Zum Saugen

Begonnen von amarillo, 2005-03-12, 14:54:05

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Kilian

Zitat von: amarillo in 2005-03-15, 18:32:46Augen zu sehen, Ohren zu hören, Hände zu tasten und einen Funken guten Willens unter der Dunstkiepe - mehr Rüstzeug braucht keine Mensch für die Kunst.

Augen, Ohren, Hände und Funken - also ein natürliches, angeborenes Sensorium? - können einem aber längst nicht alles vermitteln, was an ästhetischem Genuss, am Erblicken von Fassetten, am Erfassen von Tiefe, an Verständnis möglich ist. Warum also sich darauf beschränken? Warum nicht versuchen, sich der Kunst auch intellektuell und wissenschaftlich zu nähern?

caru

Zitat von: amarillo in 2005-03-15, 20:49:23
Jetzt erschließt sich mir doch zum ersten Mal die Bibelübersetzung: und Adam erkannte sein Weib... Der hat sie ganz einfach geliebt; ich hatte schon etwas in dieser Richtung vermutet.


jawohl, im alttestamentarischen jargon heißt "erkennen" genau dieses, und zwar in körperlichem sinne  ;)
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

amarillo

Zitat von: Kilian in 2005-03-15, 22:16:39
Augen, Ohren, Hände und Funken - also ein natürliches, angeborenes Sensorium?

Steht für die Sinne, will ich auch nicht auf die fünf klassischen beschränken; es wird schon noch mehr geben.

Ja klar, es nähere sich der Kunst wissenschaftlich und intellektuell jeder in dem Maße, wie es ihm/ihr Vergnügen bereitet. Mir wäre nur sehr daran gelegen, wenn man mich hernach mit den Ergebnissen verschonte. Das Elend ist doch immer dieses Mitteilungsbedürfnis.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

pssst... bei kunsterfahrung mit hilfe der hände aufpassen, daß der museumswärter grade nicht hinguckt  ;D


vermutlich hat die intellektuell-wissenschaftliche kunsterfahrung erst ihren anfang genommen, als es museen mit absperrungen und wärtern gab - da mußte man dann die dadurch verwehrten sinnlichen kontakte durch analytisches denken substituieren.
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

gehabt gehabt

@Amarillo: wie hat dir eigentlich Vigoleis gefallen? getraue mich aber nicht zu fragen warum oder warum nicht.

@alle: wie heisst eigentlich dieser @ auf deutsch? Ich sage immer Affenschwanz, aber es versteht mich niemand. Bin wohl zu lange von Deutschlad weg.

amarillo

Ich lese noch daran, gefällt mir gut, ich liebe das Augenzwinkern, die Sprache ist doch sehr barock, da bin ich nicht jederzeit aufgelegt. Für Spanier auf jeden Fall ein Genuß.
Erinnert mich ein wenig an Niebelschütz, aber dem würde ich keine  Chance mehr einräumen, der hat mich streckenweise sogar genervt (der Blaue Kammerherr).

@ heißt auf "deutsch" at, such' Dir eine Übersetzung aus. ;D
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

amarillo

Zitat von: Kilian in 2005-03-15, 22:16:39
können einem aber längst nicht alles vermitteln, was an ästhetischem Genuss, am Erblicken von Fassetten, am Erfassen von Tiefe, an Verständnis möglich ist. Warum also sich darauf beschränken? Warum nicht versuchen, sich der Kunst auch intellektuell und wissenschaftlich zu nähern?

Wie soll sich denn bei mir ein ästhetischer Genuß (Ästhetik=Lehre von der Qualität menschlichen Fühlens) einstellen, wenn mir jemand erzählt, was ich nicht selbst erspürt habe?
Bei Eichendorffs Gedichten bekomme ich regelmäßig feuchte Augen, kein Wissenschaftler dieser Welt soll daran je etwas ändern dürfen.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

caru

Zitat von: gehabt gehabt in 2005-03-15, 23:14:50
@alle: wie heisst eigentlich dieser @ auf deutsch? Ich sage immer Affenschwanz, aber es versteht mich niemand. Bin wohl zu lange von Deutschlad weg.


wenn man jemandem die mail-adresse buchstabiert, sagt man "at", ja.

aber heißen tut er "klammeraffe" (so kenn ich ihn zumindest.
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Nijntje - de echte nederlandse konijn

Kilian

Zitat von: amarillo in 2005-03-15, 23:00:22Ja klar, es nähere sich der Kunst wissenschaftlich und intellektuell jeder in dem Maße, wie es ihm/ihr Vergnügen bereitet. Mir wäre nur sehr daran gelegen, wenn man mich hernach mit den Ergebnissen verschonte. Das Elend ist doch immer dieses Mitteilungsbedürfnis.

