings versucht, die vorab eruorenen Zielvorgaben des etablorenen Kunstbetriebs anzupeilen, der hat m.E. nicht alle Nadeln an der Tanne und sollte vielleicht mal eine Runde auf die Couch.

ZitatEs gibt zwar gute Literatur, die kann jeder verstehen, manche Werke erfordern allerdings ein gewisses Ruestzeug.
Augen zu sehen, Ohren zu hören, Hände zu tasten und einen Funken guten Willens unter der Dunstkiepe - mehr Rüstzeug braucht keine Mensch für die Kunst.

ZitatIch denke man ist gut bedient, sich ein offenenes Ohr zu bewahren fuer Sachen, die sich einem nicht unmittelbar erschliessen (waat de Buur nit kennt, frett he nit).
Woher soll ich denn wissen, ob sich mir nach einem Konzert auch alles erschlossen hat? Nachbesprechung? Und wo hört das auf? Man kann, wenn man denn unbedingt will, an jedem einzelnen Nötlein innehalten und seine Bedeutung herauspräparieren: "Trefflich, wie der Komponist das Fagott hier ein fis halten läßt, das so wunderbar dissonant zum b der Bratsche uns an die Zerrissenheit frühmenschlichen Alltagsschaffens gemahnt."

ZitatAugustinus hat zwar gesagt "res tantum cognoscitur quantum diligitur" und das ware Wasser auf Amarillos Muehlen, aber umgekehrt kanns manchmal auch eine Berechtigung haben.

Wenn's schon um meine Mühlen geht: hier braucht Vater eine Übersetzungshilfe. ::)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

Zitat von: amarillo in 2005-03-15, 18:32:46

ZitatAugustinus hat zwar gesagt "res tantum cognoscitur quantum diligitur" und das ware Wasser auf Amarillos Muehlen, aber umgekehrt kanns manchmal auch eine Berechtigung haben.

Wenn's schon um meine Mühlen geht: hier braucht Vater eine Übersetzungshilfe. ::)


"man erkennt eine sache nur in dem maß, in dem man sie liebt."
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

#29
Vielen Dank, caru, meine Mühlen rotieren rasend.

Der olle Augustinus, was für ein weiser Mann, da hat er doch glatt meinen ganzen Wortschwall in dürre fünf lateinische Worte gefaßt.

Jetzt erschließt sich mir doch zum ersten Mal die Bibelübersetzung: und Adam erkannte sein Weib... Der hat sie ganz einfach geliebt; ich hatte schon etwas in dieser Richtung vermutet.

Auf jeden Fall wird: RES TANTUM COGNOSCITUR QUANTUM DILIGITUR
von nun an in großen Lettern mein Heim schmücken. Wie wäre es, und ich öre es mir auf die Brust Tätow?

Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.