Das Mitteilungsbedürfnis ist kein Elend. Ohne den Austausch solcher Ergebnisse hätten die Literatur- und Kunstwissenschaften gar nicht erst entstehen können. Dann hätte der Einzelne keine Analyse-Instrumente, keine Begriffe, kein kulturelles Sensorium an der Hand, mit deren Hilfe viele sich dieses Vergnügen bereiten können.

Elend sind Absolutätsansprüche und Missionierungswahn von Leuten, die glauben, ihr jeweiliger Zugang zu einem Kunstwerk sei der einzig Wahre. Auch heiße Luft, unschlüssige oder hohle Interpretationen, verdienen Kritik. Aber das heißt nicht, dass es nichts außer den eigenen Sinn, der eigenen Seele und dem eigenen Verstand gäbe, das helfen kann, einen guten Zugang zu einem Kunstwerk zu gewinnen.

ZitatWie soll sich denn bei mir ein ästhetischer Genuß (Ästhetik=Lehre von der Qualität menschlichen Fühlens) einstellen, wenn mir jemand erzählt, was ich nicht selbst erspürt habe?

Wenn du das Werk kennst, kannst du das Erzählte mit deinen eigenen Eindrücken vergleichen. Ansonsten kannst du dir anhand des Erzählten etwas unter dem Werk vorstellen, von dem die Rede ist.

ZitatBei Eichendorffs Gedichten bekomme ich regelmäßig feuchte Augen, kein Wissenschaftler dieser Welt soll daran je etwas ändern dürfen.

Nö, wie sollte er das auch tun? Wenn du merkst, dass ein Wissenschaftler dir die Augen trocknen will, hörst du halt weg.

amarillo

Villiers del'Isle-Adam: L'appareil pour l'analyse chimique du dernier soupire

Da ist eigentlich alles gesagt. Missionieren wollte ich schon gar nicht, nur verschont werden von Erläuterern. Analyse-Instrumente brauche ich auch nicht, weil ich nicht analysieren will (Rabelais).

Jetzt darf man mir noch hemmungslosen Positivismus vorwerfen - auch gut, bekenne mich. :)
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

versucher

Also, amarillo, alter Positivist, jetzt habe ich schon einen so ausufernden Erläuterungsbeitrag geschrieben, den muss ich jetzt auch loswerden. (Du weißt schon: Mitteilungsbedürfnis). Ich war schlicht zu langsam für deinen abschließenden Kommentar. Betrachte das Folgende also von mir aus als ungesugen und deine Worte als die letzten, bevor wir uns neuen Themen zuwenden. Der Text ging so:

Zweifle nicht,
amarillo! Ich habe dich verstanden (bin im Interpretieren von Texten recht geübt ;D), und ich verstehe dich auch. Viele haben eine ähnliche Haltung wie du (z. B. mein Vater) - und, ja, sie wird immer romantischer (im historischen Sinn), jetzt, wo du nach der Überlegenheit einer Rezeptionsästhetik auch noch das ,,natürliche Sensorium" ins Feld gefohren hast, ganz und gar klassische romantische Waffen - und mit Verlaub, Totschläger.
Auch Faust sagt zu Wagner (beim nämlichen Thema):
,,Wenn Ihrs nicht fühlt, Ihr werdets nicht erjagen,
Wenns Euch nicht aus der Seele dringt
Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt."

Aber fasse das bitte nicht als persönlichen Angriff auf! Nie würde ich jemandem, der fähig ist, bei Eichendorff feucht zu werden, seine Sensibilität vorwerfen! Kunst lieben zu können ist eine der mir sympathischsten Eigenschaften. Auch dass und wie du deine Meinung verteidigst, ist mir sehr sympathisch. Es gibt sicher eine Menge Dinge, die wir beide lieben, z. B. lispelnde Damen mit leichtem Silberblick. Hier greife ich niemanden an, geht es mir nur um die Sache.
Die ist sehr einfach, wenn man sie auffasst wie du, Glückwunsch! Ich gebe zu, dass ich es mir komplizierter mache. Ich meine das gar nicht ,,Tätäh, Laien, seht mich an, den Wissenschaftler!", vielmehr beneide ich eine solche ,,naive" Haltung bisweilen. Als Literaturwissenschaftler neueren Datums habe ich durchaus ähnliche Feindbilder wie du, eben z. B. eine Hermeneutik, die zum transzendenten Kern des Werkes vorwärtszirkelt und dann behauptet, den ,,Sinn" gefunden zu haben. Ha-ha-ha! Ich kann auch Großkritikergelaber nur schwer ertragen; klar haben diese Leute eine Leseerfahrung, die ich nie erreiche, aber die Mittel ihrer ,,Interpretation" geben mir trotzdem nichts. (Biographismus langweilt mich, und an die Decke gehe ich bei Klappentexten, die aus schwafeligen Kritikerloben zusammengeklortten sind.)
Man kann aber über Werke sprechen - und warum sollte man das nicht tun? Es wäre doch seltsam, über Kunst nicht sprechen zu wollen, wenn sie einen bewegt, will sagen: nicht dem Mitteilungsbedürfnis nachzugeben, nur weil man interessierte Laien, die erfreulicherweise auch bei der Lesung, der Aufführung, der Vernissage sind, damit pikieren könnte. Man muss hinter einem wissenschaftlichen Gespräch über Kunst ja nicht a priori Dünkel oder Missionarseifer (was für'n Seifer?) vermuten. Es ist einfach nur ein anderes Vokabular für ,,das berührt mich", ,,macht mich lachen", ,,geht mich nichts an", ein Vokabular, das sich in langer Tradition entwalck, einer Tradition, die selbst sehr lebendig und heterogen und kontrovers ist.
Oft wird der Geisteswissenschaft vorgeworfen, sie sei ja nicht ,,eindeutig", nicht ,,verbindlich", nicht ,,einheitlich" - in dem Sinn, dass (eben hermeneutisch) aus einem Werk nur der eine ,,Sinn" extrahiert werden könne. Aber meiner Ansicht nach ist das genau der Reichtum der Geisteswissenschaft: die Uneindeutigkeit, die Vielfalt der Diskurse, die Debattierfreude, das Evolutive. Die moderne, jetzige Literaturwissenschaft ist gar nicht mehr so weit von einer individualästhetischen Haltung entfornen, wir sind bei einem ,,amything goes" angelangen, allerdings ohne die Wissenschaft aufzugeben.
Woher kommt nun deine Liebe zu Eichendorff? Wie hat dein Sensorium sich entfalten? Warst du mit vier schon bei ,,Mondnacht" gerohren? Genetische Eichendorff-Kompatibilität? Waren nicht ,,gewisse Kenntnisse" nötig, damit der Genuss sich letztlich einstall? Was fängt man mit der Todesfuge an, wenn man nichts vom Judenmord und den Lagern weiß? Die Grenze zwischen dem ,,eingeborenen Sensorium" und dem ,,erlornenen Kulturwissen" ist einfach nicht fassbar, daher kann auch das eine nicht vom andern isol georen und gegen es ausgespolen werden. (Alle mitsingen: ,,Hand in hand we stand...", falls es jemand kennt). Um ein Sensorium zu propagieren, muss man auch erst eine Idee von einem solchen Sensorium haben, und diese Idee ist traditioneller Bestandteil einer altehrwürdigen rezeptionsästhetischen Kunsttheorie.
Max Weber sug: ,,Wir studieren, was wir lieben oder hassen." Ich glaube (na ja, hoffe!), dass Wissenschaftler, die sich mit Kunst befassen, ihren Gegenstand auch lieben. Wissen schützt vor Liebe nicht und Liebe kann Wissen bequem einbauen. Man muss sich ja nicht jeden Quark aufs Brot schmieren lassen, siehe das hier schon erwohnene Kishon-Zitat über ein Vokabular, das schlechte Kunst genial redet. Das ist aber ein Missverständnis. Die ernsthafte Literaturwissenschaft benutzt ein solches Vokabular zum Glück nicht mehr, der Fachbegriff für ein solches Vokabular ist ,,dummes Geschwätz". Wer meint, sich mit solchen Feuilleton-Floskeln über andere erheben zu können, ist ein Idiot; der einzige Grund für Arroganz ist Arroganz, nicht ,,überlegenes" Wissen.

Also, amarillo, viel Freude mit der Literatur, mit welcher Haltung auch immer!

Wisst ihr eigentlich, dass Eichendorff mal eine Zeile über einen seltsamen Sport schrieb, von dem ich bis heute rätsle, was für einer es sein soll?

,,All' Freunde sind lang fortgezogen,
Der Frühling weint in einem fort,
Eine Brücke ist der Regenbogen
Zum friedlich sichern Heimatsport."

(aus ,,Das Gebet")

Große Grüße
Versucher

P.S.: Wahnsinn, Kilian, du ganz und gar Listenerweiterung gewordener Fleiß! Viel Tiefenrespekt auch vor all den unbekannten, weil forumstummen Helfern, die beständig das Vokabular erweitern!

Oh je, sieht das im Forum viel aus!

Kilian

Diesem langen Beitrag kann ich mich voll und ganz anschließen! Danke für die zutreffenden Worte. :)

amarillo

#42
Zitat von: versucher in 2005-03-16, 16:38:14

Zweifle nicht,
amarillo! Ich habe dich verstanden (bin im Interpretieren von Texten recht geübt ;D), und ich verstehe dich auch. Viele haben eine ähnliche Haltung wie du (z. B. mein Vater)

Ich war mir zwar nicht des geringsten Zweifels bewußt, aber schön, daß Du mir mit gönnerhaft väterlichem Verständnis sanft über den verwirrten Schädel zu streicheln bemüht bist.

Übrigens habe ich auch schon mal eine Universität von innen gesehen, die Literaturwissenschaft erfuhr dabei meine besondere Hinwendung. Irgendwie gelang es mir sogar 1980 meine Examina erfolgreich zu absolvieren. Vielleicht stammt meine "naive" Haltung aus jenen Tagen? Wahrscheinlich fehlten uns noch die profunden Einsichten und das intellektuelle Instrumentarium, um Literatur so zu betrachten, wie es dem wissenschaftlichen Nachwuchs heute allein vorbehalten zu sein scheint. (Wie alt, sagtest Du, daß Du bist?)

Viele Grüße auch an den Herrn Papa.
Das Leben strebt mit Urgewalt nach Entstehung und Musik.

versucher

Mit einem so spitzfindigen und -züngigen Kontrahenten macht das Diskutieren Spaß!
Die gönnerhaft-väterliche Haltung habe ich übrigens von meinem Vater  ;D
Bist du heute noch in der "Branche"?  ;) Es mehrt meinen Respekt vor deiner Haltung, wenn du sie dir "trotz" all der Indoktrinationen der Fakultät bewahren konntest. Hattest du denn damals keinen "Theoriefavoriten"?
Es ist in der Tat so, dass meine Generation sich von dem Zugang der Professorengeneration wegbewegt hat, die Interessen und Herangehensweisen sind andere - ich habe nie gesagt bessere (außer was die Hermeneutik angeht, dabei bleibe ich).
Ich will mich gar nicht als wissenschaftlicher Türsteher aufspielen, ich finde, die größten wissenschaftlichen Tugenden sind Selbstironie und Bescheidenheit (außer in Bezug auf Hermeneutik!), und wenn ich jemanden mit meinem Vater vergleiche, ist das keine Beleidigung, sondern eine Respektsbekundung. Die Grüße leite ich weiter.

Danke an alle, die sich durch mein Geschwafel gequolen haben! Dass das aber auch immer so großkotzig klingen muss.

P.S.: Ich bin Abi 92.

Ly

Zitat von: versucher in 2005-03-16, 19:26:35
P.S.: Ich bin Abi 92.

Ihr seid alle so alt... zu der Zeit war ich ein Racker, der ein stolzes Jahr alt war  :-\
It isn't always how you look. Look at me. I'm handsome like anything, and I haven't got anybody to marry me yet.